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01.12.2017·Abrechnung Vestibulumplastiken, Teil 1: Was versteht man darunter und welche Indikationen gibt es?

·Abrechnung

Vestibulumplastiken, Teil 1: Was versteht man darunter und welche Indikationen gibt es?

| Der Kieferkamm ist im gesunden Zustand von einer individuellen Hautschicht bedeckt, die eine Zwischenstellung zwischen der verhornten Außenhaut der Körperoberfläche und den unverhornten Schleimhäuten im Inneren des Körpers darstellt. Sie wird als „Gingiva propria“ oder „attached Gingiva“ bezeichnet. In diesem Beitrag stellt PI die fachlichen Hintergründe für das Praxisteam vor. Ohne Fachkenntnisse können Antwortschreiben an Kostenerstatter nicht aussagekräftig definiert werden. Im nächsten Heft veröffentlicht PI Textbausteine zu verschiedenen Erstattungsproblemen. |

Was ist die Gingiva propria und welche Aufgabe hat sie?

Die Gingiva propria ist dick, teilverhornt, derb, widerstandsfähig und mechanisch belastbar. Außerdem ist sie fest und unverschieblich mit dem Kieferknochen verbunden ‒ daher auch der Begriff „attached“ (befestigt). Im Gegensatz zu ihr sind die Schleimhäute der Mundhöhle dünn und empfindlich, mit dem Knochen nur über ein lockeres Bindegewebe verbunden und deshalb in alle Richtungen frei verschiebbar. Eine zu schmale oder fehlende Gingiva propria führt zu Rezessionen, Parodontitis und Periimplantitis, Knochenabbau und letztendlich zum Zahn- bzw. Implantatverlust.

 

Im teil- oder unbezahnten Kiefer trägt die befestigte Gingiva bei herausnehmbarem Zahnersatz die Prothesensättel und nimmt den Kaudruck auf. Wenn sich im zahnlosen Kiefer der Kieferknochen zurückbildet, kann auch die Gingiva propria so weit zurückgehen, dass eine Versorgung mit Zahnersatz nicht mehr möglich ist.

 

Im bezahnten Kiefer sind die Zähne von einem aus befestigter Gingiva bestehenden, etwa 5 mm breiten Streifen umgeben, der die Schleimhäute auf Abstand hält und die Zugspannungen von Lippen, Wangen und mimischer Muskulatur aufnimmt sowie von den Zähnen fernhält. Nur diese Zone ist den mechanischen Belastungen des Kaugeschehens gewachsen. Zu hoch ansetzende Schleimhautbänder können einen örtlich begrenzten Verlust der Gingiva propria hervorrufen.

Die Vestibulumplastik und mögliche Indikationen

Die Vestibulumplastik ist ein kieferchirurgisches Verfahren, mit dem das Problem der zu schmalen oder nicht vorhandenen Gingiva propria gelöst werden kann. Mit „Vestibulum“ ist der Mundvorhof und mit „Plastik“ (griechisch) eine operative Formung bzw. Wiederherstellung eines in seiner Funktion beeinträchtigten Gewebes definiert. In früheren Zeiten diente die Vestibulumplastik ausschließlich der Vertiefung des Mundvorhofs. Das Ziel war die Auskleidung der Umschlagfalte mit funktionstüchtiger Schleimhaut zur Bildung eines Ventilrandes. Dieses Verfahren wird auch heute noch angewandt.

 

Wenn Patienten über viele Jahre Totalprothesen tragen, bilden sich oft Schlotterkämme. Parallel zeigt sich ein Abbau des darunterliegenden Knochens, der durch die Druckbelastung der Prothese über einen langen Zeitraum in der Höhe minimiert ist. Eine Vestibulumplastik dient bei dieser Indikation z. B. dazu, die Saugfähigkeit der Zahnprothese zu verbessern, indem die Oberfläche des Kiefers vergrößert wird. Dafür werden fehlinserierende Muskeln und Bänder entfernt, die die Prothesen bei Sprech- und Kaubewegungen abheben lassen, was auch in Kombination mit Implantaten zu einem besseren Halt einer Vollprothese führen kann. Der Alveolarkamm wird dabei indirekt erhöht, wenn noch eine ausreichende Höhe an Kieferknochen besteht.

 

Diese Therapie wird z. B. vor bzw. im Rahmen der Implantatinsertion nach der GOZ-Nr. 9010 ff., bei Freilegung nach GOZ-Nr. 9040 oder im Rahmen einer Periimplantitistherapie durchgeführt. Implantate benötigen für den Langzeiterfolg eine attached Gingiva, die einen nachhaltigen Schutz vor einer Periimplantitis bietet. Nur so kann gewährleistet werden, dass die bewegliche Schleimhaut keinerlei Bewegung auf die Regionen um das Implantat herum verursacht. Viele Studien belegen, dass das Vorhandensein keratinisierter Gingiva um raue Implantate zu niedrigerer Plaqueretention führt und somit eine bessere Prognose der Implantate und Suprakonstruktionen mit sich bringt.

