Zahnmedizin

Leitlinie: Dentale Implantate bei Patienten mit Immundefizienz

Gegenstand einer neuen S3-Leitlinie sind evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zur Indikationsfindung und zum Therapiemanagement von dentalen Implantaten bei Patienten mit einer primären angeborenen oder einer sekundären erworbenen Immundefizienz (z.B. HIV-Infektion) oder einer sekundären Immunsuppression durch medikamentöse Behandlung (z.B. Steroide, Chemotherapeutika).

Neben der postoperativen Wundheilung ist die Osseointegration, das knöcherne Einheilen dentaler Implantate, Voraussetzung für eine erfolgreiche Rehabilitation und hängt maßgeblich von der adäquaten Funktion des Immunsystems ab. Darüber hinaus hat die Funktion des Immunsystems maßgeblichen Einfluss auf eine spätere periimplantologische Entzündungsneigung im Sinne einer Periimplantitis und kann mit der Entstehung anderer pathologischer Veränderungen wie sekundäre Tumoren assoziiert sein.

Ein wichtiges Ziel ist die Indikationsfindung, bei welchen Patienten mit Immunsuppression der Betroffene von einer Implantat-getragenen Rehabilitation profitiert unter Berücksichtigung des individuellen Komplikations-Risikos eines Implantatverlustes durch Entzündung, gestörte Osseointegration und möglicher negativer Folgen für die anatomische Nachbarschaft oder die systemische Gesundheit.

Die Empfehlungen der Leitlinie

Ätiologie und Risikofaktoren

  • Bei allen Patienten mit einer Autoimmunerkrankung, Immundefizienz oder Immunsuppression, die eine Indikation für dentale Implantate haben, sollten weitere Allgemeinerkrankungen und systemische Faktoren, die mit einer erhöhten Rate an Wundheilungsstörungen assoziiert sein können, erhoben werden.
  • Außerdem sollte bei allen Patienten mit onkologischer Grunderkrankung (fremdanamnestisch) die Prognose quoad vitam erhoben und in die Indikationsfindung einbezogen werden.
  • Zur Risikostratifizierung bzgl. der Grunderkrankung und der therapeutischen Faktoren sollte der interdisziplinäre Austausch mit den die Grunderkrankung behandelnden Ärzten (z.B. Internisten, Rheumatologen, Dermatologen, Infektiologen, fachgebietsspezifische Onkologen und Transplantationsmedizinern) herangezogen werden.

Präoperative Vorbehandlung und Diagnostik:

  • Notwendige zahnärztliche Eingriffe zur Sanierung von Infekten und Reduktion des Infektrisikos sollten vor Implantationen durchgeführt werden.
  • Die Wundheilung soll in die Risikoevaluation einfließen.
  • Klinische und radiologische Befunde, die einen Hinweis auf eine Kompromittierung der Weichgewebsheilung, des Knochenumbaus oder der Knochenneubildungsrate geben, sollen erhoben werden und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.
  • Die Motivierbarkeit und die Realisierbarkeit einer allgemeinen Mundhygiene und zukünftiger periimplantärer Hygiene sollte (wegen des möglichen Schweregrades einer entzündlichen Implantatkomplikation) in die Entscheidungsfindung einbezogen werden.

Überprüfung der Implantatindikation

  • Wenn die Grunderkrankung in der klinischen Ausprägung mit einer Vulnerabilität der Mundschleimhaut assoziiert ist, sollte die Indikation von Implantaten zur Tegumententlastung erwogen werden.
  • Die Bewertung des prothetischen Nutzens einer Pfeilervermehrung zur Verbesserung der Prognose der Restbezahnung kann nach denselben Kriterien erfolgen, so wie bei gesunden Patienten ohne Immunsuppression vorgegangen wird.
  • Die Prognose der Restbezahnung sollte, wie auch bei gesunden Patienten, in die Therapieplanung mit einfließen.
  • Die prothetische Nutzenbewertung für eine implantologische Versorgung kann bezüglich des Gewinns an Lebensqualität und Verbesserung der Kaufunktion bei Patienten unter oder nach Immunsuppression nach denselben Kriterien erfolgen, wie bei gesunden Patienten.
  • Bei Patienten mit Immunsuppression sollten Kieferaugmentationen im Rahmen implantologischer Versorgung einer strengen Indikationsprüfung unterzogen werden.
  • Unter Zugrundelegung einer mindestens 24-monatigen Nachbeobachtungszeit zeigen die Literaturdaten zur kurzfristigen Implantatprognose keine relevanten Unterschiede zu Kollektiven ohne Immunsuppression.
  • Bei den meisten immunsupprimierten Patienten sollte daher die Implantatprognose nicht als Hauptkriterium einer Indikationseinschränkung herangezogen werden.
  • Aufgrund von Literaturhinweisen auf eine mögliche negative Beeinflussung des Implantatüberlebens bei Morbus Crohn sollte der Patient über eine schlechtere Implantatprognose aufgeklärt werden.

Aufklärung des Patienten

  • Zusätzlich zur Routineaufklärung sollte der Patient vor einer geplanten Implantatinsertion über individuelle krankheitsbedingte Komplikationsrisiken bis hin zum Implantatverlust aufgeklärt werden.
  • Der Patient sollte über die dringliche Empfehlung zur individuell-risikoadaptierten und strukturierten Nachsorge (inklusive dem Hinweis über diesbezügliche Folgekosten) informiert werden.

Implantatinsertion

  • Eine Empfehlung zur sub- oder transmukosalen Einheilung kann nicht gegeben werden.
  • Die Knochenumbaurate und Neubildungsrate ist unter Immunsuppression verringert. Dies könnte ein Argument gegen eine Sofort- oder Frühbelastung und für eine verlängerte Einheilzeit sein.
  • Die Indikation für eine Sofortimplantation sollte kritisch gestellt werden.

Prothetische Versorgung

  • In der Literatur gibt es keine Daten zur individuellen prothetischen Versorgung bei Immundefizienz oder Immunsuppression.
  • Bei Patienten mit Immundefizienz oder Immunsuppression sollte auf prothetische Konzepte mit einer günstigen Hygienefähigkeit und bei Bedarf tegumental-entlastender Versorgung zurückgegriffen werden.

Nachsorge

  • Patienten mit Immundefizienz oder Immunsuppression sollten eine individuell-risikoadaptierte und strukturierte Nachsorge erhalten.

S3-Leitlinie Dentale Implantate bei Patienten mit Immundefizienz. März 2020. AWMF-Registernummer 083-034. Erstveröffentlichung Mai 2020.
https://www.apw.de/documents/10165/1373255/LL_083-034_S3_Implantate_Immundefizienz_lang_2019.pdf