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02.10.2014·Recht Wichtige Spielregeln im Arzthaftungsprozess: Besonderheiten der Beweislastverteilung

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Wichtige Spielregeln im Arzthaftungsprozess: Besonderheiten der Beweislastverteilung

von Norman Langhoff, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, RBS RoeverBroennerSusat, Berlin, www.rbs-partner.de 

| Schon seit Jahren wird über steigende Zahlen von Arzthaftungsprozessen berichtet. Der Hinweis ist daher zwar nicht neu, trotzdem aber weiterhin zutreffend. Ein Blick auf die Spielregeln im Haftungsprozess lohnt daher. |

Haftungsgrundlagen

Es bestehen grundsätzlich zwei Anknüpfungspunkte der Haftung eines Zahnarztes gegenüber einem Patienten: der Behandlungsvertrag und der mit der Behandlung verbundene Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine Haftung aus fehlerhafter Behandlung besteht, wenn diese nicht entsprechend dem geltenden Facharztstandard durchgeführt wird. Eine Haftung kann sich daneben aber auch aus Versäumnissen bei der Aufklärung ergeben. Erfolgt diese fehlerhaft oder unvollständig, so wird dadurch zum einen der Behandlungsvertrag verletzt, zum anderen stellt sich dann der Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten als nicht mehr gerechtfertigt dar. Weitere Voraussetzung jeder Haftung ist, dass der Patient durch eine dieser Handlungen verletzt wurde und ihm daraus ein Schaden entstanden ist.

Prozessuale Grundlagen

In verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen im Arzthaftungsrecht mehrere Besonderheiten, die strukturell bedingte Nachteile der Patientenseite ausgleichen sollen und deren Prozessführung daher tendenziell erleichtern:

 

  • Grundlage jedes Urteils ist der zugrunde liegende Sachverhalt. Im Zivilprozess hat nicht das Gericht den Sachverhalt zu ermitteln, sondern es müssen die Parteien diese Tatsachen vortragen. Nicht Vorgetragenes wird nicht berücksichtigt. Besonderheit im Arzthaftungsprozess: Der Patient hat einen Behandlungsfehler nicht in allen Einzelheiten darzulegen. Es genügt, dass konkrete Verdachtsgründe angegeben werden. Das Gericht zieht dann die Behandlungsgunterlagen bei und holt ein Sachverständigengutachten ein.
  • Jede Partei hat die für sie vorteilhaften Umstände zu beweisen, wenn die Gegenseite bestreitet, dass die Behauptung zutrifft. Von herausragender Bedeutung sind folgende Grundregeln: 1. Der Patient muss den Behandlungsfehler beweisen. 2. Der Zahnarzt muss die ordnungsgemäße Aufklärung beweisen (so jetzt auch explizit § 630h Abs. 2 Satz 1 BGB).

Tatsachenvermutungen

Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit in vielfacher Hinsicht Beweiserleichterungen entwickelt. Im Rahmen des neuen Patientenrechtegesetzes (PatRG) ist diese Rechtsprechung umgesetzt worden (§ 630h BGB). In den folgenden Fällen bestehen gesetzliche Tatsachenvermutungen, das heißt der Zahnarzt muss das Gegenteil beweisen, anderenfalls wird zu seinen Lasten von der Wahrheit der Vermutung ausgegangen:

 

  • Voll beherrschbare Risiken: Ein Behandlungsfehler wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war (§ 630h Abs. 1 BGB).
  • Fehlende Dokumentation: Ist eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme und ihr Ergebnis nicht in der Patientenakte aufgezeichnet, wird vermutet, dass diese Maßnahme nicht erfolgt ist. (§ 630h Abs. 3 BGB)
  • Fehlende fachliche Qualifikation: War ein Behandelnder für die von ihm vorgenommene Behandlung nicht befähigt, so wird vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war. (§ 630h Abs. 4 BGB)

Die Beweislastumkehr

Besonders schwer ist es für die Patienten, zu beweisen, dass die Verletzung der körperlichen Integrität („Rechtsgutsverletzung“) tatsächlich durch den behaupteten Behandlungsfehler hervorgerufen worden ist. Hier greift die Regelung in § 630h Abs. 5 BGB, mit der die Rechtsprechung zum „schweren“ oder „groben“ Behandlungsfehler kodifiziert worden ist.

 

Hat der Patient bewiesen, dass es sich um einen schweren Behandlungsfehler handelt, und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine entsprechende Verletzung herbeizuführen, so wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war. Bedeutsam ist dabei, dass es allein auf die abstrakte Eignung des schweren Fehlers zur Verursachung der konkreten Verletzung ankommt. „Schwer“ ist ein Behandlungsfehler dann, wenn das medizinische Verhalten objektiv unter Zugrundelegung geltender Ausbildungs- und Wissenschaftsstandards nicht mehr verständlich erscheint, weil gegen bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßen wurde und ein solcher Fehler nicht unterlaufen darf. Ob dies der Fall ist, entscheidet das Gericht.

 

Aufgrund der gesetzlichen Vermutung, dass der schwere Fehler die Verletzung verursacht hat, muss nun der Behandler beweisen, dass entweder der Behandlungsfehler generell nicht geeignet ist, einen Gesundheitsschaden in der eingetretenen Form herbeizuführen, oder aber jeglicher Ursachenzusammenhang zwischen dem schweren Behandlungsfehler und der Rechtsgutsverletzung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles „äußerst unwahrscheinlich“ ist. Dieser Gegenbeweis ist in der Praxis kaum zu führen. Ist ein schwerer Behandlungsfehler erst einmal etabliert, dann ist der negative Prozessausgang in der Regel vorgezeichnet.

 

Wichtig | Sogar einfache Befunderhebungsfehler führen zu einer Beweislastumkehr, „wenn es der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre“ (§ 630h Abs. 5 S. 2 BGB).