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26.04.2017·Investitionen Alles digital in der implantologischen Praxis – ist das erstrebenswert?

·Investitionen

Alles digital in der implantologischen Praxis – ist das erstrebenswert?

von Dr. Georg Taffet, Rielasingen-Worblingen

| Die Techniken, die uns das digitale Zeitalter beschert, sind sicherlich in den meisten Fällen hilfreich. Allerdings – nichts ist gratis auf der Welt. Erst recht nicht in der Zahnarztpraxis. Jedes Jahr stellt uns die Industrie neue, auf der Digitaltechnik basierende Geräte vor. Schon seit zehn Jahren steht jede IDS „im Zeichen der Digitalisierung“. Das „neue Zeitalter“ wird in der anzeigenfinanzierten Fachpresse hoch gelobt. Aber sind all diese Errungenschaften tatsächlich ein Fortschritt für die Zahnmediziner und ihre Patienten? |

Ein Verkaufsgespräch für einen Intraoralscanner

Vor zwei Jahren auf der Messe habe ich mich für die Technik und das Handling eines der angebotenen Intraoralscanner interessiert. Damaliger Preis: 70.000 Euro plus Umsatzsteuer. Der Verkäufer hat mir eloquent alle Vorteile seines Scanners erklärt – angefangen wie immer mit der Zeitersparnis (Rechnen Sie mal nach, wie viel Zeit Sie durch den Einsatz des Geräts bei dem individuellen Stundensatz Ihrer Praxis sparen müssten, um die Anfangsinvestition wieder einzuspielen!). Weiter ging es mit dem höheren Patientenkomfort und endete mit der gestiegenen Präzision und besseren Passgenauigkeit des im „digitalen WorkFlow“ hergestellten Zahnersatzes. Dabei hat er „vergessen“, mir zu erzählen, dass sein Gerät und auch andere vergleichbare Intraoralscanner nicht in der Lage sind, im digitalen Artikulator die Exkursionsbewegungen, die Front- und Eckzahnführung zu simulieren …

Artikulatoren geben UK-Bewegungen präzise wieder

Die digitale gescannte Okklusion ist bis heute stets eine statische. Was dies für die dynamische Okklusion bedeutet, wenn man ein in statischer Okklusion (Okkludator) hergestelltes Zahnersatzteil in die Mundhöhle eines Patienten eingliedert – das brauche ich sicherlich keinem der Erfahrenen unter unseren Lesern zu sagen. Nicht ohne Grund sind in den vergangenen Jahren – seit der Erkenntnisse von Posselt, Gysi, Stuart, Salavicek etc. – immer komplexere mechanische Artikulatoren entwickelt worden. Sie sind in der Lage, bei entsprechender Einstellung die Dynamik der UK-Bewegungen des einzelnen Patienten präzise wiederzugeben. Und heute versuchen nun die Hersteller teurer digitaler Scanner, uns zu erklären, dass die im digitalen Workflow hergestellten Mikroprothesen besser im Mund passen als die auf perfekten Meistermodellen im Artikulator hergestellten Zahnersatzteile?

Woran liegt es, wenn analoge Abformungen nicht gut sind?

Vergessen Sie bitte auch eines nicht: Falls Ihre analogen klassischen Abformungen nicht immer zufriedenstellend sind, liegt das mit ziemlicher Sicherheit nicht am Material, sondern an der Vorbereitung der Zähne im Mund:

 

  • Ist die Präparationsgrenze nicht deutlich präpariert, wird auch der digitale Scanner sie nicht sehen.
  • Lappt das Zahnfleisch über die Präparationsgrenze, sodass Sie diese nicht einsehen können, wird auch der Scanner das nicht können …
  • Blutet es, dann müssen Sie eine Blutstillung erreichen, ob Sie nun analog oder digital abformen.
  • Läuft der Speichel über, dann sollten Sie dem Patienten etwas Atropin einspritzen: Unter Wasser funktioniert kein Scanner!

 

Wieso sollte ich dann 70.000 Euro plus Umsatzsteuer plus Folgekosten für Softwarepflege plus Hardware investieren, damit ich bei größeren Versorgungen und ähnlichem Zeitaufwand schlechter passende Ergebnisse für meine Patienten produziere? Um damit anzugeben, wie „modern-digital“ unser Workflow ist? Das wäre in meinen Augen digitaler Wahnsinn!

Digitale Röntgengeräte sind auf dem Vormarsch – zu Recht!

Es ist keine Frage, warum das so ist: Abgesehen vom vereinfachten Handling der digitalen Röntgenbilder – ohne Filmentwicklung und die daraus resultierende schnelle Verfügbarkeit – und einfache Archivierbarkeit ist die Qualität der digitalen Aufnahmen seit einigen Jahren der Qualität der analogen Röntgenaufnahmen deutlich überlegen! Die Behandlungsqualität erhöht sich aufgrund der besseren diagnostischen Erkenntnisse, die ein digitales OPT z. B. im direkten Vergleich zu einem filmgebundenen OPT liefert.

