Uncategorized

28.06.2018·Aktuelle Rechtsprechung Bundesgerichtshof: Sachverständigengutachten musste eingeholt werden

·Aktuelle Rechtsprechung

Bundesgerichtshof: Sachverständigengutachten musste eingeholt werden

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, LL.M., Mazars Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin, www.mazars.de

| Der Verzicht auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens stellt im Arzthaftungsrecht regelmäßig einen Verfahrensverstoß dar. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine Rechtsprechung hierzu bestätigt. |

 

Der Fall

Nach zahnchirurgischer Behandlung und implantatgetragener prothetischer Versorgung verklagte eine Patientin ihren Zahnarzt. Klage und Berufung waren erfolglos. Die Patientin hatte u. a. vorgetragen:

 

  • Die eingegliederte Konstruktion habe sich mehrfach gelockert und sei herausgefallen (fehlerhafte Durchführung der Behandlung).
  • Die verwendeten Aufbauten seien für die eingegliederte Suprakonstruktion ungeeignet gewesen (fehlerhafte Planung).

 

Als Beweis hatte sie Bilder der noch vorhandenen Aufbauten sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Das Berufungsgericht hatte kein Gutachten eingeholt: Dem berufenen Fachsenat sei bekannt, dass „bereits kurze Zeit nach Veränderung der Gebisssituation eine Überprüfung nicht mehr möglich sei“. Die inzwischen anderweitig versorgte Patientin hätte vor Anfertigung der neuen Brücke zur Sicherung des vorherigen Zustands ein selbstständiges Beweisverfahren durchführen lassen müssen.

 

Die Entscheidung

Der BGH (Beschluss vom 09.01.2018, Az. VI ZR 106/17, Abruf-Nr. 201032 unter pi.iww.de) hob das Berufungsurteil auf und stellte unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Senats fest, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden war. Er begründete dies u. a. wie folgt: Das angebotene Sachverständigengutachten sei in unzulässiger Weise nicht eingeholt worden. Ein solcher Verzicht sei nur möglich, wenn das Gericht die erforderliche besondere Sachkunde vorweisen könne und die Parteien auf den beabsichtigten Verzicht zuvor hingewiesen hätten. Dies war hier nicht erfolgt.

 

PRAXISTIPP | Das Verfahrens- und insbesondere das Sachverständigenrecht hat im Arzthaftungsprozess grundlegende Bedeutung. Dies enthält insbesondere die Auswahl des Sachverständigen und die Würdigung seiner Äußerungen (z. B. auf etwaige Befangenheit). Darüber hinaus ist stets über die Formulierung des dem Sachverständigen vom Gericht vorgelegten Fragenkatalogs zu wachen. Vor allem aber kann vom Einholen eines Sachverständigengutachtens nur in den seltensten Fällen ‒ und dann auch nur unter engen Voraussetzungen ‒ abgewichen werden. Schon deshalb ist kompetente anwaltliche Begleitung essenziell.