PraxisführungRecht

Ärztlicher Leiter des MVZ haftet selbst für Abrechnungsfehler der angestellten Ärzte

Für Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten (Doppelabrechnung von Leistungen, fehlerhafte Dokumentation von Leistungen) der angestellten Ärzte eines MVZ ist der Ärztliche Leiter des MVZ auch disziplinarrechtlich verantwortlich. Die Übernahme der Stelle des Ärztlichen Leiters in einem MVZ will daher wohl überlegt sein. Auch sollte sich der Ärztliche Leiter gegen Haftungsansprüche der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung absichern.

von Philip Christmann, Fachanwalt für Medizinrecht, Berlin
www.christmann-law.de

Der Fall:

Ein MVZ betrieb zwei Praxen an zwei Standorten. Das MVZ war dabei als Praxisgemeinschaft angemeldet. Die zuständige Kassenärztliche Vereinigung stellte folgende Verstöße gegen vertragsärztliche Pflichten fest:

  • nicht plausible Doppelbehandlung von Patienten an beiden Standorten
  • gleichzeitiges Einlesen der Versicherungskarten an beiden Standorten, mithin liege eine verrdeckte Gemeinschaftspraxis vor
  • fehlende Dokumentation der 30-minütigen Überwachung als obligater Leistungsinhalt der GOP 30760 EBM

Das MVZ musste daher Honorar zurückzahlen. Die KV erlegte dem Ärztlichen Leiter des MVZ zudem eine Geldbuße von EUR 8.000 auf. Dagegen klagte der Ärztliche Leiter zum Sozialgericht.

Die Entscheidung:

Das Sozialgericht bestätigte nun, dass die Verhängung der Geldbuße gegen den Ärztlichen Leiter rechtmäßig sei. Denn verantwortlich für Fehler bei der Abrechnung und Verletzungen der vertragsärztlichen Pflichten sei in einem MVZ nun einmal der Ärztliche Leiter. Und die beiden MVZ seien rechtsmißbräuchlich vorgegangen und hätten die Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft rechtsmißbräuchlich verwendet.

Es fragt sich zwar, ob diese Rechtsprechung sich durchsetzen wird. Denn das Bundessozialgericht hat die Frage offen gelassen, ob der Ärztliche Leiter – neben der Gesamtverantwortung gegenüber der KV – auch die Verantwortung zur peinlich genauen Honorarabrechnung trägt (BSG, Urteil vom 14.12.2011 – B 6 KA 33/10 R). Sicherheitshalber sollte aber in Anbetracht des Urteils des SG München jeder Ärztliche Leiter berücksichtigen, dass diese Tätigkeit auch mit einer diszipinarrechtlichen Verantwortung verbunden sein kann.

Praxisanmerkung

Der ärztliche Leiter trägt die Verantwortung für die Steuerung der ärztlichen Betriebsabläufe, d.h. für die Auswahl und den Einsatz der Ärzte, deren korrekte Anstellung, woraus sich auch eine (Mit-)Verantwortung für die Ausgestaltung der Verträge der angestellten Ärzte ergibt. Auch hat der Ärztliche Leiter des MVZ die Verantwortung dafür, dass die mit den Quartalshonorarabrechnungen abzugebenden Abrechnungssammelerklärungen korrekt sind.

Daraus ergeben sich folgende Praxishinweise für Ärztliche Leiter von MVZ:

  • die ärztliche Leitung eines MVZ ist mit erheblichem Zeitaufwand, Verantwortung und – wie hier zu sehen – auch disziplinarrechtlichen Risiken verbunden. Oftmals wird der Posten des Ärztlichen Leiters von einem angestellten Arzt “mit erledigt” ohne gesondertes Gehalt. Der Arzt sollte für den Mehraufwand aber auf jeden Fall einen gerechten Aufschlag verlangen.
  • der Ärztliche Leiter muss die Abrechnungen der angestellten Ärzte also auf Plausibilität prüfen bzw. er ist dafür verantwortlich, wenn Dritte wie z.B. ein Abrechnungsservice diese Abrechnung prüfen – für diese Tätigkeit hat er Zeit einzuplanen. Für diese Tätigkeit muss auch die entsprechende abrechnungstechnische Kompetenz vorhanden sein.
  • dem Ärztlichen Leiter ist zu empfehlen, sich von Zahlungsansprüchen wegen Verstößen der angestellten Ärzte gegen vertragsärztliche Pflichten entweder freistellen zu lassen durch das MVZ oder sich entsprechend zu versichern bei einem Haftpflichtversicherer.

