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01.07.2016·Periimplantitis Implantate: Metallpartikel und gelöste Metalle beeinträchtigen den Knochenaufbau massiv

·Periimplantitis

Implantate: Metallpartikel und gelöste Metalle beeinträchtigen den Knochenaufbau massiv

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter „ZahnmedizinReport“, Berlin

| Ist Periimplantitis nicht bakteriell induziert, sondern eine Reaktion auf das Implantat als Fremdkörper, wie es die Theorie des „Inflammaging“ beschreibt? Eine Studie aus der Hüftgelenks-Orthopädie stützt die Beobachtungen, dass Metallpartikel und gelöste Metalle von Implantaten den Knochenaufbau massiv beeinträchtigen können. [1] |

Für Tomas Albrektsson ist der Biofilm nebensächlich

Für den Schweden Prof. Dr. Tomas Albrektsson (Abteilung für Biomaterialien der Universität Göteborg) sind Bakterien bei der Periimplantitis nebensächlich: Eine Periimplantitis sei keine bakterielle, sondern eine Fremdkörperreaktion. Der Körper reagiert mit einer systemisch-chronischen (subklinischen) Entzündung auf Fremdkörper. Claudio Franceschi et al. prägten dafür den Begriff vom „Inflammaging“, dem Entzündungsaltern. Nur bei einem „Fremdkörper-Gleichgewicht“ bleibt das Implantat in situ. [2]

 

Drei „schlechte“ Faktoren sind für Albrektsson maßgeblich für das überschießende Inflammaging und damit für eine Periimplantitis:

 

  • 1. ein „schlechter Patient“, also ein schwerer Raucher oder jemand mit relevanter Allgemeinerkrankung oder minderer Knochenqualität,
  • 2. eine schlechte klinische Durchführung und
  • 3. ein schlechtes Implantatdesign.

 

Doch gerade über den dritten Punkt – das Design und die Materialzusammensetzung der Implantate und der Abutments – wird oft zu wenig nachgedacht. In vielen Studien werden Implantate als neutrale Konstanten betrachtet. Eine Studie aus der Hüftgelenks-Orthopädie könnte zum Umdenken zwingen: Sie stützt die Beobachtungen, dass Metallpartikel und gelöste Metalle von Implantaten den Knochenaufbau massiv beeinträchtigen können.

Allergieähnliche Reaktionen sind schon länger bekannt

Dass auch Titanimplantate allergieähnliche Verläufe provozieren können, ist schon länger bekannt. Eine echte Titanallergie ist dabei wohl ein extrem seltenes Phänomen – klinisch relevanter scheint eine individuelle Unverträglichkeit zu sein, die über einen völlig anderen immunologischen Mechanismus abläuft: die übersteigerte Reaktion und erhöhte Entzündungsbereitschaft unspezifischer Fresszellen des Immunsystems (Gewebsmakrophagen, Monozyten) auf Kontakt mit partikulärem Titanabrieb (Titanpartikeln).

 

Es ist bekannt, dass derartige Partikel (Durchmesser 1 bis 10 µm) in die Umgebung von Implantaten abgegeben werden (auch durch mechanische Belastung beim Einbringen) und nach Aufnahme durch Gewebsmakrophagen bei entsprechender hyperinflammatorischer Veranlagung eine Entzündung verursachen können. Auch haben Titanpartikel ein toxisches Potenzial: Die Aufnahme von über 300 Titanpartikeln in mesenchymale Stammzellen (MSCs) führt zum Absterben. Bei niedrigeren Partikelzahlen gibt es zumindest einen Effekt auf die Osteolysaktivität rund um die Implantate. [3]

Metalle wirken bis ins Knochenmark

Ärzte und Wissenschaftler der Charité – Universitätsmedizin Berlin – und des DRK Klinikums Westend konnten nachweisen, dass freigesetzte Metallpartikel zum implantatnahen Knochenverlust beitragen. Wie sie im aktuellen Fachmagazin „Biomaterials“ schreiben, schädigen Metallionen die Vorläufer knochenaufbauender Zellen. [1]

 

Die Berliner Wissenschaftler haben Veränderungen in gelenknahem Gewebe, in der Gelenkflüssigkeit und im Knochenmark analysiert, die durch die Belastung mit Metallen ausgelöst werden. Dabei hat sich gezeigt, dass nicht nur Abriebpartikel, sondern auch gelöste Metalle eine entscheidende Rolle bei der Gesamtbelastung spielen. Die gelösten Bestandteile erreichen das Knochenmark und schädigen dort die Vorläuferzellen von knochenmineralisierenden Osteoblasten, den mesenchymalen Stammzellen. Die Studie zeigt, dass solche Stammzellen, die aus dem Knochenmark von metallbelasteten Patienten isoliert wurden, ihr Potenzial zur Differenzierung zu Osteoblasten und somit zum Knochenaufbau vollständig eingebüßt haben.

Biofilm als opportunistische Erkrankung

Die Rolle des Biofilms bei der Periimplantitis wird durch diese Ergebnisse nicht gemindert. Denn auch Albrektsson und Kollegen müssen eingestehen, dass eine sekundäre, durch Biofilm induzierte Infektion als Komplikation des etablierten Knochenverlusts folgen kann, wenn sich erst einmal ein schwerer marginaler Knochenverlust etabliert hat.

 

PRAXISHINWEIS | Neue Beobachtungen zeigen, dass das Freisetzen von Metallpartikeln und gelösten Metallen den Knochenaufbau um Implantate herum schwer beeinträchtigen kann. Es ist Zeit, die Implantatdesigns, aber auch die Implantat-Abutment-Verbindungen mit ihren Metall-Metall-Paarungen kritisch daraufhin zu untersuchen.

 

QuellEN

  • [1] Rakow, A et al. Influence of particulate and dissociated metal-on-metal hip endoprosthesis wear on mesenchymal stromal cells in vivo and in vitro. Biomaterials 2016; 98: 31-40.
  • [2] Albrektsson T et al. Is marginal bone loss around oral implants the result of a provoked foreign body reaction? Clin Implant Dent Relat Res. 2014; 16 (2): 155-165.
  • [3] Franceschi C et al.: Inflammaging and anti-inflammaging: a systemic perspective on aging and longevity emerged from studies in humans. Mech Ageing Dev 2007; 128: 92-105.
  • [4] Pflüger M, Zahedi B. Titanunverträglichkeit und Titanallergie. implantate.com 2015; Stand: 18.12.2015.

 

LITERATUR

[1] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S014296121630134X

[2] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/cid.12142/abstract

[3] http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0047637406002491

[4] http://www.implantate.com/implantwiki/14-titanunvertraeglichkeit-und-titanallergie.html