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01.04.2016·Forschung Altes Wirkprinzip wiederentdeckt: Mit Silberionen gegen Periimplantitis

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Altes Wirkprinzip wiederentdeckt: Mit Silberionen gegen Periimplantitis

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter ZahnmedizinReport, Berlin

| Die antimikrobielle Wirkung von Silber war schon im Altertum bekannt – rund 3.000 Jahre, bevor Mikroben erstmals entdeckt wurden. Wenn auch der genaue Wirkmechanismus selbst heute noch nicht völlig geklärt ist, so ist die Wirkung von Metallionen gegen Mikroorganismen doch als effektiv anzusehen. Und in Zeiten der Multiresistenzen wird dieses alte Wirkprinzip wiederentdeckt – auch in der Implantologie. |

Renaissance in der Implantologie dank Resistenz

Silberstift-Wurzelfüllungen wurden vor 70 Jahren eingeführt, um insbesondere enge und gekrümmte Kanäle zu füllen. Die Problematik dieser Technik liegt u. a. im Korrosionsverhalten von Silber bei Kontakt mit Gewebeflüssigkeiten, was letztlich zur Leckage führt. Dabei entstehen Korrosionsprodukte wie Silbersulfid, Silbersulfat, Silberkarbonate und Silberaminhydrat. Diese haben stark zytotoxische Eigenschaften und können im Rahmen von Revisionsbehandlungen akute postoperative Entzündungsreaktionen hervorrufen.

 

Die Kombination von Korrosion, unästhetischen intrinsischen Verfärbungen und zytotoxischen Reaktionen ließen den Einsatz von Metallionen obsolet erscheinen – zumal es zunehmend potente Antibiotika gab. Nur noch in der Außenseitermethode der Kupfer-Depotphorese mit Cupral® wurden Metallionen eingesetzt.

 

In viele Medizinprodukte wird bereits Silber integriert, um die Heilung zu fördern und Entzündungen zu verhindern. Die steigende Zahl der Fälle von Periimplantitis in der Zahnmedizin und in der Orthopädie, die mit Antibiotika allein nicht in den Griff zu bekommen sind, sorgt auch bei Implantaten für eine Renaissance der ionischen antibiotischen Metallionen. Denn selbst der Methicillin-resistente Problemkeim S. aureus (MRSA) kann mit 1 Prozent Mikro-Silber vollständig inhibiert werden.

 

Das Prinzip ist überall ähnlich: Silber-Nanopartikel werden in Trägersubstanzen – meist Kunststoffe oder Keramiken – eingebettet, mit denen die Implantate beschichtet sind. Dadurch sind die Partikel fest im Material gebunden und gelangen nicht in den Körper. Sie geben aber wegen ihrer großen Oberfläche ausreichend lösliche Silberionen ab. Diese Ionen sind es, die Bakterien töten und so Entzündungen vermeiden sollen. Zum Schutz von Medizinprodukten oder zum Abdecken von Brandwunden also eigentlich eine gute Lösung.

 

Doch das medizinisch eingesetzte Silber schädigt in der benötigten Dosis auch menschliche Gewebezellen. Zudem schwächt Bluteiweiß die Wirkung auf Bakterien. Das hat ein Team um Prof. Dr. Stephan Barcikowski vom Center for Nanointegration (CENIDE) der Universität Duisburg-Essen belegt. Versuche mit Bakterien bestätigten die keimtötende Wirkung. Doch schädigen die Silberionen in der gleichen Konzentration auch Fibroblasten. Hier ist die therapeutische Breite – das Verhältnis zwischen wirksamer und schädlicher Dosis – extrem klein, sodass der praktische Einsatz riskant ist.

Ziel: Nanomaterialien ohne Nebenwirkungen nutzen

Weltweit wird deshalb zurzeit in vielen Forschungsprojekten untersucht, ob und wie man ausschließlich die wundheilende Wirkung von Nanomaterialien in der Implantologie nutzen kann – ohne die Nebenwirkungen. Wichtig ist, dass die Silberionen schnell und in der Anfangszeit der Implantation abgegeben werden, wo die größte Gefahr einer Besiedlung mit Biofilmen besteht.

