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04.10.2010 |Kostenerstattung Voraussetzungen für die Kostenerstattung und Relevanz von Leit- oder Richtlinien

04.10.2010 |Kostenerstattung

Voraussetzungen für die Kostenerstattung und Relevanz von Leit- oder Richtlinien

von RA, FA für Medizinrecht Norman Langhoff, RöverBrönner, Berlin

Nachfolgend werden die Voraussetzungen für die Leistungspflicht von Kostenerstattern und die versicherungsrechtlichen Aspekte von Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen – insbesondere im Hinblick auf die Indikationsklassen zur Implantattherapie – behandelt.  

 

In der PKV ist – anders als in der GKV – der Patient selbst Schuldner der Behandlungskosten. Somit ist der Behandler rein rechtlich an Streitigkeiten über die Kostenerstattung mit PKVen nicht beteiligt. Ganz unbeteiligt ist er aber trotzdem nicht, wie ein Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 29. Juli 2010 (Az: 3 O 431/02; Abruf-Nr. 102771 unter www.iww.de) zeigt: Ein Zahnarzt handelt treuwidrig, wenn er einem Patienten seine Leistungen in Rechnung stellt, ihn aber bei der Beantwortung von Fragen einer PKV im Zusammenhang mit der Kostenerstattung nicht unterstützt. Er muss also notwendige Informationen weitergeben. Außerdem kann der Patient bei Verletzung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht dem zahnärztlichen Vergütungsanspruch einen Anspruch auf Schadenersatz entgegensetzen (siehe dazu „Praxis Implantologie – PI – Nr. 1/Juni 2010). 

Was ist eine medizinisch notwendige Heilbehandlung?

Versicherungsrechtlicher Anknüpfungspunkt sowie Mittelpunkt der Auseinandersetzungen mit PKVen ist regelmäßig der Begriff der Kosten für „medizinisch notwendige Heilbehandlungen“ (§ 1 Abs. 2 der MB/KK 1994), denn nur diese sind vom Versicherungsschutz umfasst. Aus den individuellen Tarifen können sich weitere Ausschlüsse und Beschränkungen ergeben. 

 

Nach gefestigter Rechtsprechung liegt eine medizinisch notwendige Heilbehandlung vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der (zahn-)ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen. Dies ist anhand der im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung zu bestimmen. Vertretbar ist eine Heilbehandlung, wenn sie in fundierter und nachvollziehbarer Weise das zugrunde liegende Leiden diagnostisch hinreichend erfasst und eine ihm adäquate, geeignete Therapie anwendet.  

 

Bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit sind Kostengesichtspunkte zunächst unbeachtlich (siehe dazu Bundesgerichtshof vom 12. März 2003, Az: IV ZR 278/01, Abruf-Nr. 030589, und Landgericht Köln vom 13. Mai 2009, Az: 23 S 65/08, Abruf-Nr. 103131). Auf die Auffassung des Privatpatienten oder des ihn behandelnden Zahnarztes hinsichtlich der Notwendigkeit kommt es nicht an, da die objektive Vertretbarkeit maßgeblich ist. Dies macht im Prozess die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Die Vernehmung des behandelnden Zahnarztes ist im Prozess um die Kostenübernahme kein taugliches Beweismittel.  

Einschränkungen bei der Leistungspflicht beachten

Mit der Wendung „medizinisch notwendige Heilbehandlung” geht prinzipiell keine Beschränkung der Leistungspflicht auf die kostengünstigste Behandlung einher. Klauseln, die eine Leistungspflicht für wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden ausschließen, sind unwirksam (siehe Bundesgerichtshof im Urteil vom 23. Juni 1993, Az: IV ZR 135/92, Abruf-Nr. 103130). Einschränkungen und Kürzungen sind aber gleichwohl möglich: Übersteigt eine Heilbehandlung das medizinisch notwendige Maß, so kann der Versicherer seine Leistungen auf einen angemessenen Betrag herabsetzen (§ 5 Abs. 2 MB/KK 1994 „Luxusbehandlung“), muss dies im Streitfall aber beweisen. Hier besteht – gerade bei Implantatbehandlungen – ein Einfallstor, um doch die Höhe der Behandlungskosten zu berücksichtigen. 

