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26.04.2017·Aufklärungspflicht Ausreichender zeitlicher Vorlauf: Wann muss der Patient aufgeklärt werden?

·Aufklärungspflicht

Ausreichender zeitlicher Vorlauf: Wann muss der Patient aufgeklärt werden?

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Kanzlei Roever Broenner Susat Mazars, Berlin, www.mazars.de

| Unter prozessualen Gesichtspunkten sind Aufklärungsversäumnisse oft folgenschwerer als Behandlungsfehler, weil der Behandler bekanntlich beweisen muss, dass ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Aufklärung erfolgen muss. |

Gesetzliche Regelung seit 2013

Wie das Arzthaftungsrecht generell sind auch die Grundsätze der Aufklärung im Wege der Rechtsfortbildung durch Richterrecht geformt und in Einzelfallentscheidungen (fort-)entwickelt worden. Durch das Patientenrechtegesetz von 2013 sind diese Grundsätze im Wesentlichen kodifiziert worden. Zu Inhalt und Zeitpunkt der Aufklärungspflicht heißt es in § 630e BGB (auszugsweise):

 

  • § 630e Aufklärungspflichten
  • 1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
  •  
  • 2) Die Aufklärung muss […] 2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann. […]. Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

 

Frühzeitig, aber nicht zu früh

Die Aufklärung muss also „rechtzeitig“ erfolgen. Eine allgemeingültige Aussage zum richtigen Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs ist wegen der Vielfalt potenziell aufklärungspflichtiger Sachverhalte generell nicht möglich. Es lassen sich aber Grundsätze formulieren.

 

Die Aufklärung hat so früh wie möglich und im Idealfall bereits dann zu erfolgen, wenn der Arzt mit dem Patienten den geplanten Eingriff bespricht und einen festen Termin dafür vereinbart (Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2014, Az. VI ZR 143/13, Abruf-Nr. 140750). Andererseits sollten die Aufklärungsinhalte zum Zeitpunkt der Behandlung noch präsent sein, sodass eine allzu zeitige Aufklärung ebenfalls nicht erfolgen sollte.

 

Wichtig: Der Patient muss nach dem persönlichen Aufklärungsgespräch immer noch die Chance haben, sein Selbstbestimmungsrecht frei von faktischer und psychischer Einflussnahme ausüben zu können.

Aufklärung speziell bei ambulanter Behandlung

Während die Aufklärung eines stationär aufgenommenen Patienten grundsätzlich nicht später als am Tag vor dem Eingriff erfolgen darf (BGH, 25.03.2003, Az. VI ZR 131/02, Abruf-Nr. 031165), reicht bei ambulanten Eingriffen grundsätzlich eine Aufklärung am Tage des Eingriffs aus (BGH, 15.02.2000, Az. VI ZR 48/99). Da vermehrt aber nicht nur „einfache“ Maßnahmen ambulant durchgeführt werden, mag dies zunehmend eher als grobe Richtschnur gelten. Der Grundsatz gilt auch laut BGH dann nicht, wenn die Aufklärung erst so unmittelbar vor dem Eingriff erfolgt, dass der Patient unter dem Eindruck steht, sich nicht mehr aus einem in Gang gesetzten Geschehensablauf lösen zu können.

Aufklärung am Behandlungstag ist nicht per se verspätet

Aus alledem ergibt sich: Bei ambulanten chirurgischen Eingriffen ist eine Aufklärung am Behandlungstag nicht per se verspätet. Dagegen ist auch bei weniger invasiven Maßnahmen – wie umfangreichen prothetischen Versorgungen – die Aufklärung deutlich früher durchzuführen. Durch den zeitlichen Vorlauf soll der Patient die Möglichkeit haben, zwischen den jeweiligen – ebenfalls aufklärungspflichtigen – Behandlungsalternativen (u. a. festsitzend oder herausnehmbar, Kronen oder Implantate) abzuwägen und in Ruhe eine Entscheidung zu treffen. Gleiches gilt bei kostenintensiven Maßnahmen, bei denen der Patient einen höheren Eigenanteil zu leisten hat. Hier ist ein gewisser Vorlauf schon deshalb angezeigt, weil der Umfang seines Versicherungsschutzes zu prüfen ist.

 

Unerheblich für die Rechtzeitigkeit der Aufklärung ist es dagegen, ob diese mündlich oder schriftlich erfolgt. Eine schriftliche Aufklärung am Eingriffstag erfordert also nicht zwingend das Abwarten bis zum Folgetag. Die schriftliche Dokumentation erleichtert vielmehr die Beweisführung im Einzelfall.

Zweitmeinungsverfahren gilt noch nicht für Zahnärzte

Gemäß § 27b Abs. 5 SGB V müssen Ärzte bei bestimmten – vom Gemeinsamen Bundesausschuss per Richtlinie festzulegenden – Eingriffen ihre Patienten über ihr Recht auf eine Zweitmeinung mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff aufklären. Diese Aufklärungspflicht gilt jedoch nur für planbare Eingriffe, bei denen nicht auszuschließen ist, dass die Gefahr einer Indikationsausweitung besteht (§ 27b Abs. 1 Satz 1 SGB V).

 

Nach Auffassung der Bundeszahnärztekammer und der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung betrifft § 27b SGB V ausschließlich den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat dies für die derzeit zu beratende Richtlinie akzeptiert, im Grundsatz aber offengelassen. Dementsprechend ergibt sich derzeit noch keine zusätzliche Aufklärungspflicht für Vertragszahnärzte – in Stein gemeißelt ist dies jedoch nicht.