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05.01.2011 |Aktuelle Rechtsprechung Einschränkungen der Erstattungspflicht bei besonders hohen Steigerungssätzen

05.01.2011 |Aktuelle Rechtsprechung

Einschränkungen der Erstattungspflicht bei besonders hohen Steigerungssätzen

von RA, FA Medizinrecht Norman Langhoff, RöverBrönner, Berlin

Der Umfang der Erstattungspflicht einer privaten Krankenversicherung (PKV) ist stets einzelfallbezogen zu ermitteln. Allgemeingültige Antworten sind nicht möglich, denn es können unterschiedliche Rechtsgrundlagen bestehen. So kommt es zum Beispiel darauf an, welcher Tarif im Einzelfall anwendbar ist und wie dessen Regelungen auszulegen sind. An einer neueren Entscheidung des Amtsgerichts Nürnberg vom 11. Januar 2010 (Az: 22 C 7766/08; Abruf-Nr. 104206 unter www.iww.de) kann diese Variantenvielfalt verdeutlicht werden. 

 

Der Sachverhalt

Die gegen ihre Versicherung klagende Patientin schloss mit ihrer Zahnärztin eine Vergütungsvereinbarung ab, in der für zahnärztliche Leistungen der 5,9-, 7- und 8,3-fache Gebührensatz vereinbart wurde. Die Versicherungsbedingungen, denen die MB/KK 94 zugrunde lagen, sahen eine Erstattungspflicht von 80 Prozent für Zahnersatz und 100 Prozent für Zahnbehandlungen vor. Von der Rechnung für die Behandlung in 2006 und 2007 über 3.830 Euro erstattete die Versicherung unter Kürzung auf den 2,3-fachen Satz nur 1.561 Euro.  

 

Zur Begründung verwies die Versicherung unter anderem darauf, dass nach § 1 Abs. 2 MB/KK 94 für Abrechnungsfaktoren, die über den 2,3-fachen Satz hinausgehen, keine medizinische Notwendigkeit bestünde. Weiterhin meinte sie, dass die Gebührenvereinbarung nur Arzt und Patientin, nicht jedoch die Versicherung binde, und dass die GOZ-Nr. 517 nur zu 80 Prozent erstattungsfähig sei. 

 

Das AG Nürnberg folgte dem nicht und gab der Klage größtenteils statt. Die Versicherungsbedingungen definierten die Kosten für Zahnersatz als „die zahnärztlichen Gebühren für prothetische Leistungen, Kronen, Implantate […] sowie die damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen und die erforderlichen Vor- und Nachbehandlungen“. Dies ließ nach Auffassung des Gerichts nur die Auslegung zu, dass die Nr. 517 als Leistung für Zahnersatz einzuordnen sei, sodass eine Erstattungspflicht nur in Höhe von 80 Prozent bestand. 

 

Keine Leistungsbegrenzung wegen Übermaßbehandlung

Nach § 5 Abs. 2 MB/KK 94 kann der Versicherer seine Leistungen auf einen angemessenen Betrag herabsetzen, wenn eine Heilbehandlung das medizinisch notwendige Maß übersteigt (sogenannte Übermaßbehandlung). Dies beinhaltet jedoch kein Kürzungsrecht wegen einer „Übermaßvergütung“. Da die Versicherungsbedingungen im vorliegenden Fall keine Beschränkung auf den Gebührenrahmen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 GOZ (maximal 3,5-facher Satz) oder Teile desselben (zum Beispiel 2,3-facher Satz) vorsahen, ist die Versicherung nach Ansicht des AG Nürnberg auch dann erstattungspflichtig, wenn Honorarvereinbarungen getroffen werden, die den Gebührenrahmen übersteigen. Die Vergütungsvereinbarung wirkte hier daher (nur) zu Lasten der Versicherung, weil die Bedingungen keine Beschränkung auf einen bestimmten Gebührenrahmen vorsahen. 

 

Das AG Nürnberg nimmt jedoch eine Begrenzung der Leistungspflicht zugunsten der Versicherung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) an. Dazu ein Zitat aus dem Urteil:  

 

„Der Versicherungsnehmer muss bei der Inanspruchnahme einer besonders kostenträchtigen und nicht vital lebensnotwendigen Behandlung in angemessener Weise Rücksicht auf den Versicherer und die Versicherungsgemeinschaft nehmen. Der Versicherer braucht deshalb ganz unverhältnismäßige Kosten nicht zu erstatten. Zur Beurteilung, ob vorliegend eine derartige Unverhältnismäßigkeit der Kosten gegeben ist, ist vom gesetzlichen Leitbild der GOZ auszugehen. Diese sieht in § 5 Abs. 1 einen Steigerungssatz von maximal 3,5 vor, wobei nach Abs. 2 der Regelsatz das 2,3-Fache beträgt. Hiervon ausgehend erachtet das Gericht eine 100-prozentige Steigerung als angemessen. Übersteigen die Gebührensätze 100 Prozent des Höchstsatzes der Gebührenordnung, ist eine Unverhältnismäßigkeit nach § 242 BGB gegeben.“ 

 

Im Ergebnis zog das AG Nürnberg damit eine Erstattungsgrenze bis zu einem 7-fachen Steigerungssatz. 

 

Diese Entscheidung betraf einen Fall, der vor dem 1. Januar 2009 eingetreten war. Hätte die Behandlung nach dem 31. Dezember 2008 stattgefunden, so wäre die Entscheidung im Ergebnis eventuell trotzdem nicht anders ausgefallen. Der Grund: Die MB/KK 2009 enthalten inzwischen in § 5 Abs. 2 einen neu eingefügten zweiten Satz, wonach der Versicherer auch insoweit nicht zur Leistung verpflichtet ist, „als die Aufwendungen für die Heilbehandlung […] in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen“. Diese Formulierung geht auf eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) zurück. Damit wird die Möglichkeit einer Leistungsbegrenzung nun auch auf die Übermaßvergütung erweitert. 

 

Für Versicherungsfälle ab dem 1. Januar 2009, denen die MB/KK 2009 zugrunde liegen, kommt danach eine Kürzung der Erstattung auch in Betracht, wenn ein „auffälliges Missverhältnis“ zwischen Leistung und Vergütung besteht. Wann dies der Fall ist, wird in der Fachliteratur unterschiedlich beurteilt. So wird vertreten, dass ein auffälliges Missverhältnis vorliege, wenn die Vergütung das Doppelte des „üblichen Wertes“ beträgt – was dem Wuchertatbestand entspricht. Teilweise wird die Grenze jedoch auch bereits darunter angenommen. 

 

Uneinheitlich bewertet wird auch die weitere Frage, ob Altverträge, denen die MB/KK 94 zugrunde liegen, nun ebenfalls so ausgelegt werden müssen, dass auch sie eine mögliche Leistungsbegrenzung wegen Übermaßvergütungen enthalten. Versicherer werden in diesen Fällen wohl Kürzungen nach Treu und Glauben vornehmen dürfen.