Die Indikation beim Weichgewebsmanagement

Mit Urteil vom 13.12.2012 bestätigt das VG München, dass die GOÄ-Nr. 2675 nicht nur bei herausnehmbarem Ersatz mit Sattel beihilfefähig sei (Az. M 17 K 11.2205). Nach Ansicht der Beihilfestelle werde durch das „Herunterziehen der den Knochen bedeckenden Schleimhaut der Alveolarkamm höher dargestellt und ein Prothesensattel habe mehr Halt. Nach den vorliegenden Unterlagen sei aber festsitzender Ersatz geplant. Daher sei die medizinische Notwendigkeit für die Erbringung der Ziffer Ä2675 nicht ersichtlich.“ Das Sachverständigengutachten ergab, dass „die partielle Vestibulum-/Mundboden-/Tuberplastik je Kieferhälfte/Frontzahnbereich Bestandteil bzw. besondere Ausführung bzw. methodisch notwendiger operativer Einzelschritt der Implantation oder als selbstständige Maßnahme neben der Implantation medizinisch notwendig war.“

 

Das Gericht entschied: „Zu Unrecht erfolgte die Ablehnung der Beihilfegewährung für die Nr. 2675 GOÄ, die für die Anwendung des Split-Flap-Verfahrens angesetzt worden war. Der Beklagte (Anmerkung: die Beihilfestelle) stützt seine Ansicht allein auf das Argument, dass diese Nummer nur bei herausnehmbarem Ersatz mit Sattel beihilfefähig sei, der hier nicht vorliege. Die nachvollziehbare Darstellung des Sachverständigen führt allerdings zu dem Ergebnis, dass die betreffende Maßnahme dennoch hier eine eigenständig erbrachte Behandlungsmaßnahme darstellt. Das Vorgehen des Zahnarztes ist nach Ansicht des Sachverständigen im Sinne eines komplexen Weichgewebemanagements zu verstehen und nicht als einfacher Wundverschluss.“

Die Indikation bei einer Extraktion

In PI 07/2013, Seite 11 ff. hat die PI-Redaktion einige Urteile zu Vestibulumplastiken vom Amtsgericht München (2009), Amtsgericht Köln (2010) und Landgericht Köln (2011) vorgestellt. Inzwischen liegt zu dem Thema ein weiteres Urteil vor ‒ das des Landgerichts Hagen (LG, Urteil vom 07.05.2013, Az. 4 O 358/10, Abruf-Nr. 197467). In dem Fall ging es um die Berechenbarkeit der GOÄ-Nr. 2675 im Rahmen einer Extraktion. Nach Darstellung der Privatversicherung hatte der Zahnarzt neben der Extraktion noch weitere Leistungen über die GOÄ-Nr. 2675 sowie einen Zuschlag nach GOÄ-Nr. 444 und atraumatisches Nahtmaterial berechnet. Diese Positionen wären jedoch nicht erstattungsfähig, da es sich um Leistungen im Zusammenhang mit dem Wundverschluss handelt, die als Bestandteil der Extraktion nicht gesondert erstattungsfähig sind. Auch medizinisch notwendige operative Einzelschritte wären bei einer operativen Zielleistung ‒ hier dem Wundverschluss nach § 4 Abs. 2a S. 2 GOÄ ‒ nicht abrechenbar.

 

Das Gericht entschied nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass es sich bei der GOÄ-Nr. 2675 um eine partielle Vestibulumplastik handle und nicht um eine Maßnahme, die als chirurgische Teilleistung mit dem operativen Ziel des Wundverschlusses nicht selbstständig abgerechnet werden kann. Danach handelt es sich vielmehr um eine präprothetische Maßnahme zur Gewinnung von befestigter Gingiva, die der späteren prothetischen Versorgung diente. Auch im Falle der Entfernung von Zähnen könne diese Maßnahme notwendig sein. Eine Vestibulumplastik kann nicht nur für die Verfestigung des Vestibulums erforderlich sein, sondern auch beim Anfertigen einer festsitzenden prothetischen Versorgung.

Wie wird der Eingriff durchgeführt?

Hierbei wird die Schleimhaut und ‒ je nach Bedarf ‒ auch das darunterliegende Gewebe ‒ in Schichten von Kiefer, Zahn oder Implantat abgelöst, die Knochenhaut belassen und der mobilisierte Teil in der Umschlagfalte mit geeigneten Nähten in einer neuen Position fixiert. Die Wundfläche verheilt nach dem Prinzip der offenen Granulation innerhalb von rund zehn Tagen und bildet neue befestigte Schleimhaut. Alternativ kann die Wundfläche mit Schleimhaut oder einer resorbierbaren 3-D-Kollagenmatrix abgedeckt werden.

Welche Gebührenziffern sind berechenbar?

In der GOZ befindet sich nur eine Vestibulumplastik, die GOZ-Nr. 3240. Diese ist für eine Größe von ein bis zwei nebeneinanderliegenden Zähnen oder einen vergleichbar großen Bereich am zahnlosen Kieferabschnitt vorgesehen. Die Gingivaextensionsplastik ist wegen des vergleichbaren Aufwands seit der GOZ-Novellierung 2012 in die Leistung nach der GOZ-Nr. 3240 einbezogen. Eine Vestibulumplastik größeren Umfangs wird nach den GOÄ-Nrn. 2675 bis 2677 berechnet.

 

Weiterführende Hinweise

  • Im zweiten Teil in der Januar-Ausgabe veröffentlicht PI verschiedene Textbausteine für den Schriftwechsel mit privaten Kostenträgern wegen Erstattungsproblemen bei Vestibulumplastiken.
  • Detaillierte Informationen zur Berechenbarkeit der unterschiedlichen Vestibulumplastiken und Zuschläge finden Sie im Archiv von PI 06/2013, Seiten 8 ff., und 07/2013, Seiten 11 ff.