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01.03.2017·Aktuelle Rechtsprechung Tätigkeit eines Vertragszahnarztes: Juniorpartner in „freier Praxis“ oder scheinselbstständig?

·Aktuelle Rechtsprechung

Tätigkeit eines Vertragszahnarztes: Juniorpartner in „freier Praxis“ oder scheinselbstständig?

von Bertram F. Koch, Justiziar der ÄKWL a. D., Of Counsel, Münster, www.kanzlei-am-aerztehaus.de

| Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (23.11.2016, L 5 R 1176/15) hat die Tätigkeit einer „Junior-Partnerin“ in einer Zahnarztpraxis als versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 SGB IV bewertet. Unerheblich war, dass die gemeinsame Berufsausübung der Zahnärzte vom Zulassungsausschuss formell als Gemeinschaftspraxis genehmigt worden war. Die rechtlichen Einordnungen des Vertrags-(zahn-)arztrechts wie des (zahn-)ärztlichen Berufsrechts sind für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht bindend.

Der Sachverhalt

Ein Zahnarzt und eine Zahnärztin, beide zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen, schlossen sich als Gemeinschaftspraxis zusammen, was auch vom Zulassungsausschuss genehmigt wurde. Der Gesellschaftsvertrag enthielt u. a. folgende Regelungen:

 

  • Die Zahnärztin sollte als „Gewinnanteil“ 30 Prozent der von ihr selbst erwirtschafteten Honorare erhalten. Aus den verbleibenden Einnahmen wurden die Praxiskosten bezahlt. Den Rest erhielt der Zahnarzt.

 

  • Der Zahnarzt stellte auch das gesamte, im Vertrag als „Sondervermögen“ ausgewiesene materielle Vermögen zur Verfügung.

 

  • Die Zahnärztin musste keine Einlage leisten. Sie war nicht am materiellen Vermögen oder an Beschaffungskosten zukünftigen Vermögens beteiligt.

 

  • Wer von den Vertragsparteien – und in welchem Umfang – einen Verlust zu tragen hätte, war vertraglich nicht geregelt.

 

  • Beide Gesellschafter waren einzeln vertretungsberechtigt. Im Innenverhältnis aber bedurften wirtschaftlich bedeutsamere Maßnahmen – wie z. B. die Kündigung von Arbeitsverhältnissen – der Zustimmung des Zahnarztes.

 

  • Im Fall ihres Ausscheidens sollte die Zahnärztin eine pauschalierte Abfindung – gestuft nach der Dauer ihrer Tätigkeit und abhängig von dem von ihr durchschnittlich erwirtschafteten Jahresumsatz – erhalten.

 

Bei einer routinemäßigen Betriebsprüfung forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund den Zahnarzt auf, offene Sozialversicherungsbeiträge in beträchtlicher Höhe nachzuentrichten. Die Klage des Zahnarztes blieb sowohl in erster (SG Freiburg) als auch in zweiter Instanz (LSG Baden-Württemberg) erfolglos. Revision ist nicht zugelassen.

Die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg

Nach Auffassung des LSG Baden-Württemberg war die Zahnärztin nicht freiberuflich „in freier Praxis“ tätig, sondern versicherungspflichtig beschäftigt. Die Richter stützten ihre Entscheidung auf verschiedene, sich in der Summe ergänzende Gesichtspunkte. Folgende Umstände waren maßgeblich:

 

  • Der Zahnarzt stellte über sein „Sondervermögen“ der Praxis die Betriebsmittel (Einrichtung) ohne Kostenbeteiligung der Zahnärztin zur Verfügung.
  • Die Zahnärztin trug weder ein Kapitalrisiko noch ein unternehmerisches Risiko. Sie war weder am Verlust noch am Gewinn der Gesellschaft beteiligt.
  • Gegenüber der KZV bzw. Privatpatienten rechnete allein der Zahnarzt ab.
  • Hinzu kamen die im Innenverhältnis stark beschränkte Vertretungsbefugnis und einige Sonderrechte für den Seniorpartner. So war z. B. nur der Zahnarzt befugt, bei über sechswöchiger Erkrankung der Zahnärztin zulasten ihres Gewinnanteils einen Vertreter einzustellen.

 

Die für eine Freiberuflichkeit sprechenden Indizien – eine nicht weisungsgebundene Tätigkeit, keine Haftungsfreistellung der Zahnärztin im Innenverhältnis – hielt das Gericht für irrelevant. Dasselbe galt für die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch den Zulassungsausschuss. Das allerdings bedeute nicht, dass die Einordnung durch den Zulassungsausschuss nicht doch als gewichtiger Gesichtspunkt in die Gesamtabwägung einfließen könne.

Hinweise zur Vertragsgestaltung

Zur Auslegung des Merkmals „in freier Praxis“ ist zum einen darauf abzustellen, dass der (Zahn-)Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortung und an eigenem wirtschaftlichen Risiko charakterisiert ist. Zum anderen trägt das Berufsbild – der freiberuflich Tätigen – im Ganzen einen unternehmerischen „Zug“, der auf Selbstverantwortung, individuelle Unabhängigkeit und eigenes wirtschaftliches Risiko gegründet ist. Zur Tätigkeit „in freier Praxis“ gehört letztlich mehr als für eine Gesellschafterstellung erforderlich ist. Für die Vertragsgestaltung bedeutet dies:

 

  • Jeder Gesellschafter muss das unternehmerische Risiko mittragen: Das zu erzielende Einkommen muss vom Erfolg oder Misserfolg der gesamten Praxis abhängen.
  • Jeder Gesellschafter muss am Gewinn und Verlust beteiligt sein, nicht nur am Umsatz. Berechnet sich der „Gewinnanteil“ eines Gesellschafters unabhängig von den Kosten, so ist dies gerade kein Gewinnanteil.
  • Jeder Gesellschafter sollte mit einem gewissen Kapitaleinsatz an der Gesellschaft (auch am immateriellen Vermögen – „Goodwill“) beteiligt sein.
  • Die Regelungen u. a. zur Vertretung und auch zum Urlaub sollten möglichst paritätisch ausgestaltet sein.

 

Ist ein Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis als scheinselbstständig anzusehen, müssen an die Rentenversicherungsträger nicht nur bis zu vier Jahre Sozialabgaben nachgezahlt werden. Es drohen auch Honorarrückforderungen der KZV, von der drohenden Gewerbesteuerpflicht ganz zu schweigen.