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02.08.2017·Aktuelle Rechtsprechung Zahnärzte als „freie Mitarbeiter“ in der Praxis – besteht eine Versicherungspflicht?

·Aktuelle Rechtsprechung

Zahnärzte als „freie Mitarbeiter“ in der Praxis – besteht eine Versicherungspflicht?

von RA Michael Lennartz, www.lennmed.de, Bonn – Berlin – Baden-Baden

| Die Fälle häufen sich, dass Gerichte den Status von freien Mitarbeitern in Arzt- und Zahnarztpraxen kritisch überprüfen. Dies betrifft u. a. Zahnärzte, die in Gemeinschaftspraxen im Rahmen einer sogenannten „Nullbeteiligung“ tätig sind, Dienstleistungen im Abrechnungsbereich und Ärzte und Zahnärzte, die als „freie Mitarbeiter“ in Praxen tätig sind. |

Oralchirurg: Abhängig beschäftigt oder selbstständig?

Eine aktuelle Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 17.05.2017 (Az. L 2 R 427/15, Abruf-Nr. 195144) befasst sich mit der folgenden Frage: Ist ein Zahnarzt als angestellter Zahnarzt einzustufen, wenn er in einer fremden Praxis bei der Behandlung der Patienten im Rahmen eines „Kooperationsvertrags“ mitwirkt und mit einem prozentualen Anteil an den Erlösen aus seinen Behandlungen entlohnt wird, ohne am Vermögen und am Gewinn der Praxis beteiligt zu sein? Das LSG Niedersachsen-Bremen musste sich konkret mit der Frage befassen, ob ein Zahnarzt aufgrund seiner für eine Zahnarztpraxis ausgeübten Tätigkeit als Facharzt für Oralchirurgie als abhängig Beschäftigter oder Selbstständiger beruflich tätig war und der Versicherungspflicht unterlag.

Inhalt der Kooperationsvereinbarung mit dem Oralchirurgen

Zwischen dem Zahnarzt für Oralchirurgie und der Zahnarztpraxis bestand ein „Kooperationsvertrag“ über die Behandlung der Patienten der Zahnarztpraxis. Danach verpflichteten sich der Praxisinhaber und der Oralchirurg zur kollegialen Zusammenarbeit und gegenseitigen konsiliarischen Beratung. Die Behandlung der Patienten wurde unter der fachlichen Aufsicht des Praxisinhabers durchgeführt. Dieser stellte seinem Kooperationspartner die Behandlungsräume, die erforderlichen Instrumente und Materialien sowie das entsprechende Hilfsmaterial zur Verfügung. Die Vertragsparteien hatten beispielsweise auch Urlaubs- und Abwesenheitszeiten miteinander abzustimmen.

 

Laut Kooperationsvertrag wurden der Behandlungsvertrag mit den Patienten und die Liquidation der zahnärztlichen Tätigkeit durch den Praxisinhaber vorgenommen. Dabei gingen die Vertragsparteien davon aus, dass der Oralchirurg einen monatlichen Nettoumsatz in Höhe von mindestens 40.000 Euro erwirtschaftete. Als Vergütung für die erbrachten zahnärztlichen Leistungen erhielt er ein monatlich nachträglich zu zahlendes Honorar in Höhe von 25 Prozent des von ihm erwirtschafteten Nettoumsatzes (Umsatz abzüglich Material- und Laborkosten). Mit dieser Vergütung waren alle Ansprüche aus seiner Tätigkeit abgegolten.

 

Im Anschluss an eine Kooperationszeit auf Basis des Vertrags wurde der Oralchirurg vom 27.11.2008 bis zum 15.07.2010 angestellt. Für die Kooperationszeit verlangte er die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status für seine Tätigkeit als Zahnarzt während der Zeit in der Praxis.

Das Urteil: Abhängiges Beschäftigungsverhältnis lag vor

Das LSG bestätigt mit seiner Entscheidung das Urteil der Vorinstanz, wonach die vom Oralchirurgen wahrgenommene Tätigkeit ein die Sozialversicherungspflicht begründendes abhängiges Beschäftigungsverhältnis darstellt. Beurteilungsmaßstab sei § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung „die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV).

 

Laut ständiger Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb sei dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Oralchirurg ist nicht als selbstständiger Zahnarzt aufgetreten

In diesem Fall spreche die Gesamtschau der maßgeblichen Umstände zur Überzeugung des Gerichts für das Vorliegen eines abhängigen und – weil mehr als nur geringfügig ausgeübt – versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Der Oralchirurg habe insbesondere kein rechtlich relevantes Unternehmerrisiko zu tragen. Nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen sei maßgebendes Kriterium für ein solches Risiko, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, das heißt: Der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel ist ungewiss. Das war hier nicht der Fall.

 

Bezogen auf seine tatsächlich ausgeübte Tätigkeit habe der Oralchirurg gerade kein unternehmerisches Risiko zu tragen. Als Gegenleistung für die von ihm erbrachten Tätigkeiten stand ihm laut Kooperationsvertrag eine Vergütung in Höhe von 25 Prozent des von ihm erwirtschafteten Nettoumsatzes zu. Dabei wurden ihm Kosten für die Inanspruchnahme der Räumlichkeiten und des Personals nicht extra in Rechnung gestellt. Der Oralchirurg sei auch nicht nach außen erkennbar als selbstständiger Zahnarzt aufgetreten. Allein der Praxisinhaber schloss die Behandlungsverträge mit den Patienten ab und stellte die Rechnung aus. Die Revision wurde vom LSG nicht zugelassen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Ein riskantes Kooperationsmodell ist auch das des „Flying Doctor“, der Implantationen in anderen Praxen erbringt. Darüber hat PI in folgenden Beiträgen berichtet:
  • „Flying Doctor bei Implantat-Leistungen auf Honorarbasis: Bruchlandung ist absehbar!“ in PI 08/2013, Seite 3
  • „Implantationen in anderen Praxen erbringen: Was ist zu beachten?“ in PI 12/2015, Seite 1