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21.12.2018·Kommentar und Meinung Quo vadis Zahnarztpraxis ‒ mit Investoren-Z-MVZ in die Zukunft?

·Kommentar und Meinung

Quo vadis Zahnarztpraxis ‒ mit Investoren-Z-MVZ in die Zukunft?

von Dr. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Im Jahr 1991 habe ich mich als 27-Jähriger in eigener Praxis niedergelassen. Seitdem haben sich nicht nur die Behandlungsmethoden weiterentwickelt. Auch die gesellschaftlichen, gesetzlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich für Zahnärzte stark verändert. „Feminisierung der Zahnmedizin“, „behördliche Regelungswut“ und „Einzug von Investoren-Z-MVZ“ sind nur einige Stichworte. Wie wird es nun weitergehen? Und: Würde ich heute als junger Zahnarzt wieder wie einst 1991 den Weg in die Niederlassung wählen? ‒ Dazu nachfolgend einige Überlegungen. |

Feminisierung der Zahnmedizin

Die Zahnmedizin wird weiblich: Mehr als zwei Drittel aller Studierenden der Zahnmedizin sind heute junge Frauen. Junge Frauen, die in ein paar Jahren ihre berufliche Tätigkeit und Selbstverwirklichung mit ihrer Familienplanung ‒ mit Mutter werden und Mutter sein ‒ in Einklang bringen müssen. Geht das wirklich gut, wenn man selbstständige Zahnärztin in eigener Praxis ist? Oder muss Frau da noch massivere Kompromisse eingehen als ein Mann, sich noch mehr zerreißen lassen zwischen familiären und beruflichen Pflichten?

Behördliche Regelungswut

Als nächstes möchte ich die behördliche Regelungswut ansprechen. Stellvertretend nenne ich nur drei Beispiele aus den letzten Jahren: die Hygieneverordnung, die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur. Allen ist m. E. eines gemein ‒ für die Praxis und für die Patienten bringen sie nicht wirklich einen Nutzen. Mittlerweile brauchen meine Mitarbeiterinnen mehr Zeit zum Dokumentieren, dass wir die Instrumente sterilisieren, als für das Sterilisieren selbst! Im Falle einer angeordneten (aber von mir zu bezahlenden) Praxisbegehung durch die Behörden prüft auch niemand, ob die Instrumente in meinem Behandlungstray steril sind, sondern nur, ob die Dokumentation und die räumlichen und gerätetechnischen Voraussetzungen stimmen! Dabei garantiert ja kein validierbarer Steri, dass die Instrumente auch tatsächlich alle drin waren.

 

Meine bisher absolut hacker- und virensicher offline arbeitende Praxissoftware muss demnächst online gehen. Gleichzeitig habe ich die Pflicht, für den Datenschutz zu sorgen. Ich muss Stapel von Datenschutzerklärungen meiner Patienten abheften und diese prüfen, bevor ich einem Nachbehandler ein angefordertes Röntgenbild senden darf. Aber: Was ist, wenn der Patient z. B. mit Schmerzen am Urlaubsort beim Kollegen im Behandlungsstuhl sitzt und darauf wartet, dass das Röntgenbild kommt? Ob der sich so richtig freut, wenn ich seine Daten DS-GVO-konform super schütze, alles sorgfältig prüfe und ihm ‒ gefühlte Ewigkeiten später ‒ die Bilder sicher verschlüsselt zusende?

 

Nächste Ärgernisse: Budgetierungen, Degression, Niederlassungssperre ‒ jetzt wieder Niederlassungsfreiheit. Die Kolleginnen und Kollegen, die in der Zeit der Niederlassungssperre einen teuren Preis für den „Kassenzahnarztsitz“ bezahlt haben, um sich niederlassen zu dürfen, sind heute angeschmiert. Ihre damalige Investition ist völlig entwertet. Ist das Rechtssicherheit für freiberufliche Zahnärzte oder ein schlechter Witz?

 

Wirtschaftlich bedenklich ist auch, dass dank der gemeinsamen Interessen von Gesetzgeber (Kostendeckelung für beihilfeberechtigte Patienten) und der Lobby der gewinnorientierten privaten Krankenversicherungen die GOZ seit Jahren nicht mehr entsprechend der Steigerung der allgemeinen Praxis- und Lebenshaltungskosten angepasst wurde. Zudem gerät das betriebswirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens Zahnarztpraxis zunehmend unter Druck, weil immer mehr Angestellte nur mit der ausufernden Verwaltung unproduktiv beschäftigt sind und trotzdem menschenwürdig bezahlt werden müssen!

Vergleich 1991 und 2018: Würde ich mich heute niederlassen?

Würde ich mich heute, 2018, unter diesen Umständen noch selbstständig machen wollen? Würde ich mich niederlassen wollen in einer „Landpraxis“, in einer Kleinstadt oder gar auf dem Dorf? Würde ich mir die Verantwortung für die zahnärztliche Versorgung meiner Patienten an 7 Tagen die Woche, an 365 Tagen im Jahr aufbürden wollen ‒ und dafür auf Flexibilität, persönliche Freiheit und Freizeit verzichten? Und mich hoch verschulden wollen? Würde ich den notwendigen Kredit von meiner Bank überhaupt noch bekommen?

