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31.05.2016·Risiko Depression Schlechte Einheilung und Implantatverlust: Antidepressiva wirken auch am Knochen!

·Risiko Depression

Schlechte Einheilung und Implantatverlust: Antidepressiva wirken auch am Knochen!

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter „ZahnmedizinReport“, Berlin

| Die Universität zu Buffalo stellte jüngst eine Pilotstudie vor, nach der Antidepressiva die Einheilung von Implantaten stören können. Das ist zwar nichts Neues – aber ein Grund, im täglichen Praxisbetrieb die Medikamentenanamnese nicht auf die leichte Schulter zu nehmen! |

Schlummert eine „Zeitbombe“ unter vielen Implantaten?

„Pilotstudie“ – das klingt nach ganz neuen Erkenntnissen. Und genauso verkaufte die Pressestelle der Universität zu Buffalo auch die Ergebnisse einer retrospektiven Analyse von 74 Patientenfällen: „Antidepressants linked to tooth implant failure, new study finds“. Da Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI = Selective Serotonin Reuptake Inhibitor) zu den viel verschriebenen Medikamenten zählen, schlummert eine Zeitbombe unter vielen Implantaten – so die Botschaft.

 

74 Patienten – 41 Frauen und 33 Männer – erhielten an der Universität zu Buffalo bis zu 11 Zahnimplantate pro Patient, wobei allerdings 44 Patienten nur ein Implantat und 20 Patienten 2 Implantate bekamen. 6 Patienten schließlich verloren jeweils nur ein Implantat. Und bei diesen kam die Gabe von Antidepressiva häufiger vor. Daraus errechnet sich, dass die Wahrscheinlichkeit eines Implantatversagens unter Antidepressiva knapp viermal höher im Vergleich zu den Kontrollen ist (Odds Ratio = 3,93, 95 %-Konfidenzintervall = 0,61 – 25,51). Mit jedem Jahr des Antidepressiva-Konsums verdoppelte sich das Risiko des Implantatversagens (Odds Ratio = 2.18, 95 %-KI = 0,68 – 7,02).

 

Die geringen Fallzahlen und die breite Streuung der Versagenswahrscheinlichkeiten geben nur einen Trend wieder, dessen sind sich die Wissenschaftler bewusst. Deshalb formulieren sie vorsichtig: „Antidepressiva-Konsum kann mit Implantatversagen assoziiert sein.“ Und dann der Standardsatz: „Diese Ergebnisse müssen durch größere, prospektive Studien bestätigt werden.“

Der Zusammenhang ist seit Längerem bekannt

Neu sind diese Vermutungen nicht: Bereits 2014 hatten kanadische Zahnmediziner eine wesentlich größere Kohorte untersucht: 490 Patienten, die 916 Dentalimplantate erhalten hatten. Davon standen 51 Patienten (94 Implantate) unter dem Einfluss von Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Im Ergebnis dieser retrospektiven Kohortenstudie konnte die Verlustrate der osseointegrierten Implantate bei der Gruppe ohne Medikation mit 4,6 Prozent und bei der Gruppe mit Medikation mit 10,6 Prozent beziffert werden. Hier war das Risiko also ca. 2,3-mal höher. Darüber hinaus zeigte sich das Implantatverlustrisiko auch bei Rauchern und bei der Verwendung von Implantaten mit kleinerem Durchmesser (≤4 mm) erhöht.

Nebenwirkungen – Risiken für die orale Gesundheit

Die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer weisen gleich mehrere Nebenwirkungen auf, die die orale (Knochen-)Gesundheit beeinträchtigen können: Xerostomie, Akathisie, Bruxismus und Osteoporose. Xerosostomie (Mundtrockenheit) beeinträchtigt den natürlichen Schutz der Mundflora durch den Speichel. Bakterien haben leichtes Spiel: Karies, Parodontitis/Periimplantitis und Erosionen werden begünstigt – oft noch verstärkt durch das Lutschen von (sauren) Bonbons, mit denen der Speichelfluss angeregt werden soll. Die Akathisie (krankhafte Bewegungsunruhe) beeinträchtigt ebenso wie der Bruxismus Kiefergelenk, Knochen und Zähne. Die Einheilung und der Sitz der verheilten Implantate kann durch die auftretenden mechanischen Kräfte massiv beeinträchtigt werden – bis hin zum Herausbrechen aus dem Knochen.

 

Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wirken aber auch in die Ebene des Zellwachstums und -abbaus hinein: Der Botenstoff Serotonin spielt nicht nur im zentralen Nervensystem, sondern auch im Herz-Kreislauf-System, im Magen-Darm-System und im Knochensystem eine Rolle. Der Organismus ist dabei in der Lage, auf unterschiedliche Serotonin-Konzentrationen zu reagieren und verschiedenartige Signaltransduktionswege zu starten. Dies ist die Hauptursache für die oft gegensätzlichen Funktionen von Serotonin im Organismus.

 

In vitro, in vivo und in kollektiven klinischen Daten zeigt sich übereinstimmend, dass SSRIs in der therapeutischen Dosierung zur Behandlung von Depressionen eine negative Wirkung auf Knochen haben. Bereits 2004 und 2005 wurde in mehreren wissenschaftlichen Aufsätzen beschrieben, dass Serotonin die Ausbildung von knochenabbauenden Osteoklasten beeinflusst. Warden et al. warnten 2005 deshalb vor dem Verschreiben von SSRI an Kinder und Heranwachsende. Lerner zeigte in einer Übersichtsarbeit, dass SSRI-Patienten ein erhöhtes Risiko für sekundäre Osteoporose und Knochenfrakturen haben. 2008 warnte Warden auch vor Risiken der SSRI nach der Menopause und im Zusammenhang mit Östrogenmangel.

 

PRAXISHINWEIS | Wenn es auch im Zusammenhang mit Dentalimplantaten noch nicht viele klinische Daten gibt, sollten Sie in der implantologischen Praxis doch das Risiko dieser weit verbreiteten Medikamente auf den Behandlungs-(miss-)erfolg bedenken. Zusätzliche Risikofaktoren sind Rauchen, Menopause, aber auch ungünstige Implantatdimensionen. Hier sollte in Zusammenarbeit mit dem Patienten die Indikation für Implantate überdacht werden, wenn alternative prothetische Möglichkeiten zur Verfügung stehen.

 

Weiterführender Hinweis

  • Eine ausführliche Literaturliste zu dieser Thematik finden Sie online unter pi.iww.de im Anschluss an diesen Beitrag.
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Quellen