 

Wenn Ihnen der Verkäufer der Firma jetzt aber vorrechnen möchte, wie viel Geld Sie sparen, weil Sie den Aufwand der Filmentwicklung und die damit verbundenen Kosten sparen – dann denken Sie bitte an meine Feststellung weiter oben: Nichts ist gratis auf der Welt! Die immer wiederkehrenden Kosten für Softwarepflege, regelmäßige Überprüfungen der Anlage, spezielle zertifizierte Röntgenbetrachter-Bildschirme, Server und sonstige Hardware etc. schlucken die gesparten Geldbeträge locker … Digitales ist sicher nicht billiger als analoges Röntgen.

Allgemeingültige Antworten gibt es nicht

Die meisten digitalen OPT-Geräte lassen sich heute mit einer DVT-Funktion bestellen oder später nachrüsten. Soll ich oder soll ich nicht? Macht das für Sie, für Ihre individuelle Praxisstruktur Sinn? Eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Ganz billig ist diese Zusatzoption nicht … Während die Preise für ein digitales OPT schon bei vergleichsweise moderaten 20.000 Euro starten, kostet das gleiche Gerät mit DVT-Funktion mindestens 45.000 bis 50.000 Euro. Größere Geräte mit größeren Scan-Volumen sind deutlich teurer.

 

Bedenken Sie jedoch eines: Sie sind immer verpflichtet, die gesamte von Ihnen gefertigte Aufnahme zu diagnostizieren. Wir können für die Folgen übersehener pathologischer Prozesse verantwortlich gemacht werden. Ist das gewählte Volumen für die Weisheitszahn-Osteotomie so groß, dass man auch die Schädelbasis oder die Wirbelsäule auf der Aufnahme sieht, müssen Sie auch diesen Bereich diagnostizieren: Übersehen Sie dabei z. B. eine deutliche Verkalkung der „Carotis Interna“ und erleidet der Patient kurz darauf einen Schlaganfall oder übersehen Sie eine möglicherweise maligne Veränderung, dann können Sie forensisch zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb war für mich die Entscheidung zum Geld sparen leicht: Ein Gerät mit einem 8 x 8 cm großen Scan-Volumen ist für einen Zahnarzt ausreichend.

 

Nun: Als erfahrener Implantologe kann ich gewisse Überraschungen intraoperativ bewältigen. Ich kann mir über einen „bidigitalen Scan“ – also zwischen Daumen und Zeigefinger abtasten – ein recht präzises Bild über das Knochenangebot machen. Deshalb muss ich manchmal den Kopf schütteln, wenn ich anhand von in der Fachpresse publizierten Fallberichten sehe, dass es wohl mittlerweile Usus ist, selbst für die einfache Einzelzahnimplantation ein DVT anzufertigen …

 

Ich stelle mir die Frage, ob das manchmal eine medizinische oder eher eine wirtschaftliche Indikation ist. Wenn ich links und rechts der Lücke einen Zahn habe, dann dürfte es doch im Normalfall keine Orientierungsschwierigkeiten geben … Auch eine digitale Navigation ist da nicht unumgänglich. Man kann sich ja wunderbar an den Nachbarzähnen orientieren und mit Augenmaß navigieren. „Digitaler Workflow“ ist hier nicht im Sinne von Behandler und Patient. Das macht die Sache weder einfacher noch billiger noch sicherer.

Ich habe mir die DVT-Funktion geleistet!

Trotzdem: Ich habe mir bei der Umstellung meiner Röntgenanlage auf digital die DVT-Funktion geleistet. Es gibt immer wieder speziellere Situationen, in denen man sich unsicher ist und in denen man sich doch lieber nicht überraschen lassen sollte. Dafür habe ich das Gerät dann gerne in der Praxis. Ob sich die notwendige Mehrinvestition dafür bei konsequenter Anwendung nur für die Fälle, in denen das OPT und der „bidigitale Scan“ mir nicht ausreichen, amortisiert? Fragen Sie mich in einigen Jahren!

 

Wir hatten auch schon Patienten mit unklaren Beschwerden, teilweise seit Jahren persistent … Die wurzelbehandelten Zähne im Gebiet sahen auf dem angefertigten OPT und der retroalveolären Aufnahme unauffällig aus. Die angefertigte DVT-Aufnahme deckte dann das Problem auf: den leeren zusätzlichen Wurzelkanal oder die Längsfraktur der einen Wurzel, die hinter der Wurzel versteckten entzündlichen Prozesse. Auch in der Parodontologie wenden wir das Gerät an, wenn wir uns nicht schlüssig sind, ob ein Zahn langfristig erhaltungsfähig ist oder nicht. Manchmal reicht die konventionelle Projektion und das klinische Sondieren des Defekts nicht, um genügend Erkenntnisse über die Form und Ausdehnung des Knochendefekts zu sammeln.

 

Solche Behandlungserfolge haben selbstverständlich eine gute Werbewirkung. Es spricht sich herum. Ja – DVT und digitales Röntgen, das ist ein begrüßenswerter Fortschritt. Kein Allheilmittel und kein Gerät, das hilft, mangelnde Erfahrungen und handwerkliche Fähigkeiten zu kompensieren. Aber ein im täglichen Praxisalltag sehr oft hilfreiches, für Patienten und den Behandler nützliches Gerät. In meiner Praxis möchte ich es nicht mehr missen.