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30.09.2016·Aktuelle Rechtsprechung Wie kann der Implantologe auf das aktuelle Urteil des OLG Hamm zur Aufklärungspflicht reagieren?

·Aktuelle Rechtsprechung

Wie kann der Implantologe auf das aktuelle Urteil des OLG Hamm zur Aufklärungspflicht reagieren?

von Rechtsanwältin Doris Mücke, Bad Homburg

| Das Oberlandesgericht Hamm hat am 19.04.2016 (Az. 26 U 199/15, Abruf-Nr. 186967 unter pi.iww.de) entschieden, dass der Zahnarzt seine Aufklärungspflicht verletzt habe, weil er vor der Anwendung einer Leitungsanästhesie im Unterkiefer nicht über die Behandlungsalternative der intraligamentären Anästhesie aufgeklärt hat. Beim Setzen der Leitungsanästhesie war der „Nervus lingualis“ des Patienten verletzt worden. Seither litt er an Zungengefühlsstörungen. Zwar hatte der Zahnarzt den Patienten über dieses Risiko aufgeklärt, jedoch nicht über die Alternative einer intraligamentären Anästhesie. Welche Konsequenzen hat das Urteil in der täglichen Praxis? |

Lokalanästhesie bei Implantationen kleineren Umfangs

Zwar werden umfangreichere Implantationen heute meist in Vollnarkose oder Sedierung von einem hinzugezogenen Facharzt durchgeführt. Bei Implantationen kleineren Umfangs ist jedoch nach wie vor die Lokalanästhesie in Betracht zu ziehen, ebenso bei chirurgischen Begleitleistungen. Das aktuelle Urteil des OLG Hamm bezog sich sogar „lediglich“ auf eine konservierende Behandlung.

Die Rechtsprechung wurde geändert

Noch mit Urteil vom 29.10.2010 (Az. I 3 U 169/09, Abruf-Nr. 188805) war das OLG Hamm davon ausgegangen, dass über die Alternative der intraligamentären Anästhesie nicht aufzuklären sei. Begründung: Damals – im Jahr 2007 – habe es sich noch nicht um eine „echte Alternativbehandlung“ gehandelt. Die intraligamentäre Anästhesie hatte demnach seinerzeit noch eine sehr geringe Verbreitung und die universitäre Lehre, dass – bei gegebener Indikation – die intraligamentäre Anästhesie vorrangig vor der Leitungsanästhesie in Betracht zu ziehen sei, habe in der Zahnarztpraxis noch nicht Einzug gehalten.

 

Dies sah das OLG Hamm im nunmehr aus dem Jahr 2013 zu bewertenden Fall anders und kam nach Anhörung eines Sachverständigen zum Schluss, dass sich die intraligamentäre Anästhesie zwischenzeitlich zu einer echten Behandlungsalternative zur Leitungsanästhesie entwickelt habe.

Wie soll der Zahnarzt nun aufklären?

Anlässlich der aktuellen Rechtsprechung des OLG Hamm soll aufgezeigt werden, welche Aufklärung der Zahnarzt in welcher Form vorzunehmen hat. Anzuknüpfen ist dabei an § 630e Abs. 1 BGB des Patientenrechtegesetzes, das seit dem 26.02.2013 in Kraft ist. Danach ist zunächst insbesondere über Art, Umfang, Durchführung und die zu erwartenden Folgen und Risiken einer Behandlungsmaßnahme aufzuklären. Auch über entfernt liegende Risiken ist aufzuklären, wenn sie der Maßnahme typisch anhaften und für den Patienten einschneidende Folgen haben können.

 

Will der Zahnarzt also eine Leitungsanästhesie vornehmen, hat er über die Risiken der Verletzung verschiedener Nerven aufzuklären. Nach § 630e Abs. 1 S. 3 BGB hat er darüber hinaus auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen führen können.

 

Das OLG Hamm sah die intraligamentäre Anästhesie – soweit keine Kontraindikation vorliegt, wie z. B. bei parodontal stark entzündeten Zähnen und tiefen Zahnfleischtaschen – als gleichermaßen indizierte übliche Methode mit anderen Risiken als die Leitungsanästhesie an. So sei die Leitungsanästhesie mit dem typischen, wenn auch seltenen Risiko von Nervverletzungen verbunden. Das sei bei der intraligamentären Anästhesie zwar nicht der Fall, dafür aber könne es bei ihr zu kleinen Schleimhautnekrosen und zu Nekrosen der Interdentalpapille kommen.

Was folgt aus dem Urteil des OLG Hamm?

Der Zahnarzt wird nun seine Patienten über die Vor- und Nachteile der in Betracht kommenden Anästhesiearten aufklären und ihm diese zur Wahl stellen müssen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Ablauf in der zahnärztlichen Praxis noch nicht sehr verbreitet ist, zumal die Leitungsanästhesie wesentlicher schneller verabreicht werden kann als die intraligamentäre Anästhesie. Das kann aber nach der Rechtsprechung kein Argument sein.

 

Gemäß § 630e Abs. 2 BGB muss die Aufklärung mündlich persönlich durch den Behandler oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Befähigung verfügt. Sie darf also nicht z. B. an eine Praxismitarbeiterin delegiert werden.

 

Eine schriftliche Aufklärungspflicht besteht nicht. Wenn jedoch die Aufklärung in schriftlicher Form erfolgt, dann sind dem Patienten Abschriften der schriftlichen Unterlagen, die er unterzeichnet, auszuhändigen. Eine schriftliche Aufklärung, die vom Patienten unterzeichnet wird, dokumentiert die erfolgte Aufklärung am sichersten. Alternativ kann die mündlich erfolgte Aufklärung in der Patientenkartei dokumentiert werden. Dies kann mit Angabe des Namens des Aufklärenden und der hinzugezogenen Praxismitarbeiterin geschehen, die bei der Aufklärung zugegen sein sollte.

Erneute Aufklärung bei längerer Behandlung nicht erforderlich

Es ist nicht erforderlich, den Patienten bei jeder Anästhesiegabe erneut aufzuklären, wenn die Behandlung über Tage oder Wochen andauert. Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 26.09.2010 einen Behandlungsabstand von drei Monaten ausreichen lassen. Begründung des Gerichts: Jedem Patienten sei bewusst, dass bei jeder erneuten Maßnahme gleicher Art das identische Risiko vorhanden ist.