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30.08.2012·Zahnmedizin Die Erweiterung des Therapiespektrums um durchmesserreduzierte Implantate

·Zahnmedizin

Die Erweiterung des Therapiespektrums um durchmesserreduzierte Implantate

von PD Dr. Dr. Marcus O. Klein, Düsseldorf

| Es existieren zahlreiche Indikationen für den Einsatz schmaler dentaler Implantate mit Durchmessern ≤ 3,5 mm. Gerade bei älteren Patienten mit zahnlosem atrophen Unterkiefer kann die Verwendung durchmesserreduzierter Implantate helfen, zusätzliche augmentative Maßnahmen mit den damit verbundenen Risiken und Kosten zu vermeiden. In diesem Beitrag werden die Möglichkeiten und Grenzen aufgezeigt. |

Marginale Knocheneinbrüche und Ermüdungsbrüche möglich

Generell weisen schmale Implantate höhere Belastungsspitzen am krestalen Knochen auf als vergleichbare Implantate konventioneller Durchmesser, sodass marginale Knocheneinbrüche vorkommen können. Des Weiteren droht bei langjähriger Belastung das Auftreten von Ermüdungsbrüchen. Daher stellen Indikationen wie die Versorgung ästhetisch anspruchsvoller Frontzahnlücken oder bei hohen Kaubelastungen hohe Ansprüche an Implantatdesign, Oberflächen- und Materialeigenschaften. Neue Legierungen können helfen, die Langzeitperformance zu verbessern.

Im „Grenzbereich“ der modernen Implantologie

Die demographische Entwicklung unserer Bevölkerung mit einem stetig wachsenden Anteil eines zumindest teilweise zahnlosen Patientenkollektivs und der damit verbundenen Kieferatrophie stellt die moderne Zahnmedizin vor neue Herausforderungen. Gerade die konventionelle Versorgung des zahnlosen atrophen Unterkiefers mit herausnehmbaren Versorgungen kann dem Behandlerteam die Grenzen des Machbaren aufzeigen.

 

Dahingegen erweist sich die Insertion schon von zwei strategisch positionierten interforaminalen Implantaten als Halteelemente für eine Unterkieferprothese als sehr effiziente, kostengünstige und nur moderat invasive Behandlungsalternative. Sie wird daher zunehmend als Therapieoption der Wahl zur Versorgung des zahnlosen Unterkiefers angesehen. Des Weiteren unterstützen die eingebrachten, funktionell belasteten Implantate den Strukturerhalt mit Verminderung einer weiteren Knochenatrophie.

 

Ungünstige Lagerverhältnisse wie bei einem grenzwertigen Restknochenangebot mit kritischer Nähe zu vulnerablen anatomischen Nachbarstrukturen und/oder bei einer schlechten Knochenqualität machen oftmals eine primäre dentale Implantation unter Verwendung konventioneller Implantatdurchmesser unmöglich. Weitere Herausforderungen an den Implantologen stellen immer offensivere Einheil- und Belastungsprotokolle sowie eine kalkulierbare Ästhetik – insbesondere bei schlechten Weichgewebsverhältnissen (wenig fixierte Gingiva, dünner Biotyp) – dar.

 

Prinzipiell lassen sich die vorgenannten Beeinträchtigungen des Implantatlagers in vielen Fällen durch folgende (prä-)implantologische Maßnahmen beherrschen: Vermehrung des lokalen Knochenangebots und Verwendung dimensionsreduzierter Implantate (kurz, schmal).

 

Generell bedeuten Verfahren der lokalen Knochenvermehrung bzw. Augmentationsverfahren regelmäßig einen erheblichen operativen und apparativen Mehraufwand mit nicht immer vorhandener Patientenakzeptanz. Zudem sehen sich speziell ältere zahnlose Patienten oft nicht in der Lage, die damit verbundenen finanziellen Belastungen zu tragen.

Schmale Implantate als Therapiealternative

Der Einsatz moderner durchmesserreduzierter dentaler Implantate (≤ 3,5 mm) dient zum einen der Erweiterung des Behandlungsspektrums und hilft zum anderen, den Umfang von vorbereitenden oder simultanen Knochenaugmentationen zu verringern oder gänzlich zu vermeiden. Folgende klinische Indikationen sind für durchmesserreduzierte Implantate definiert worden:

 

  • enge Interdentalräume (< 6 mm), zum Beispiel durch das Aufwandern von Zähnen nach Zahnverlust,
  • Nichtanlagen wie kongenital fehlende seitliche Schneidezähne,
  • schmale Alveolarkämme, zum Beispiel durch langjährige Atrophie oder bei Verlust der vestibulären Knochenlamelle nach Zahnextraktion,
  • Mehrere Implantate sind in grenzwertig enge Schaltlücken zu setzen, so können schmälere Durchmesser mit entsprechend breiterem inter-implantären Abstand in einem deutlich verbesserten Strukturerhalt (Knochen, Papille) resultieren.
  • Verankerungen komplexer epithetischer Versorgungen nach ablativer Tumorchirurgie im Gesichtsbereich (eher selten).

