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29.11.2018·Implantologie Inaktivitätsatrophie vermeiden: Prospektive Implantation statt Klebebrücken

·Implantologie

Inaktivitätsatrophie vermeiden: Prospektive Implantation statt Klebebrücken

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter „ZahnmedizinReport“, Berlin

| Zum umstrittenen Thema „Dentale Implantate im Wachstum“ wurde vor 15 Jahren ein interdisziplinäres Konzept entwickelt, das die Inaktivitätsatrophie verringern sowie zu positiven funktionellen und ästhetischen Ergebnissen im Oberkieferfrontzahnbereich führen sollte. Die Langzeitdaten sind Erfolg versprechend, resümiert Dr. Jan Tetsch M.Sc. M.Sc., Implantologe in Münster. |

Konträrer Therapieweg bei Kindern und Heranwachsenden

Nichtanlagen der oberen seitlichen Schneidezähne und ein traumatischer Zahnverlust sind bei Kindern und Jugendlichen die häufigsten Ursachen für Lücken im Oberkieferfrontzahnbereich. Die herrschende Meinung favorisiert hier einen Therapiewiderspruch, der nur auf dem Alter der Patienten basiert: Während bei Erwachsenen im Fall eines Zahnverlusts der Trend zur frühzeitigen Implantation bis hin zur Sofortimplantation geht, um Strukturen zu erhalten und eine Hart- und Weichgewebsatrophie zu vermeiden, wird bei Kindern und Heranwachsenden ein konträrer Weg eingeschlagen: In Abhängigkeit von der Lehrmeinung wird empfohlen, eine Implantation je nach Geschlecht vor dem 16. Lebensjahr bzw. sogar bis zum 27. Lebensjahr zu vermeiden.

 

Bei frühzeitigem Zahnverlust wird meistens eine langjährige provisorische Versorgung vorgeschlagen und eine funktionelle Nichtbelastung des Knochens sowie des Weichgewebes mit daraus resultierender Atrophie in Kauf genommen. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahre 2015 zu Implantatversorgungen bei Nichtanlagen hatte Einzelzahnimplantate gegenüber Adhäsivbrücken als zweite nicht invasive Versorgung favorisiert. Einflügelige Adhäsivbrücken bewähren sich ‒ so ein aktueller Beitrag in der Deutschen Zahnärztlichen Zeitung ‒ bei Nichtanlagen oder traumatischen Frontzahnverlusten langfristig hervorragend und enthalten nicht die spezifischen Risiken einer Therapie mit Implantaten. Die klinische Anwendung von Adhäsivbrücken sei sicherlich vergleichbar fehleranfällig wie das optimale Setzen und Versorgen eines Einzelzahnimplantats, aber bei richtiger Indikationsstellung und adäquatem Vorgehen sei diese techniksensitive Methode äußerst zuverlässig.

 

Der Nachteil solcher prothetischen Lösungen, die den Schwund des Kieferknochens durch Nichtbelastung in Kauf nehmen: Für den später geplanten Eingriff, der teilweise Jahre in der Zukunft stattfindet, sind nicht selten umfangreiche Augmentationen von Hart- und Weichgewebe notwendig. Oft ist das Ergebnis klinisch und ästhetisch unbefriedigend.

Das Problem: Kiefer und Gesicht wachsen noch

Konventionelle und implantatprothetische Versorgungen vor Abschluss des Kieferwachstums bergen Risiken, da die betroffenen Kieferabschnitte den komplexen dreidimensionalen Kiefer- und Alveolarfortsatzentwicklungen nicht folgen. Daraus können erhebliche funktionelle und ästhetische Nachteile entstehen. In retrospektiven Studien über einen mehrjährigen Beobachtungszeitraum wurde eine Infraokklusion implantatgetragener Kronen beobachtet. Erschwerend kommt hinzu, dass das individuelle Wachstum nicht leicht abzuschätzen ist. So kann die Mesialwanderung der Zähne bis zu fünf Millimeter betragen.