 

Vielfältige Kasuistik in der Rechtsprechung ist die Folge. So soll eine Implantatbehandlung, die luxuriöse und gefälligere, auf dem Wunsch des Patienten beruhende Maßnahmen umfasst, über das medizinisch Notwendige hinausgehen (Landgericht Koblenz mit Urteil vom 4. August 2004, Az: 12 S 33/04). Insbesondere bei Maßnahmen mit eher ästhetischem Charakter kann die medizinische Notwendigkeit entfallen (siehe dazu das Amtsgericht Köln vom 14. Juli 1992, Az: 115 C 32/92, Abruf-Nr. 103128, und das Amtsgericht Schöneberg vom 16. Dezember 1993, Az: 18 C 316/93, Abruf-Nr. 103129, für Verblendungen ab Zahn 7).  

 

Grundsätzlich aber gehören Implantate zum heutigen zahnmedizinischen Standard. Sie sind medizinisch notwendig, wenn die zur Verfügung stehenden Alternativmethoden bezüglich Tragekomfort, Haltbarkeit und Nachsorgeaufwand nicht adäquat sind.  

 

Die Versorgung mit festsitzendem Zahnersatz trotz höherer Behandlungskosten ist zum Beispiel als medizinisch notwendig anzusehen, wenn sich die zu erwartenden Folgekosten einer teleskopgetragenen Modellgussprothese nach Jahren als ungleich höher erweisen, weil dann aufgrund der fortgeschrittenen Atrophie nur noch eine aufwendige implantologische Behandlung möglich ist (Landgericht Stuttgart am 15. Juli 2002, Az: 27 O 304/01, Abruf-Nr. 103127). 

 

In den Versicherungsbedingungen kann eine stärkere Berücksichtigung von Kostengesichtspunkten vereinbart werden (zum Beispiel mit einem an den Leistungskatalog der GKV angelehnten Basistarif). In ganz besonderen Ausnahmefällen, in denen die durchgeführte Behandlung nicht nur mit höheren, sondern mit gänzlich unverhältnismäßigen Kosten verbunden ist, besteht keine Erstattungspflicht 

Die versicherungsrechtliche Bedeutung der Indikationsklassen in der Implantologie

Der pauschale Hinweis einer PKV auf die Indikationsklassen zur Implantattherapie als Grund für die Ablehnung einer geplanten implantologischen Behandlung mit dem Argument, diese sei medizinisch nicht notwendig, ist unzureichend. Ihm kann unter anderem mit folgenden Argumenten erwidert werden: 

 

  • Empfehlungen sind unverbindlich; von ihnen kann jederzeit abgewichen werden. Die Indikationsklassen werden von ihren Herausgebern selbst als „Empfehlungen“ klassifiziert. Ihnen kommt daher bereits definitionsgemäß keine zwingende Geltung zu; sie sind noch unterhalb von – prinzipiell ebenfalls nicht zwingenden – Leitlinien einzustufen.

 

  • Die Mitglieder der Konsensuskonferenz beanspruchen für ihre Empfehlungen selbst keine absolute Geltung („Sie stellen keine festen Vorgaben dar.“) .Da inzwischen auch keine einheitlichen Empfehlungen der Konsensuskonferenz mehr vorliegen, können diese – soweit im Einzelfall Abweichungen bestehen – jeweils auch keinen exklusiven Geltungsanspruch haben.

 

  • Es besteht keine rechtliche Vermutung dahingehend, dass nur leitlinienkonforme Therapieansätze medizinisch vertretbar sind. Ein Stillstand der medizinischen Entwicklung wäre die Folge. Dies gilt erst recht für die unverbindlichen Empfehlungen.

 

  • Sogar Leitlinien stellen (nur) einen Entscheidungskorridor dar. Sie geben in der Regel jedoch keine Hinweise zum jeweiligen Erfahrungs- und Situationswissen des jeweiligen Behandlers und unterliegen aufgrund der leitlinientypischen Verkürzung komplexer Inhalte der Gefahr unzulässiger Vereinfachungen. Dies gilt erst recht für die unverbindlichen Empfehlungen.

 

Merke 

Der Grundsatz der zahnärztlichen Therapiefreiheit entbindet nicht von der Pflicht zur Aufklärung über echte Behandlungsalternativen. 

 

 

Weiterführender Hinweis

  • Beachten Sie zu dieser Thematik auch die Beiträge „Indikationsklassen zur Implantattherapie: Wie viele Implantate im Regelfall zulässig sind“ in „Praxis Implantologie“ – PI – Nr. 3/August 2010, S. 7, und „Inwieweit ist der Zahnarzt haftungsrechtlich an Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen gebunden?“ in derselben Ausgabe, S. 11.