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01.03.2013·Aktuelle Rechtsprechung Amtsgericht Mannheim: Krankenversicherung muss auch sechs Implantate bezahlen

·Aktuelle Rechtsprechung

Amtsgericht Mannheim: Krankenversicherung muss auch sechs Implantate bezahlen

von Beate Bahner, Fachanwältin für Medizinrecht in Heidelberg und Anwältin des behandelnden Zahnarztes, www.beatebahner.de 

| Laut aktuellem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 25. Januar 2013 (Az. 10 C 170/11; Abruf-Nr. 130452) muss eine private Krankenversicherung die Kosten für mehr als vier Implantate erstatten, wenn dies medizinisch indiziert ist. Nachfolgend wird das Urteil mit den Konsequenzen vorgestellt. |

Der Fall

Eine private Krankenversicherung – die Hallesche Krankenversicherung – hatte sich geweigert, einem Patienten mehr als vier Implantate zu erstatten. Geplant waren sechs Implantate im zahnlosen Unterkiefer. Der Patient verklagte die Versicherung mit Unterstützung des Zahnarztes und bekam Recht.

 

Der im Gerichtsverfahren hinzugezogene Sachverständige hatte die Behandlungsweise des Zahnarztes für medizinisch notwendig und korrekt befunden, denn der Patient zeigte im seitlichen Zahnbereich eine reduzierte Höhe des Knochenanteils bzw. des Alveolarfortsatzes. Daher bestand die Notwendigkeit, kurze und schlanke Implantate zu verwenden. Im Übrigen war der Unterkieferknochen des Patienten im Seitenzahnbereich zur Zunge geneigt, so dass neben der Nervgrenze auch der geneigte Knochen eine Grenze für die Implantatlänge darstellte. Der Sachverständige stellte fest, dass bei längeren Implantaten diese sonst wieder aus dem Knochen heraustreten würden, was zur Nichteinheilung führen würde. Aus Belastungsgründen sollten Implantate jedoch möglichst gerade in die Knochen eingesetzt werden.

 

Der Sachverständige berief sich schließlich auf die Konsensuskonferenz zum Zwecke der Umsetzung des Tätigkeitsschwerpunktes Implantologie, in dessen Präambel vom 5. Juni 2002 verschiedene Regelversorgungen aufgestellt wurden. Unter Klasse III, zahnloser Kiefer, sei für die Verankerung eines fest sitzenden Zahnersatzes im zahnlosen Unterkiefer eine Versorgung mit sechs Implantaten, für die Verankerung eines herausnehmbaren Zahnersatzes im Unterkiefer eine Versorgung mit vier Implantaten vorgesehen. Allerdings richte sich die definitive Anzahl der Implantate stets nach der jeweiligen Situation und Position der natürlichen Zähne, weshalb die endgültige Entscheidung dem Behandler in Absprache mit seinem Patienten obliege.

 

Wenn aufgrund der speziellen Kiefersituation nur kurze und schlanke Implantate eingesetzt werden können, müssen entsprechend mehr Implantate gesetzt werden, um dem erhöhten Kaudruck auf die kurzen und schlanken Implantate auf Dauer standhalten zu können. Da vier Implantate mehr belastet werden als sechs, haben sechs Implantate eine längere Lebenserwartung. (Im konkreten Fall sollten die Implantate angesichts des Lebensalters des Patienten noch etwa 20 Jahre halten.)

 

Knochenaufbau deutlich aufwendigerer Eingriff mit längerer Einheilzeit

Der Sachverständige stellte ferner fest, dass das Einsetzen einer erhöhten Anzahl von Implantaten im Zweifel der geringere Eingriff sei als der Aufbau fehlender Kieferknochen mit Knochenblöcken oder mit Knochenersatzmaterial. Solche wesentlich größeren Eingriffe gingen häufig mit einer Irritation des Nervus mandibularis einher. Im Übrigen müsse eine entsprechende Knochenaugmentation erst noch etwa sechs Monate einheilen, wobei offen sei, ob dieser Eingriff tatsächlich erfolgversprechend verlaufe. Erst nach erfolgter Einheilung des Knochens und/oder -ersatzmaterials könnten dann die Implantate gesetzt werden, was einen deutlich längeren Behandlungseingriff darstelle als eine von vornherein höhere Anzahl an Implantaten.

 

Daher ist es nach Auffassung des Sachverständigen deutlich einfacher, auf die Knochenaugmentation zu verzichten, wenn durch mehr Implantate der gleiche Effekt erzielt werden kann. Ein Patient werde sich im Übrigen kaum zu einem Eingriff entscheiden, der insgesamt knapp ein Jahr dauern werde, wenn dasselbe Ergebnis mit sechs Implantaten innerhalb von drei Monaten und mit nur einem einzigen und kleineren Eingriff zu erreichen sei. Hinzu komme, dass der Knochenaufbau möglicherweise teurer ist als zwei zusätzliche Implantate.

 

Knochenabbau kann durch zusätzliche Implantate verhindert werden

Zusammenfassend stellte der Gutachter fest, dass angesichts des reduzierten Knochenangebots im Seitenzahnbereich Implantate zwar gesetzt werden konnten, diese jedoch tatsächlich mehr als vier Implantate erforderten, um dem Kaudruck auf Dauer standzuhalten. Im Übrigen hätten Implantate eine sogenannte „knochenprotektive Wirkung“, würden also den Abbau des Alveolarfortsatzknochens verhindern. Je mehr Implantate eingesetzt würden, umso mehr könne somit Knochenabbau verhindert werden.

 

Da sechs Implantate im Übrigen eine längere Lebenserwartung haben als vier Implantate und dem Patienten wegen des festeren Sitzes der Prothese ferner ein besseres Kaugefühl geben, wurde die beim Patienten vom Zahnarzt durchgeführte Behandlung vom Sachverständigen insgesamt für medizinisch indiziert und richtig betrachtet.

Das Urteil

Diesen gutachterlichen Feststellungen ist das Amtsgericht Mannheim vollumfänglich gefolgt. Die Hallesche Krankenversicherung muss dem Patienten die Behandlungskosten somit für insgesamt sechs Implantate bezahlen. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Sachverständigenkosten sind aufgrund des Unterliegens der Krankenversicherung in diesem Punkt vollständig von ihr zu tragen.

 

Es zeigt sich also, dass sich die Auseinandersetzung in diesem Fall gelohnt hat. Private Krankenversicherungen lehnen nur allzu gern und schnell die Übernahme notwendiger Behandlungskosten ab. Gegen diese ablehnende Haltung mancher Kostenerstatter sollten sich die Implantologen und deren Patienten zur Wehr setzen.