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31.05.2016·Zahnarzthaftung Implantatverlust: Völlige Unbrauchbarkeit indiziert nicht automatisch einen Behandlungsfehler!

·Zahnarzthaftung

Implantatverlust: Völlige Unbrauchbarkeit indiziert nicht automatisch einen Behandlungsfehler!

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Berlin

| Das Kammergericht Berlin hat klargestellt, dass Schadenersatzansprüche gegen einen Zahnarzt nicht schon allein deshalb berechtigt sind, weil eine prothetische Versorgung gänzlich unbrauchbar ist (Urteil vom 23.4.2015, Az. 20 U 207/14, Abruf-Nr. 185535). |

Der Sachverhalt

Die Zahnärztin hat bei der Patientin in den Jahren 2009 und 2011 umfangreiche implantatgetragene prothetische Versorgungen im Oberkiefer durchgeführt. Dabei wurde zunächst im Oktober 2010 eine erste und im Dezember 2011 eine zweite Prothese eingesetzt. Im Rahmen von angeblich 34 Nachbesserungsversuchen entwickelte sich bei der Patientin eine Periimplantitis, die das Entfernen der ersten prothetischen Versorgung erforderlich machte.

 

Die Patientin brach die Behandlung im Dezember 2012 schließlich ab. Sie verlangte die Rückerstattung des von ihr gezahlten zahnärztlichen Honorars in Höhe von insgesamt rund 9.600 Euro, ein Schmerzensgeld von 7.500 Euro sowie die Feststellung, dass sämtliche zukünftige Schäden ebenfalls zu ersetzen seien. Sie machte geltend, die zuerst gefertigte implantatgetragene Prothese sei überdimensioniert gewesen. Aufgrund dessen habe sich eine Periimplantitis gebildet. Weil die Prothese entfernt werden musste, sei diese Versorgung für sie unbrauchbar und wertlos, sodass ihr der geltend gemachte Anspruch zustehe. Die zweite Prothese sei ebenfalls falsch dimensioniert und nicht funktionsfähig gewesen.

 

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat seine Begutachtung auf die Behandlungsdokumentation gestützt. Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien in erster Instanz waren die Prothesen nicht mehr vorhanden. Im Verhandlungstermin in zweiter Instanz vor dem Kammergericht wurde erstmals vorgetragen, die Prothese sei doch noch vorhanden.

Implantatverlust rechtfertigt keinen Rückschluss auf einen Behandlungsfehler

Das Kammergericht hat die erstinstanzliche Klageabweisung durch das Landgericht Berlin bestätigt und sich in diesem Zusammenhang auf anerkannte Grundsätze des Arzthaftungsrechts gestützt. So habe die Patientin zu beweisen, dass der Zahnarzt sie fehlerhaft behandelt habe. Hierfür genüge es nicht, dass das Behandlungsergebnis den angestrebten Erfolg – nämlich die Heilung oder Besserung – nicht aufweist. Ebenso wenig seien Ersatzansprüche allein deswegen berechtigt, weil die Arbeit des Zahnarztes gänzlich unbrauchbar sei, die erste Prothese letztlich nicht zu benutzen war und entfernt werden musste. Es komme allein darauf an, ob ein schuldhafter Behandlungsfehler begangen wurde, indem gegen den zahnärztlichen Behandlungsstandard verstoßen worden sei.

 

Ein Behandlungsfehler konnte auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens – und vermutlich wohl insbesondere, weil die Prothetik zum Begutachtungszeitpunkt nicht vorlag – gerade nicht festgestellt werden. Der Sachverständige hatte keine eindeutige Aussage treffen können. Zwar „bestehe mit Blick auf die auffällige Anzahl von Nachbehandlungsterminen der Verdacht, der Zahnersatz sei nicht funktionsgerecht gestaltet; auch sei den Behandlungsunterlagen zu entnehmen, dass insbesondere das Herausnehmen der ersten prothetischen Arbeit Schwierigkeiten bereitet habe und dies den Schluss auf Friktionsprobleme zulasse.“ Der Sachverständige hatte diesen Befund jedoch dahin gehend eingeschränkt, dies sei lediglich eine Spekulation seinerseits. Er konnte sich nicht darauf festlegen, dass eine fehlerhafte Friktion vorlag („vielleicht, vielleicht auch nicht“).

Fehlende Einheilung eines Implantats ist nicht zwingend dem Behandler anzulasten

Der Sachverständige hatte außerdem ausgeführt, dass auch bei fachgerechter – implantologischer – Behandlung eine Verlustquote von 5 Prozent bestehe. Unter Hinweis auf das „Konsenspapier Periimplantitis“ (BDIZ EDI 2008) lasse sich ein Rückschluss auf einen Behandlungsfehler wegen der eingetretenen Periimplantitis jedoch nicht ziehen. Denn laut Konsenspapier können für eine Periimplantitis neben einer Fehlpositionierung der Suprakonstruktion viele weitere als „Risikopotenzial“ bezeichnete Faktoren verantwortlich sein (z. B. chirurgische Intervention bei der Implantation, die zu einer Prädisposition einer Periimplantitis führen kann). Die fehlende Einheilung eines Implantats sei nicht zwingend dem Behandler anzulasten.

Beweislast im Haftungsprozess oft entscheidend

Die Entscheidung belegt einmal mehr die entscheidende Bedeutung des Sachverständigen im Arzthaftungsprozess. Kann der Sachverständige einen Verstoß gegen den geltenden Facharztstandard nicht feststellen, liegt im Zweifel kein Behandlungsfehler vor. Prozentuale Wahrscheinlichkeitsangaben darf der Sachverständige bei seiner Beurteilung nicht zugrunde legen. Der Hinweis auf eine statistische Wahrscheinlichkeit genügt nicht.

 

PRAXISHINWEIS | Im Arzthaftungsprozess ist darüber hinaus ein vollständiger Tatsachenvortrag in erster Instanz von überragender Bedeutung. Im Urteilsfall war vermutlich auch streitentscheidend, dass die Prothesen zum Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen in erster Instanz nicht vorlagen. Aufgrund zivilprozessualer Vorgaben hat sich das in der Berufungsinstanz zuständige Kammergericht auf den Standpunkt gestellt, dass eine nachträgliche Begutachtung der Prothese nicht erfolgen durfte. Vielmehr war der neue Vortrag nicht mehr zu berücksichtigen, weil er bereits in erster Instanz hätte vorgebracht werden können. Im Berufungsverfahren kann daher allein aus prozessrechtlichen Gründen der Ausschluss neuen – eventuell sogar zutreffenden – Vorbringens drohen und nur deshalb der Prozess verloren gehen.