 

Konkret für das oben beschriebene ältere Patientengut mit den genannten Einschränkungen und Ängsten ist insbesondere der minimal-invasive zeitsparende Charakter des Einsatzes schmaler Implantate mit Vermeidung zusätzlicher Augmentationen und umfangreicher Lappenpräparation hervorzuheben.

 

Bei durchmesserreduzierten Implantatsystemen unterscheidet man zwischen einteiligen, transgingivalen, teilweise selbstschneidenden Schraubensystemen mit präformierten, unter Umständen zu beschleifenden Suprastrukturen (in der Regel sogenannte „Miniimplantate“ < 2,5 mm) und konventionellen ein- oder zweiteiligen Implantatsystemen (in der Regel ≥ 3,0 mm). Nachfolgend soll nur auf die letztere Implantatform eingegangen werden, da hier die Möglichkeiten der weiteren prothetischen Versorgung vielfältiger sind.

 

Generell sollte der Einsatz durchmesserreduzierter Implantate auf Indikationen mit vergleichsweise geringen Kaubelastungen (Frontzahnregion, Prothesenhalt im zahnlosen Kiefer) begrenzt sein. Die Anwendung dieser Implantate bei Indikationen mit höheren okklusalen Belastungen wie zum Beispiel im Seitenzahngebiet bei voller Gegenbezahnung entspricht gegenwärtig noch einem Off-label-Gebrauch und ist wissenschaftlich nicht abgesichert. Gründe hierfür sind hohe Belastungen am Knochen-Implantat-Interface sowie das Risiko des Auftretens von Material(ermüdungs)brüchen beim Einsatz von Implantatsystemen aus nicht-legiertem Titan.

 

Aktuell rücken moderne Designs sowie neuartige Legierungen mit verbesserten mechanischen Eigenschaften ins Zentrum des Interesses, sodass eine schrittweise Ausdehnung des Indikationsspektrums für die Zukunft denkbar ist. Für alle oben genannten Indikationen für durchmesserreduzierte Implantate mit dem charakteristischen grenzwertigen Knochenangebot ist eine sorgfältige präoperative Planung essentiell. Moderne bildgebende Verfahren wie die Digitale Volumentomographie (DVT) helfen hierbei, das vorhandene Knochenangebot optimal auszunutzen.

Bauformen und biomechanische Risikoprofile

Im Allgemeinen spricht man von „durchmesserreduzierten“ oder „schmalen“ Implantaten beim Durchmesser von ≤ 3,5 mm. Neben den wichtigen Faktoren Implantatdurchmesser und -länge kann man zwischen den folgenden implantatabhängigen Erfolgskriterien unterscheiden: Implantat(makro-) Design samt Ankopplung der prothetischen Sekundärteile, Material (Legierung) des Implantatkörpers sowie Oberflächen(mikro-)design.

 

Das Makrodesign eines Implantatkörpers ist für die Primärstabilität unmittelbar nach Implantatinsertion sowie für die langfristige krestale Knochenreaktion verantwortlich und sollte an die zu erwartende mechanische Knochenqualität angepasst werden. Es setzt sich aus Dimension und Form des Implantatkörpers sowie der Konfiguration der Schraubenwindungen zusammen. Eine zentrale Idee bei der Gestaltung des Implantatdesigns ist die Weiterleitung der axialen Belastungen nach apikalwärts, um eine Überbelastung der krestalen Knochenanteile mit konsekutiver Resorption zu vermeiden. Ansätze zur besseren Verteilung der Krafteinleitung stellen sogenannte „progressive Schraubengewindedesigns“ sowie das „Platform Shifting“ dar.