Zu erwartendes Kieferwachstum wurde berücksichtigt

Für die Implantation im wachsenden Kiefer hat die Arbeitsgruppe um Dr. Jan Tetsch versucht, die Regeln für die Implantatposition mit einigen Modifikationen auf die Adoleszenten zu übertragen: Die Implantate wurden in Abänderung der anerkannten Regeln für Erwachsene so modifiziert, dass das zu erwartende Kieferwachstum berücksichtigt wurde. Bei Zahnverlust erfolgten Socketpreservation, provisorische Versorgung und die frühzeitige Implantation. Hierbei wird das Implantat unter Negierung der Buser-Regel wachstumsorientiert in der vertikalen Position inseriert, um ein perfektes Ergebnis nach Abschluss des Kieferwachstums zu erhalten.

 

„Wir haben genau für diese Problematik die 5D-Implantation entwickelt und implantieren nach den Buser-Regeln 1, 2 und modifiziert 3, bei der die Vertikalposition je nach Implantat-Typ nicht drei bis fünf Millimeter unterhalb der Schmelz-Zement-Grenze des kontralateralen Zahns inseriert wird, sondern teilweise parallel oder oberhalb der Schmelz-Zement-Grenze“, so Tetsch. Hier wird das Implantat in Raum und Zeit in die Zukunft inseriert. „Das zukünftige Emergenzprofil entspricht dann dem Emergenzprofil des kontralateralen Zahns nach Abschluss des Wachstums. Zu Behandlungsbeginn ist die Krone im marginalen Durchtritt immer zu kurz gestaltet. Die Prothetik wird veränderbar konstruiert, sodass die Inzisalkante durch Verlängerung korrigiert werden kann, ggf. auch durch Neuanfertigung der Krone.“

Auswertung von Verlaufsdaten

Im Alter von 12 bis 17 Jahren wurden bei Nichtanlagen und nach traumatischem Zahnverlust 179 Implantate im Frontzahnbereich des Oberkiefers inseriert. Halbjährliche Kontrolluntersuchungen mit einer standardisierten Fotodokumentation erlaubten eine Beurteilung des Verlaufs. Bei 67 Implantaten konnten bisher die Untersuchungen bis zum Abschluss des Wachstums durchgeführt und ausgewertet werden.

 

Die Ergebnisse der fotometrischen Analyse zeigen, dass im Vergleich zu den korrespondierenden Zähnen während der Wachstumsphase ästhetische Kompromisse eingegangen werden müssen, dass aber nach abgeschlossenem Kieferwachstum in allen Fällen im Vergleich der weißen und roten Ästhetik keine signifikanten Unterschiede zu den korrespondierenden Zähnen bestanden. Vor allem bei frühzeitiger Implantation sind allerdings zum Teil mehrfache Änderungen der prothetischen Versorgung mit Änderungen oder Neuanfertigungen der Kronen erforderlich. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr ermutigend und sprechen für das neu entwickelte Behandlungskonzept.

 

Quellen

  • [1] Tetsch J. Die prospektive Implantation im adoleszenten Kiefer zur Vermeidung der Inaktivitätsatrophie. Deutscher Zahnärztetag 2018; Frankfurt/M., 9. -10. 11. 2018.
  • [2] S3-Leitlinie „Zahnimplantatversorgungen bei multiplen Zahnnichtanlagen und Syndromen“, veröffentlicht 22.03.2018.
  • [3] Kern M et al. Kontrovers diskutiert: Versorgung von Frontzahnlücken bei Jugendlichen nach Abschluss der kieferorthopädischen Therapie. Dtsch Zahnärztl Z 2018; 73: 330-337.
  • [4] Tetsch J. Prospektive Implantatversorgung nach traumatischem Frontzahnverlust beim wachsenden Patienten mit dem 5-D-Konzept. Quintessenz 2018; 69 (7): 2-12.
  • [5] Barfuß A. Implantation in die Zukunft, Dental Magazin 2016, online 07.06.2016.