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02.12.2014·Zahnmedizin Die Periimplantitis – ist das ein hausgemachtes vermeidbares Problem?

·Zahnmedizin

Die Periimplantitis – ist das ein hausgemachtes vermeidbares Problem?

von Dr. med. dent. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Wie entsteht die Periimplantitis, ist sie vermeidbar – und wenn ja unter welchen Voraussetzungen? Davon handelt dieser Beitrag. |

Wieso leiden wir nicht alle an Parodontitis oder Periimplantitis?

Der menschliche Körper wird durch die „Epitheliale Barriere“, die aus unserer Haut und den Schleimhäuten besteht, vor schädlichen Einflüssen der Umwelt geschützt. Unsere Zähne durchbrechen diese Barriere. Durch entzündliche und autoimmune Prozesse, wie sie während einer Parodontitis eingeleitet werden, kann die „Biologische Breite“ so stark beschädigt werden, dass sie ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen kann und Bakterien sowie deren Giftstoffe in die Tiefe unseres Kiefers eindringen können. Die Folgen – von der Bildung von Knochentaschen bis zum Zahnverlust und den negativen Wirkungen auf die allgemeine Gesundheit – sind weitreichend.

 

Bereits 1961 beschreiben Gargiulo et al. die „Biologische Breite“ als einen dimensional stabilen, physiologisch anatomischen Bestandteil des Parodonts. Die „Biologische Breite“ besteht aus dem gingivalen Sulkus, der im gesunden Zustand durchschnittlich 0,69 mm tief ist, dem epithelialen Attachment (durchschnittlich 0,97 mm breit) und dem bindegewebigen Attachment (durchschnittlich 1,07 mm breit). Diese durchschnittlich 2,73 mm breite anatomische Formation dichtet um die Zähne herum das Innere unseres Organismus von der Mundhöhle ab und ist ein wichtiger Bestandteil der „Epithelialen Barriere“ des Körpers.

Ursächlicher Bezug zwischen Parodontitis und Diabetes?

Es gibt Berichte, wonach über Schäden am Parodontalgewebe – an der biologischen Breite – Bakterien aus der Mundhöhle in unsere Blutlaufbahn geraten können und dort für Arteriosklerose ursächliche Schäden am Endothel der Blutgefäße bewirken. Andere Berichte kolportieren einen direkten gegenseitigen ursächlichen Bezug zwischen Parodontitis und Diabetes. Selbst für mindergewichtige Neugeborene oder Fehlgeburten könnten über Parodontaldefekte eingetretene Bakterien verantwortlich sein. Der endgültigewissenschaftliche Beweis für diese Theorien fehlt zwar noch, aber statistische Häufungen von Diabetes, Herzinfarkten und Schlaganfällen bei an Parodontitis leidenden Patienten im Vergleich zu parodontal gesunden Menschen sind ein deutliches Indiz dafür, dass sie stimmen könnten.

Was passiert, wenn die Schleimhaut durchbrochen wird?

An der Durchtrittsstelle des Implantats zur Mundhöhle bildet sich ein Gewebeabschnitt, der im Aufbau dem entsprechenden Bereich am Zahn gleicht. Hermann et al. (2000) geben für die „Biologische Breite“ am Implantat durchschnittliche Werte von 3 mm an. Diese Werte sind für subgingival einheilende Implantate größer (3,8 mm) als für transgingival, offen einheilende Implantate, bei denen die „Biologische Breite“ die gleiche Tiefe hat wie am natürlichen Zahn: 2,73 mm (Cochran, D.L et al. 1997; Hermann, J.S. et al. 2001). Bereits in einer Studie von 1996 kommen Berglundh und Lindhe zu folgendem Schluss:

 

„Für die Ausbildung einer stabilen Biologischen Breite ist eine suprakrestale Implantatoberfläche mit einer apikokoronalen Ausdehnung von mindestens 3 mm erforderlich.“

 

Mainstream favorisiert heute deutlich die auf Knochenhöhe inserierten Implantate

Diese Studien sowie viele Arbeiten des ITI aus den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren sind heute vergessen … Wie sonst können Sie sich erklären, dass der Mainstream in der Implantologie heute deutlich die auf Knochenhöhe inserierten Implantate favorisiert? Implantate, denen der laut Berglundh und Lindhe notwendige 3 mm supracrestale Anteil fehlt, der eine Bildung der „Biologischen Breite“ ermöglichen bzw. erleichtern soll?

 

Auf einem mikrobeweglichen Abutment – siehe die Studien von Zipprich -, bei dem Bakterien durch die Verschraubung und das Innenleben des Implantats bis in den auf Knochenhöhe liegenden Spalt zwischen dem Abutment und dem Implantatkörper gelangen, bildet sich keine „Biologische Breite“. Wozu denn auch, sie wird ja sowieso über den oben beschriebenen Weg von den Bakterien unterwandert. Und zwar von Bakterien, die direkt unter die Schleimhaut auf den Knochen gelangen (Broggini, McManus, Hermann 2003).