 

Ich bin seit fast 28 Jahren selbstständig und hatte in meinem Leben nur zwei Jahre lang einen Chef ‒ während meiner Zeit als Ausbildungsassistent von 1989 bis 1991. Ich bin es also gewohnt, auf eigenen Beinen zu stehen und Verantwortung zu übernehmen. Es entspricht meinem Naturell, eine Praxis und ein Team unternehmerisch zu führen. Und ich hatte das große Glück, eine Frau zu haben, die mich stets unterstützt hat und mir daheim immer den Rücken frei gehalten hat, damit ich in der Praxis vollen Einsatz bringen konnte. Ich habe es also nie bereut, mich damals so jung schon selbstständig gemacht zu haben.

 

Aber: Wäre ich 2019 wieder 27 und am Anfang meiner beruflichen Laufbahn ‒ ich würde heute das Angestelltenverhältnis in einem großen MVZ aussuchen! Warum? Weil ich als selbstständiger Zahnarzt unendlich mehr Pflichten und Verantwortung habe und ortsgebunden bin. Hinzu kommt: Ich habe hohe Schulden, kann aber nicht mehr wirklich deutlich mehr verdienen. Es lohnt sich wirtschaftlich nicht mehr, in die Selbstständigkeit zu gehen!

Ohne investorenbetriebene Z-MVZ wird es nicht gehen

Unter diesen Umständen finde ich die aktuelle Ängste schürende Diskussion über Zahnärzte-MVZ und investorenbetriebene Zahnarztpraxen scheinheilig, unnötig und dumm. Sollten sich die gesetzlichen, sozialen und wirtschaftlichen Umstände nicht massiv und schnell wieder ändern, wird es in wenigen Jahren keine flächendeckende zahnärztliche Versorgung mehr ohne MVZ geben können. Ein Grund: Viele heute selbstständige Kolleginnen und Kollegen, deren Ruhestand unweigerlich aus Altersgründen näher kommt, werden ihre Praxis mangels anderer Interessenten an einen Investor verkaufen müssen, der sie mit angestellten Zahnärzten weiterbetreibt. Das wird die einzige Möglichkeit sein, um aus der Praxis ein paar Euro für die Altersversorgung zu realisieren.

 

Daseinsberechtigung von KZBV und BZÄK kann ins Wanken kommen

Natürlich wird es in einem investorbetriebenen, gewinnorientiert agierenden MVZ öfter einen Widerspruch geben zwischen der medizinischen und der betriebswirtschaftlichen Indikation. Da müssen wir gar nicht diskutieren. Deshalb lehnen heute noch die KZBV und die BZÄK diese MVZ konsequent ab ‒ wobei ich Zweifel habe, dass das der wirkliche Ablehnungsgrund ist. Vielmehr glaube ich: KZBV und BZÄK ist sehr bewusst, dass MVZ als GmbH keiner Kammerpflicht unterliegen und bei entsprechender Größe auch eigene Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen führen können. Mithin könnte die Entwicklung zur flächendeckenden Versorgung durch MVZ den heutigen Körperschaften die Daseinsberechtigung entziehen. Auch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherer kriegen „kalte Füße“: Im Gegensatz zu einem kleinen freiberuflichen Zahnarzt haben versorgungsrelevante MVZ ab einer gewissen Größe die Möglichkeit, ihnen bei Tarifverhandlungen auf Augenhöhe entgegenzutreten.

 

Der zahnmedizinische Nachwuchs hat andere Prioritäten

Fakt ist, dass aufgrund der bestehenden Altersstrukturen wohl in den nächsten fünf Jahren ein Fünftel aller Zahnarztpraxen zum Verkauf stehen wird. Fakt ist auch, dass wir eine junge Generation von Zahnärztinnen und Zahnärzten nachwachsen sehen, die

  • sich gerne ihre Flexibilität erhalten möchten,
  • weniger Stunden pro Woche arbeiten möchten,
  • sich nicht mit frustrierenden rechtlichen Verordnungen herumschlagen wollen und
  • nicht die unternehmerische Verantwortung für eine mit hohen Kreditsummen finanzierte eigene Praxis übernehmen wollen.

 

Also führt an den investorbetriebenen MVZ, welche die unternehmerischen Risiken und die verwaltungstechnische Drecksarbeit für die angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzte übernehmen, kein Weg vorbei. Mögen sich KZBV, BZÄK, gesetzliche und private Krankenkassen, die Fernsehsendung „Plusminus“ und manche Gesundheitspolitiker noch so sehr darüber mokieren: Ohne MVZ wird es im Deutschland der Zukunft nicht möglich sein, eine flächendeckende zahnmedizinische Versorgung sicherzustellen!

 

FAZIT | Eines sollten diejenigen, die sich heute scheinheilig über den Wandel in der zahnärztlichen Versorgungslandschaft mokieren, nicht vergessen: Sie sind es selber, die mit der Gesundheitspolitik der letzten drei Jahrzehnte die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Sie sind es, die dem freiberuflich in eigener Praxis tätigen Zahnarzt über stetige, zunehmende Gängelung und soziale Anfeindung das Wasser abgegraben haben.