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30.05.2018·Praxisführung Was ist ausreichend und wirtschaftlich im Sinne der GKV und wie sieht die Realität aus?

·Praxisführung

Was ist ausreichend und wirtschaftlich im Sinne der GKV und wie sieht die Realität aus?

von Dr. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Als in Deutschland niedergelassener Zahnarzt bin ich durch meinen Vertrag mit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verpflichtet, meine Patienten „ausreichend, wirtschaftlich, das Maß des Notwendigen nicht überschreitend“ zu behandeln. Das ist scheinbar eine klare vertragliche Regelung. Trotzdem gibt es in BEMA und Kommentaren viele Richtlinien, die versuchen, diese Begriffe weiter zu definieren. Auch gibt es von KZV zu KZV unterschiedliche Interpretationen dieser doch sehr dehnbaren Begriffe. |

Was ist unter „ausreichend“ zu verstehen?

Fangen wir mit dem Begriff „ausreichend“ an. Ausreichend ist in der Schule keine gute Note … Ausreichend für wen? Für das Selbstverständnis des Zahnarztes ‒ also „lege artis“ ‒ oder reicht „geht auch so“? Für den Patienten ausreichend? Der eine legt Wert darauf, bis an das Ende seiner Tage mit seinen eigenen Zähnen zu schlafen. Er möchte also eine vorbeugende Zahnmedizin, um dieses Ziel zu erreichen. Für ihn ist die bestmögliche zahnärztliche Leistung gerade gut genug. Alles andere ist für ihn nicht ausreichend und damit indiskutabel! Andere wieder sind schon glücklich, wenn sie schmerzfrei sind. Ob sie ihre eigenen Zähne noch haben, ist ihnen nicht so wichtig.

 

Die Wirtschaftlichkeit kann man auch aus mehreren Standpunkten betrachten ‒ z. B. vom Standpunkt der Krankenkasse aus. Da ist das, was jetzt und gleich am billigsten zu machen ist, das Wirtschaftliche, wenn es denn mindestens 2 Jahre hält. Nach 3 Jahren wird jede Krankenkasse in der Regel ohne Nachfragen eine neue Versorgung genehmigen. Krankenkassen sind Körperschaften ‒ sie denken in kurzen Abrechnungsperioden. Der Patient denkt da meistens schon etwas anders: Die Langzeitwirtschaftlichkeit spielt für ihn eine große Rolle. Deshalb wird er bereit sein, heute mehr Geld zu investieren, wenn wir ihm glaubhaft versprechen können, dass es dafür länger hält.

Der medizinische Fortschritt muss berücksichtigt werden

Im BEMA-Z gibt es die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen“. Dort heißt es (2.1/4): „Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen“. Das ist doch schon ein ganz anderer Anspruch, der hier definiert wird! Da wird doch jetzt eine zeitgemäße Zahnmedizin gefordert ‒ also Note 1! Nicht mehr nur Note 4, also ausreichend wie eingangs dargelegt.

 

Des Weiteren steht unter 2.1C/8 zu lesen: „Der Zahnarzt soll Art und Umfang des Zahnersatzes nach den anatomischen, physiologischen, pathologischen und hygienischen Gegebenheiten des Kauorgans bestimmen.“ Das bedeutet, dass es z. B. Pflicht des Behandlers ist, sich Gedanken über den ansonsten intakten, aber stark abradierten Eckzahn zu machen, wenn deshalb die physiologisch notwendige Eckzahnführung des Patienten nicht mehr funktioniert.

Leistung war medizinisch sinnvoll, aber keine Kassenleistung

Stellt der Behandler z. B. eine mit Keramik verblendete Krone am Zahn 17 des Patienten her und die Keramik bricht nach kurzer Zeit, wird es dem Zahnarzt wenig helfen, wenn er sich auf das „Bruxen“ des Patienten bezieht, um die Fraktur zu erklären: Ohne den Schutz der Front- bzw. Eckzahnführung entstehen während der physiologischen Kieferbewegungen Interferenzen im Seitenzahnbereich, die zu Höckerfrakturen und zu Zahnlockerungen sowie parodontalen Defekten führen können. Insofern ist damit zu rechnen, dass vor Gericht ein Gutachter dem Zahnarzt den Vorwurf macht, die Eckzahnführung nicht z. B. durch einen Kompositaufbau oder eine palatinale Keramikteilkrone vorher wiederhergestellt zu haben, um die neue Krone zu schützen.

 

Ich hatte kürzlich so einen Fall: Wir haben über den Heil- und Kostenplan auch eine Teilkrone am Eckzahn des Patienten beantragt (Teilkronen sind Kassenleistung!), um die Eckzahnführung wiederherzustellen und um dadurch die neuen Kronen ‒ die an den stark gefüllten Prämolaren und Molaren angefertigt werden mussten ‒ zu schützen.

 

Die Krankenkasse hat die Planung zum Gutachter geschickt. Dieser hat bestätigt, dass es sich bei der Wiederherstellung der Eckzahnführung um eine medizinisch sinnvolle Behandlung handelt. Er hielt sie aber nicht für eine Kassenleistung, weil der Eckzahn im Gegensatz zu den Seitenzähnen nicht kariös zerstört war. Auf meine Argumentation betreffend die medizinische Notwendigkeit einer „canine protection“ benannten Eckzahnführung, ohne die eine im BEMA geforderte Zweckmäßigkeit und Langzeitwirtschaftlichkeit der Kronen im Seitenzahnbereich nicht erreichbar ist, wollte er nicht eingehen.

 

Wir hatten Glück: Unser Patient hat die Teilkrone privat bezahlt. Was hätten wir aber getan, wenn er nicht dazu bereit gewesen wäre? Wie wären wir rechtlich gestellt gewesen, wenn wir den gutachterlichen Empfehlungen gefolgt wären und nur 14 bis 17 überkront hätten ‒ trotz der insuffizienten funktionellen Verhältnisse? Was wäre passiert, falls der Patient damit unzufrieden gewesen wäre und die Keramik an den Kauflächen innerhalb der Garantiezeit gebrochen wäre? Würde es vor Gericht helfen, sich auf die laut Gutachter vom GKV-Standpunkt ausreichende Versorgung der Backenzähne zu beziehen? Hilft mir das Gutachten aus der Patsche? Ich denke eher nicht …

Wie bewältigt man den täglichen Spagat in der Praxis?

Wäre es da nicht sinnvoll und rechtssicher gewesen, die Behandlung unter diesen Umständen komplett abzulehnen? Was hätten Sie gemacht? Wie gehen Sie mit dem täglichen Spagat zwischen den Forderungen von Patienten und Krankenkassen, den verschiedenen Meinungen und Interpretationen von Gutachtern und KZVen betreffend Ihren kassenzahnärztlichen Pflichten um?