Der Organismus weiß sich zu helfen

Zum Glück weiß sich unser Organismus zu helfen: Sie kennen sicherlich alle die wannenförmigen kleinen Knochendefekte, die innerhalb weniger Wochen um ein freigelegtes Implantat entstehen und danach für viele Jahre stabil sind: Die Gingiva um das Implantat löst in ihrer Not den Knochen um die künstliche Zahnwurzel auf, bis mindestens 2 mm davon supracrestal stehen. Darauf bilden sich dann das bindegewebige und das epitheliale Attachment der „Biologischen Breite“, nach apikal vom Spalt zwischen Implantatkörper und Abutment.

 

Beim Plattformswitching mancher moderner Implantate funktioniert das etwas besser, da wird ein Teil der für die „Biologische Breite“ notwendigen supracrestalen Implantatanteile von der Vertikalen in Richtung horizontal geneigt. Dadurch reduziert sich die Tiefe der Knochendefekte und damit auch die der sondierbaren periimplantären Schleimhauttasche.

 

Solche knöcherne Defekte beobachten wir jedoch nur in Ausnahmefällen in Verbindung mit einteiligen oder bei transgingival einheilenden Implantaten. Diese bieten auf ihrem supracrestalen Anteil der „Biologischen Breite“ den notwendigen Lebensraum: Hier bildet sich von Anfang an ein stabiles, gesundes Gewebe, ähnlich aufgebaut wie um einen natürlichen Zahn herum, mit geringen Sondiertiefen, das nicht mehr durch Freilegung und Manipulation mit den Abutments traumatisiert wird.

 

Auf Knochenniveau gesetzte Implantate funktionieren nicht, weil wir es so machen, sondern obwohl wir es so machen … Studien von Jemt, Book, Lie und Börjesson im Jahre 1994 in Göteborg berichten bereits von der Gingivahyperplasie, die um die meisten auf Knochenniveau gesetzten Implantate beobachtet wird. In Verbindung mit der Arbeit von Broggini, McManus und Hermann (2003) ist es eigentlich klar, dass um diese Implantate immer eine mehr oder minder schlimme chronische Entzündung herrscht, eine Mukositis, ein Vorstadium der Periimplantitis.

 

Langsam aber sicher nimmt in den langjährig nach dem Knochenniveauprotokoll arbeitenden Praxen die Anzahl der von Periimplantitis beeinträchtigten Implantate zu. Wahrscheinlich beeinträchtigen chronische Mukositis und Periimplantitis den allgemeinen Gesundheitszustand des Implantatträgers ähnlich wie es die Parodontitis tut …

Kein entzündliches Infiltrat im Gewebe um einteilige oder transgingivale Implantate mit supracrestalem Anteil

Muss das sein? Nein! Die bereits zitierte Arbeit von Broggini, McManus und Hermann kann im Gewebe um einteilige oder transgingivale Implantate mit supracrestalem Anteil kein entzündliches Infiltrat erkennen! Warum vergessen oder verdrängen wir alle diese in den Pionierzeiten der Implantologie gewonnenen Erkenntnisse? Welche Indikation besteht unter Berücksichtigung der zitierten Arbeiten überhaupt noch für ein auf Knochenniveau gesetztes Implantat im Seitenzahnbereich?

Periimplantitis bisher kein Thema

Meine persönlichen Erfahrungen: Ich implantiere seit 20 Jahren. Trotzdem ist Periimplantitis bei meinen Patienten kein Thema. Die verwendeten Implantate? Transgingival, mit supracrestaler Tulpe. Konsequent. Auch im Frontzahnbereich. Probleme mit der Ästhetik? Gibt es auch nicht, falls das „Biologische Breite Protokoll“ angewendet wird, bei dem die Implantatschulter durch zahnanaloge Präparation dem Verlauf des Weichgewebes angepasst und etwa0,5 bis 1 mm subgingival versenkt wird. Sie erinnern sich: Das ist die ungefähre Tiefe des gesunden Sulkus …

 

Die Kronen werden geklebt, der Kronenrand bedeckt die Implantatschulter. Es gibt somit keine Spalte, keine Mikrobeweglichkeit im Verbund Implantat-Krone. Woher ich das weiß? Nun, würde es einen Spalt geben, würde sich die Krone bewegen, dann würde sie doch herausfallen, oder?

 

Weiterführender Hinweis

  • Eine Literaturliste zu diesem Thema ist beim Verfasser erhältlich. Schreiben Sie dazu eine Mail an: georg.taffet@t-online.de