Sozialgericht München, 21.01.2021 – S 38 KA 165/19

Hintergrund

Dem MVZ steht gemäß § 95 Abs. 1 S. 2 SGB V ein ärztlicher Leiter vor, der seinerseits entweder als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt im MVZ tätig sein muss. Das Rechtsinstitut des MVZ bietet den angestellten Ärzten nicht nur den Vorteil, dass sie anders als ein zugelassener Vertragsarzt kein unternehmerisches Risiko tragen und zu vertraglich festgelegten Arbeitszeiten tätig sind, sondern auch, dass für sie technisch-administrative Aufgaben entfallen. Wie das Landessozialgericht NRW (24.02.2016 – L 11 KA 58/15 B ER) ausführt, folgt aus der Verminderung der Verantwortung des einzelnen Arztes „die volle Verantwortung des MVZ für die korrekte Organisation der Behandlung und für die Leistungsabrechnung“. Hierbei handle es sich um den Kern der Aufgaben des MVZ. Diese Aufgaben des MVZs werden in Person des ärztlichen Leiters wahrgenommen.

Dementsprechend ist eine Abrechnungs-Sammelerklärung fehlerhaft, wenn sie vom ärztlichen Leiter nicht unterschrieben ist. Er garantiert auch mit seiner Unterschrift, dass die Abrechnungen ordnungsgemäß, d. h. auch vollständig entsprechend der Leistungs­legende erbracht wurden. Daraus folgt, dass der ärztliche Leiter letztendlich die Gesamtverantwortung gegenüber der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung für die von den angestellten Ärzten erbrachten Leistungen trägt.

Nachdem das MVZ nicht Mitglied der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung wird, sondern nur natürliche Personen (vgl. § 77 Abs. 3 SGB V), unterfällt das MVZ nicht der Disziplinargewalt der Kassenärztlichen Vereinigung. Nach § 18 Abs. 1 der Satzung der KV Bayern z.B. können Disziplinarmaßnahmen nur gegenüber Mitgliedern der KV verhängt werden. Aufgrund dieser Zusammenhänge – und da ein ärztlicher Leiter entweder angestellter Arzt im MVZ oder Vertragsarzt ist – ist ein disziplinarrechtlicher Durchgriff auf ihn nicht nur zulässig, sondern auch notwendig (Bayerisches Landessozialgericht, 27.01.2016 – L 12 KA 69/14). Dem kann nicht entgegengehalten werden, die Leistungen seien vom ärztlichen Leiter nicht erbracht worden, sondern von den angestellten Ärzten.

Zwar sind auch angestellte Ärzte im MVZ nach § 95 Abs. 3 S. 2 SGB V Mitglieder einer Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung, so dass Pflichtverstöße auch ihnen gegenüber disziplinarrechtlich verfolgt werden können. Aufgrund der Gesamtverantwortung des ärztlichen Leiters eines MVZs, die auch die Richtigkeit der Abrechnung mit umfasst, besteht aber grundsätzlich keine Notwendigkeit, vorrangig disziplinarrechtlich gegen angestellte Ärzte im MVZ und allenfalls subsidiär gegen den ärztlichen Leiter vorzugehen, auch wenn diese die Leistungen nicht entsprechend der rechtlichen Vorgaben erbracht haben sollten. Das Einstehenmüssen entspricht auch der herausgehobenen Stellung des ärztlichen Leiters eines MVZ´s ähnlich der des Vorstands einer Aktiengesellschaft, in der Regel verknüpft mit deutlich höheren Einkünften.

Ein Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts (11.08.2010 – L 1 KA 54/09), wonach sich der ärztliche Leiter eines MVZ´s nur eigenes Fehlverhalten zurechnen lassen muss, ist durch die nachfolgende Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.12.2011- B 6 KA 33/10 R) aufgehoben worden.

Voraussetzung für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme ist ein Verschulden als subjektiver Tatbestand, wobei ein fahrlässiges Verhalten genügt. Es ist zumindest von Fahrlässigkeit auszugehen, wenn der Arzt in seiner Eigenschaft als ärztlicher Leiter unter mehreren Aspekten gegen seine Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung verstoßen hat.