 

An der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA in St. Gallen wurde Hydroxylapatit (Hauptbestandteil der anorganischen Substanz in Knochen und Zähnen) in verschiedenen Konzentrationen mit Silberionen versetzt und auf Titan aufgebracht. Die Beschichtung zeigte keine Zytotoxizität gegenüber primären menschlichen Knochenzellen, aber eine antibakterielle Wirkung selbst gegen Staphylococcus aureus und Escherichia coli.

 

An der Universität Augsburg versuchte es eine Gruppe aus Ärzten, Physikern und Ingenieuren mit einer Implantatbeschichtung aus einem diamantähnlichen Kohlenstoff, die mit Silber-Nanopartikeln versetzt ist. Die schnelle, nur anfängliche Freisetzung der Ionen unterdrückte auch S. aureus und S. epidermidis und erleichterte das Wachstum von eigentlich silberempfindlichen Zellen, die als Kontrolle für die Zelltoxizität verwendet wurden.

 

Auch an der Ruhr-Universität Bochum sucht man nach Wegen, wie man Silber durch Kombination mit anderen Edelmetallen für medizinische Implantatmaterialien nutzbar machen kann. Das sogenannte Opferanodenprinzip kann die Freisetzung der Ionen und damit die antibakterielle Wirkung effizient steigern: Aus einer Kombination von Silber mit einem elektrochemisch edleren Metall (z. B. Platin) in einem Elektrolyt-System – Gewebsflüssigkeit oder Blut – löst sich vornehmlich das elektrochemisch unedlere Silber initial auf; es „opfert“ sich für das edlere Platin. Dieses Prinzip ist in technischen Anwendungen – z. B. im Schiff- und Fahrzeugbau oder in Heißwasser-Geräten – weit verbreitet, erklärt Jun.-Prof. Dr. Christina Sengstock.

Ist Silber gar nicht der Goldstandard?

Obwohl derzeit häufig Silberionen in medizinischen Applikationen verwendet werden, scheint Kupfer wegen seiner vermeintlich geringen Zytotoxizität und hierbei deutlich höheren antibakteriellen Potenz zur Integration in medizinische Implantate vielleicht besser geeignet. In Versuchen an der TU München zeigte sich Kupfer von den untersuchten Ionen am besten als antibakterielles Agens für medizinische Implantate geeignet. Aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse scheint die Applikation einer mit Kupfer beladenen keramischen Titandioxid-Schicht möglich. So käme die alte Depotphorese von Prof. Dr. Dr. Adolf Knappwost auf dem Umweg der Nanotechnologie doch noch zu Ehren.

 

Quellen

  • [1] Zur Bewertung der Depotphorese in der Endodontie, Gemeinsame wissenschaftliche Stellungnahme der DGZTMK und der DGZ, Mai 2000.
  • [2] Meißner S. In-vivo-Wirksamkeit von mikroporösem metallischen Silber in Polymethylmethacrylat-Knochenzement gegen Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus – eine experimentelle Studie am Kaninchen. Dissertation, Gießen, 2014
  • [3] Silber tötet Keime, schädigt aber Zellen. Ärzte Zeitung, 12.09.2012
  • [4] Nachev P et al. Synthesis of hybrid microgels by coupling of laser ablation and polymerization in aqueous medium. J. Laser Appl. 2012; 24, 042012.
  • [5] Grade S et al. Therapeutic Window of Ligand-Free Silver Nanoparticles in Agar-Embedded and Colloidal State: In Vitro Bactericidal Effects and CytotoxicityAdvanced Engineering Materials 2012; 14 (5): B231-B239.
  • [6] Guimond-Lischer S et al. Vacuum plasma sprayed coatings using ionic silver doped hydroxyapatite powder to prevent bacterial infection of bone implants. Biointerphases. 2016;11(2):011012.
  • [7] Gorzelanny C et al. Silver nanoparticle-enriched diamond-like carbon implant modification as amammalian cell compatible surface with antimicrobial properties. Sci Rep. 2016;6:22849.
  • [8] Entwicklung keimtötender Implantate: Bergmannsheil-Forscherin erhält DFG-Förderung. Pressemitteilung des Klinikums der Ruhr-Universität Bochum – Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil GmbH vom 5. Januar 2016.
  • [9] Haenle M. Mikrobiologische Untersuchungen zur antibakteriellen Potenz von Metallionen sowie einer neuartigen antiinfektiösen Titan(IV)-oxid Oberflächenbeschichtung für medizinische Implantate. Dissertation München 2008