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26.03.2018·Personalmangel Behandlung ohne Zimmerassistenz ‒ geht das?

·Personalmangel

Behandlung ohne Zimmerassistenz ‒ geht das?

von Jessica Greiff, Betriebswirtin im Gesundheitswesen, Inhaberin Seminare am Johannisbollwerk, Hamburg, greiff.seminare@johannisbollwerk.de

| Ausbildungslücken, Fachkräftemangel, krankheitsbedingte Ausfälle. Der Praxisalltag im Behandlungszimmer wird immer problematischer. Fehlt die Zimmerassistenz, dann fällt die Behandlung aus. Ein wirtschaftlicher Verlust droht. Aber: Wie notwendig ist die Hilfe am Stuhl eigentlich? Welches Potenzial bietet eine Single-Behandlung durch die Zahnärztin oder den Zahnarzt? |

Mitarbeiterin verzweifelt gesucht

Seien wir ehrlich: Auch in den nächsten Jahren wird sich bei der Nachwuchsgewinnung nicht viel ändern. Den Beruf der eher handwerklich ausgerichteten Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) wollen immer weniger erlernen. Mein Mann, Lehrer und Berufsorientierer an einer Hamburger Stadtteilschule, ist engagiert und kann sehr überzeugend wirken, das weiß ich. Aber er schafft es auch nicht, diesem Berufsbild eine Attraktivität zu verleihen, die bei Heranwachsenden ankommen würde. „Zahnärztin könnte sie sich aber vorstellen“, berichtete mein Mann kürzlich nach einem Gespräch mit einer grundsätzlich interessierten Schülerin, die jedoch keine Oberstufenprognose erhalten wird.

 

Diese Art Widersprüchlichkeit findet sich als strukturelles Problem auch auf dem aktuellen zahnmedizinischen Arbeitsmarkt, vor allem in Ballungsräumen und Großstädten. Es fehlen der Nachwuchs sowie gut ausgebildetes und engagiertes Personal. Vor allem die Stuhlassistenz ist eine echte „Mangelware“. Gibt es sie, kann sie sich im Grunde den Arbeitsplatz aussuchen. Und ihr wird etwas geboten ‒ vom deutlich übertariflichen Gehalt bis zu Gutscheinen für eine Therapie in der benachbarten Physio-Praxis.

 

Durch die guten Arbeitnehmerbedingungen befinden sich neue und bereits etablierte Mitarbeiterinnen in guter Verhandlungsposition und können die Grenzen ausloten, die ihren Lebensentwürfen entgegenkommen. Praxisinhaber sehen sich dabei zunehmend in der Defensive, sind sie doch auf das Personal angewiesen. Mehrere Teilzeitformate sind oft die Regel in den Praxen. Aber der Kompromissrahmen ist auch endlich. Irgendwann stößt ein Behandler an ökonomische Grenzen (zu hohe Personalkosten).

Die Zimmerassistenz ‒ der unbeliebteste Arbeitsplatz?

Feststellbar ist ferner die Tendenz, dass der Job als Zimmerassistenz auch unter bereits ausgebildetem Personal immer unattraktiver zu werden scheint. Die Rezeption ist sauberer, die Sterilisation organisierter, in der Prophylaxe wird mehr Geld verdient. Die Assistenz am Stuhl entwickelt sich zum unbeliebtesten Arbeitsplatz in der Zahnarztpraxis. Dabei ist die Zahnbehandlung der Patienten im Team „Behandler und Assistenz“ doch eigentlich das ursprüngliche Herzstück einer Praxis.

 

Kommen dann noch die Probleme des Alltags dazu ‒ wie z. B. krankheitsbedingte Ausfälle, Krankheit des Kindes ‒, dann entwickelt sich u. U. das ganze System nachteilig für alle Beteiligten. Der Behandler ist allein und den Patienten muss abgesagt werden. Das führt zu Umsatzeinbußen und es drohen atmosphärische Störungen im Gesamtteam. Im schlechtesten Fall geht Personal verloren. Die Suche und die Probleme beginnen von Neuem.

Die radikalste Lösung „Single-Behandlung“ des Zahnarztes

Dieser Blick auf die personelle Situation in Zahnarztpraxen lässt Personalverantwortliche zwangsläufig nach anderen Wegen suchen. Wie könnten diese Wege aussehen? Prozesse „verschlanken“? Die Behandler-Arbeitszeit reduzieren und Leistungsangebote neu kalkulieren?

 

Wir wollen die radikalste Alternative betrachten: die „Single-Behandlung“ des Zahnarztes. Geht das überhaupt? Die Grundvoraussetzung für eine Alleinbehandlung sind natürlicherweise Motivation und Bereitschaft des Behandlers sowie eine reflektierte Einschätzung der eigenen, sehr guten handwerklichen Fähigkeiten. Arbeitet er lieber mit einer Stuhlassistenz und fühlt er sich zu zweit sicherer, dann ist die Single-Variante wohl eher keine Option.

Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten

Andererseits gibt es heute eine Reihe von Instrumenten in einer modernen Praxis, die eine Alleinbehandlung durchaus unterstützen. Die wesentlichen Dienstleistungsprozesse in einer Zahnarztpraxis sind in den meisten Praxen ähnlich ‒ nämlich digitalisiert aufgebaut:

 

Eine Software unterstützt die Terminvergabe für das Gespräch, die Behandlung, Prophylaxe, das Erstellen von Kostenvoranschlägen, das Abrechnungswesen, den Recall via Mail oder Kurznachricht, das Bezahlen mit EC-Karte. Die Anamneseerhebung wird via Tablet dokumentiert, der Patientenstatus ist auf großem Flatscreen im Behandlungszimmer sichtbar. Nebenan regeln Softwareprogramme die Instrumentenaufbereitung und fertigen CAD/CAM-Einheiten verlässlich Kronen, Brücken oder Implantat-Zubehör.

 

Die Digitalisierung und ihre immer intelligenter werdenden Werkzeuge sind aus der Praxis nicht mehr wegzudenken. Sie reduzieren nicht nur Kosten, sondern machen Abläufe auch validierbar. Sie sichern Qualität und bieten eine solide Arbeitsgrundlage für die Möglichkeit des „Alleinbehandelns“.

Die Potenziale einer Single-Behandlung

Wo liegen nun Chancen und Möglichkeiten der Solo-Behandlung, wo gibt es mögliche Nachteile und Grenzbereiche? Das sind im Wesentlichen:

 

  • Der Behandler ist unabhängig von der Anwesenheit einer Zimmerassistenz. Die Behandlung kann durchgeführt werden. Das lästige Ab- oder Umbestellen von Patienten entfällt.
  • Das Behandlungszimmer wird sorgfältig vorbereitet, sodass alle Instrumente und Materialien an ihren Plätzen und in passender Menge bereitstehen und verbraucht werden. Auch die Nachbereitung übernimmt der Behandler selbst.
  • Der Behandlungsablauf ist eher ruhig und konzentriert. Die direktere ungeteilte Kommunikation mit dem Patienten führt zu einer engeren Bindung.
  • Der Behandler stützt sich vor, während und nach der Behandlung auf eine intelligente Software, um z. B. die Leistungseingabe per Sprachtext einzugeben, zu dokumentieren oder Abrechnungsdetails anzumerken.
  • Moderne Instrumente „assistieren“ dem Behandler: multifunktionale Absaugkanüle und Mundscanner.
  • Der Selbstbestimmungsgrad des Behandlers erhöht sich: Die Termin- und Arbeitsdichte kann flexibler gestaltet und individuell angepasst werden.
  • Eingesparte Lohnkosten können gezielt umverteilt werden, z. B. in die Ausbildung eines angestellten Zahnarztes oder einer Zahnärztin, die sich geplant bei schwierigen Behandlungen gegenseitig unterstützen.
  • Andere Funktionsbereiche der Praxis (Empfang, Prophylaxe, Administration und Instrumentenaufbereitung) können ausgebaut und gefördert werden.
  • Das gesamte Preis-Leistungs-Profil der Praxis kann unter den neuen Voraussetzungen angepasst und effizienter gestaltet werden.

Die Risikobereiche der Single-Behandlung

Folgende Voraussetzungen müssen für eine erfolgreiche Single-Behandlung erfüllt sein:

 

  • Das gesamte Team muss die „Alleingänge“ akzeptieren und unterstützen.
  • Ein konsequentes Zeit- und Terminmanagement ist die wichtigste Voraussetzung dafür, dass es funktioniert. Die Behandlungszeiträume müssen penibel eingehalten werden. Parallelbehandlungen sind nicht möglich.
  • Die Zeiträume der Behandlung verlängern sich, auch durch die Vor- und Nachbereitung.
  • Eine klare Aufgabenverteilung und gezielte Schnittstellenarbeit sind maßgeblich für den Erfolg.
  • Die Akzeptanz der Single-Behandlung durch die Patienten ist wichtig. Das ist eine schwer einzuschätzende Variable. Umsatzrückgänge drohen.

 

FAZIT | Um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: Dieser Beitrag zielt keineswegs auf eine bewusste Diskreditierung eines Berufsstandes ab. Im Gegenteil: Die Zimmerassistenz ist eine berechtigte und bewährte Arbeitsposition in einer Zahnarztpraxis und die ZFA-Ausbildung ist immer noch eine mit Zukunft. Das Funktionieren eines Dienstleistungsunternehmens wie die Zahnarztpraxis ist nach wie vor auf gut ausgebildetes Personal angewiesen ‒ weil es mit Menschen zu tun hat, und Menschen benötigt, die sich auf Kommunikation und Empathie verstehen. Das leistet noch kein Roboter. Dennoch:

 

Wir stehen nicht erst am Anfang eines neuen Weges. Die Digitalisierung und die digitale Mechanisierung (Künstliche Intelligenz) wird auch in unserer Branche zunehmend Einzug halten. Wir sollten uns so schnell wie möglich damit vertraut machen.