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01.02.2012·Zahnmedizin Kurze Implantate – wie ist die Studienlage?

·Zahnmedizin

Kurze Implantate – wie ist die Studienlage?

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter „Zahnmedizin Report“, Berlin

| Bei zahngetragenem Zahnersatz beeinflusst das Kronen-Wurzel-Verhältnis dessen Überlebensrate, so dass auch bei implantatgetragenen Versorgungen traditionell ein minimales Kronen-Wurzel-Verhältnis von 1 : 1 bei Brückenversorgungen empfohlen wird. Ganz im Gegenteil hierzu wiesen inzwischen aktuelle klinische Studien nach, dass auch bei einem ungünstigeren Verhältnis von klinischer Kronenlänge zur Implantatlänge gute klinische Ergebnisse erzielt werden können. |

Was ist die Ursache für Implantatverluste?

Kurze Implantate können als Alternative zu komplexen Knochenaugmentationen in Betracht gezogen werden, weil bei der chirurgischen Alternative eine höhere Morbidität zu erwarten ist. Außerdem dauert die Behandlung länger und für den Patienten ist sie kostspieliger. Untersuchungen haben ergeben, dass Implantatverluste nicht direkt auf die eigentliche ossäre Implantatlänge zurückzuführen sind, sondern auf eine Kombination aus der Knochenqualität, dem Insertionsort, der Parafunktion, des Geschlechts, der Implantatlänge, des Durchmessers und des Belastungszeitpunkts der Implantate [Adell et al. 1990, Bahat et al. 2000].

 

Schlechte Knochenqualität wird in den meisten Studien als am meisten signifikante Ursache für Implantatverluste angegeben [Becker et al. 1999, Davarpanah et al. 2001]. So sind Komplikationen wohl auch auf Überhitzung während der Insertion von Implantaten breiterer Durchmesser zurückzuführen, da es hierbei häufig zu weiterem Knochenverlust durch Nekrose kommt.

Retroperspektivische Studien zeigen gute Überlebensraten

Experimentelle Vergleichsstudien mit Implantaten zwischen 7 bis 10 mm Länge zeigen keine signifikante Verbesserung der Osseointegration bei der Insertion längerer Implantate [Bernard J et al. 2003]. Seit etwa 2005 liegen retroperspektive Studien vor, die zeigen, dass Überlebensraten mit kurzen Implantaten bis zu 95 Prozent im stark resorbierten Oberkiefer [Tawil et al. 2003, Renouard et al. 2005] und zwischen 88 und 100 Prozent im stark resorbierten Unterkiefer möglich sind [Stellingsma et al. 2004].

 

Auch in einer US-amerikanischen Fallserienstudie über sechs Jahre [Misch et al. 2006] mit 745 eingebrachten Implantaten kam es zu sechs Verlusten zwischen Stadium I und Stadium II (Heilung bis zur prothetischen Versorgung). Nach definitiver prothetischer Versorgung kam es zu keinem Implantatverlust mehr. Die Überlebensrate von Stadium I (Chirurgie bis zur prothetischen Nachbehandlung) lag bei 98,9 Prozent. Betont wird von den Autoren, dass biomechanische Kriterien zur Reduktion der Belastung auf das Knochen-Implantat-Interface berücksichtigt werden müssen.

 

Ähnlich positiv urteilen eine griechische und eine neuere spanische Metaanalyse (Kotsovilis et al. 2009, Mencheor-Cantalejo et al. 2011). Eine weitere Metaanalyse [Domingues das Neves et al. 2006] zeigte, dass unter den Risikofaktoren eine schlechte Knochenqualität in Zusammenwirken mit kurzen Implantaten als Ursache von Fehlschlägen relevant zu sein scheint. In diesen Situationen schien die Verwendung von Implantaten mit 4 mm Durchmesser die Zahl der Fehlschläge zu minimieren. Implantate von 3,75 mm Durchmesser und 7 mm Länge wiesen unter den 1.894 betrachteten Implantaten die höchste Fehlschlagrate auf (9,7 Prozent).

Im lateralen Oberkiefer ist der Sinuslift noch der Goldstandard

Im Vergleich zur Sinusbodenaugmentation ist die Datenlage für kurze Implantate in der lateralen Maxilla deutlich geringer. In einer italienischen Pilotstudie [Felice et al. 2011] zeigten sich bei 5 von 13 Patienten Komplikationen in der mit autogenem Knochen augmentierten Maxilla. In der Testgruppe der kurzen Implantate gab es keine Komplikationen. Anhand diverser Studien [van Assche et al. 2011] scheinen positive Ausblicke für diese Therapien im Oberkiefer möglich, allerdings kann der Knochenverlust um das Implantat in diesen Fällen die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns erhöhen. Deshalb bleibt zur Zeit der Sinuslift der Goldstandard für den lateralen Oberkiefer [Buhtz 2011]. Im Unterkiefer ist die Indikation vornehmlich auf den Seitenzahnbereich limitiert. In der Front sind vertikale Alveolarkammaufbauten weiterhin zur Erzielung ästhetisch wirkender Längen von Kronen erforderlich [Weigl 2011].

 

PRAXISHINWEISE |  Um der reduzierten Primärstabilität entgegenzuwirken, sollten beim Einsetzen kurzer Implantate folgende Punkte beachtet werden:

  • Der implantierende und der prothetische Zahnarzt sollen angemessene klinische Erfahrung besitzen (Misch et al. 2006, Romeo et al. 2010).
  • Die Verwendung kurzer Implantate sollte nur bei günstiger Knochenqualität erfolgen [Renouard & Nisand 2006, Romeo et al. 2010].
  • Kurze Implantate mit maschinierter Oberfläche sollen nicht verwendet werden [Renouard et al. 2006, Das Neves et al. 2006, Olate et al. 2010].
  • Bei der Insertion sollte man auf genügende Kühlung achten, um Hitzeschäden am Knochen vorzubeugen. Neuere Studien empfehlen, auch das Implantat vor dem Inserieren im Gefrierfach zu kühlen [Koyama 2011].
  • Sofortbelastungsprotokolle sollten nicht angewendet werden.
  • Eine temporäre Infraokklusion über etwa sechs Wochen soll vor Überlastung in der Einheilphase schützen.
  • Der temporäre Zahnersatz sollte verblockt werden [Misch et al. 2006]. Für die endgültige Versorgung ist dies allerdings nicht erforderlich.
  • Extensionsbrückenglieder sollten vermieden werden [Misch et al. 2006].
  • Führungsflächen bei Lateralbewegung sollten vermieden werden [Misch 2005, Romeo et al. 2010].
  • Auf die Verwendung von kurzen Implantaten bei Parafunktionen sollte verzichtet werden [Romeo et al. 2010].

Weiterführender Hinweis

Eine Literaturliste zu diesem Thema erhalten Sie im Online-Service von „Praxis Implantologie – PI – (www.iww.de; in „myIWW“ einloggen) unter der Rubrik „Zahnmedizin“.