 

Während einteilige sogenannte „Miniimplantate“ in der Regel durchgehend solide sind, haben konventionelle Implantatsysteme einen hohlen Innenteil (Schraubengewinde) zur Befestigung der Sekundärteile. Bei zweiteiligen Implantatsystemen spielt die Art und Lokalisation der Ankopplung eine wichtige Rolle. Hier konnten Finite-Element-Analysen zeigen, dass interne konische Ankopplungen in einem günstigeren biologischen Verhalten des marginalen Knochens resultierten, verglichen mit externen flachen Interfaces. Bei allen Implantaten findet der Hauptanteil der Stresseinleitung in die krestalen Anteile des Knochenlagers statt, was bei konventionellen Implantatformen den Einsatz von kurzen Implantaten unterstützt – bzw. eine individuelle Indikationsstellung für längere Implantate (> 12 mm) fordert.

 

Der zunächst hypothetische Vorteil von durchmesserreduzierten Implantaten (erweitertes Indikationsspektrum, weniger Knochenaugmentationen) liegt auf der Hand. Es muss aber bedacht werden, dass hiermit natürlich auch die technische Umsetzung der genannten technischen Wunsch-Charakteristika immer schwieriger wird, bzw. bei „Miniimplantaten“ gar nicht realisierbar ist. Gerade bezüglich des Langzeiterfolges erscheint die Einhaltung hartgewebsfreundlicher technischer Merkmale (Form, Gewindeverlauf, „Platform-Shifting“, interne Ankopplung) von hohem Wert, da zahlreiche Untersuchungen belegen, dass sich die Stresswerte im krestalen kortikalen Knochen reziprok zum Implantatdurchmesser verhalten; das heißt: Schmale Bauformen resultieren in ungünstigeren Belastungsspitzen.

 

In Ergänzung zur den eben genannten biomechanischen Limitierungen spricht das erhöhte Risiko einer Implantatfraktur gegen die uneingeschränkte Verwendung schmaler Implantate aus herkömmlichen Titanlegierungen, da die mechanische Belastbarkeit dieser Verbindungen limitiert ist und Ermüdungsbrüche drohen. Eine Alternative können hier neue stabile und biokompatible Legierungen wie Titan-Zirkonium darstellen.

 

Mikrostrukturelle, physikalische und chemische Oberflächeneigenschaften sind verantwortlich für die definitive Sekundärstabilität bzw. Osseointegration eines dentalen Implantats. Es ist zu konstatieren, dass Titan per se ein sehr biokompatibler Werkstoff ist. Bei durchmesserreduzierten Implantaten ist aber zu beachten, dass zum einen die hohen Belastungen am Implantat-Knochen-Interface eine zügige und sehr belastungsstabile Einheilung erfordern und zum anderen die für die biologischen Interaktionen zur Verfügung stehende Gesamtoberfläche reduziert ist. Von daher stellen schmale Implantate, die unter Umständen auch noch in kompromittierte Knochenlager inseriert werden, erhöhte Anforderungen an die Oberflächeneigenschaften. Durch geeignete Modifikationen der Implantatoberfläche können die Eckpfeiler der initialen biologischen Implantateinheilung entscheidend gefördert werden.

Erfolgsraten durchmesserreduzierter Implantate

Für die klassischen Indikationen (atropher zahnloser Unterkiefer, Einzelzahnersatz der Frontzahnregion) ist die Praktikabilität durchmesserreduzierter Implantate gut dokumentiert – mit Überlebensraten über 95 Prozent, was der Performance von Implantaten mit regulärem Durchmesser entspricht. Für die Indikation der Versorgung des zahnlosen Unterkiefers durch implantatgestützten herausnehmbaren Zahnersatz existieren viele Studien.

 

Im Gegensatz zur kaufunktionellen Rehabilitation des zahnlosen Unterkiefers sind die ästhetischen Ansprüche für die Indikation des fixierten (Einzel-) Zahnersatzes sicherlich höher anzusetzen, sodass hier besonderes Augenmerk auf biomechanische Implantateigenschaften mit Auswirkungen auf den marginalen Knochenverlauf gelegt werden sollte. Von großer Bedeutung für den klinischen Implantaterfolg ist hier die Einhaltung eines ausreichenden dento-implantären bzw. inter-implantären Abstandes (Einstellung der biologischen Breite!). Des Weiteren konnte die Praktikabilität einer Sofortversorgung auf durchmesserreduzierten Implantaten nachgewiesen werden.

 

Weiterführender Hinweis

  • Das Copyright der Langfassung dieses Beitrages liegt bei Springer Medizin Verlag GmbH (CME-Fortbildung auf www.springerzahnmedizin.de). Die Erstpublikation erfolgte als Sonderbeilage in „Der Freie Zahnarzt“ Band 56, Heft 5, Mai 2012.