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06.06.2011 |Kostenerstattung Ausnahmeindikationen für Implantate bei GKV-Patienten: Praxishinweise

06.06.2011 |Kostenerstattung

Ausnahmeindikationen für Implantate bei GKV-Patienten: Praxishinweise

Erhalten GKV-Patienten Implantate, müssen sie die Kosten selbst tragen. Haben sie eine private Zusatzversicherung abgeschlossen, dann regelt der Patient die Kostenübernahme selbst. Anders ist dies bei GKV-Patienten, die eine spezielle Erkrankung im Mund-, Kiefer- Gesichtsbereich aufweisen. Dies können Patienten mit einer Tumorerkrankung im Kiefer sein, oder Patienten, die aufgrund von Bestrahlungen unter ständiger Mundtrockenheit (Xerostomie) leiden bzw. die eine genetisch bedingte Nichtanlage von Zähnen aufweisen.  

 

Obwohl diese Patienten verständlicherweise auf eine schnelle Versorgung hoffen, sind vorab viele Einzelschritte für Planung, Beantragung und Therapie zu bedenken. Der Gesetzgeber hat dazu Richtlinien erlassen, die strengstens zu beachten sind. 

Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle

Die Ausnahmen sind in Richtlinien festgelegt. Im § 28 Abs. 2 SGB V sind die Leistungen beschrieben, die nicht zur zahnärztlichen Behandlung von GKV-Patienten zählen. In Satz 9 steht: „Das Gleiche gilt für implantologische Leistungen, es sei denn, es liegen seltene, vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V festzulegende Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vor, in denen die Krankenkasse diese Leistung einschließlich der Suprakonstruktion als Sachleistung im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erbringt“. Die Ausnahmeindikationen sind wie folgt definiert: 

 

Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses: § 91 Abs. 6 SGB V

VII. Ausnahmeindikation für implantologische Leistungen

„1. Der Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen legt in Richtlinien gemäß § 92 Abs. 1 SGB V die seltenen Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle fest, in denen der Anspruch auf implantologische Leistungen einschließlich der Epithesen und/oder der Suprakonstruktionen (implantatgetragenen Zahnersatz) im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V als Sachleistung besteht. Der Bundesausschuss für Zahnärzte und Krankenkassen folgt dabei den Intentionen des Gesetzgebers, dass Versicherte nur in zwingend notwendigen Ausnahmefällen diese Leistungen erhalten.  

 

2. Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen im Sinne § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V liegen im in Satz 4 aufgeführten besonders schweren Fällen vor. Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a bis c gilt dies dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch schleimhautgetragenen Zahnersatz nicht belastbar ist.“  

In einer Bekanntmachung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wurde mitgeteilt, dass die Ausnahmeindikationen für implantologische Leistungen in der ab 1. Januar 2004 gültigen Fassung der Richtlinie auf „angeborene Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien)“ ausgedehnt werden. Die Änderung trat am 1. März 2006 in Kraft. Begründung des G-BA: „Mit der Beschränkung bei angeborenen Fehlbildungen des Kiefers auf Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten ist die Fehlbildung nicht ausreichend beschrieben. Eine Erweiterung auf die ektodermale Dysplasie ist daher notwendig, um den Patienten dieses Formenkreises einen Zugang zur vertragszahnärztlichen Versorgung zu gewährleisten.“  

 

Der Text in der Richtlinie lautet daher: 

 

„Besonders schwere Fälle liegen vor:  

a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsverletzungen, die ihre Ursachen haben nach Tumoroperationen, Entzündungen des Kiefers, Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten), Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantation vorliegt, angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder in Unfällen.“ 

Hinweis: Die Kostenübernahme durch die GKV kann also auch dann zum Tragen kommen, wenn große Defekte durch einen Unfall verursacht wurden. Dies gilt nicht für einen Wege-, Arbeits- oder Schulunfall, die Zuständigkeit liegt dann bei der gesetzlichen Unfallversicherung (siehe „Praxis Implantologie“ Nr. 3/2011). Sind Patienten aufgrund von Osteopathien operiert worden, wird ausdrücklich auf Kontraindikationen für eine Implantatversorgung hingewiesen. 

Xerostomie

Eine Kostenübernahme kann ggf. erfolgen: 

 

„…b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer  

Tumorbehandlung“. 

Hinweis: Die Mundtrockenheit (Xerostomie) muss allerdings extrem, nicht vorübergehend und nicht behebbar sein. 

Generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen

Außerdem kann die Kostenübernahme erfolgen: 

 

„…c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen“. 

Hierzu entschied am 13. Juli 2004 das Bundessozialgericht (Az: B1 KR 37/02; Abruf-Nr. 102902), dass bei einer generalisierten genetischen Nichtanlage von Zähnen vom Fehlen der von mehr als der Hälfte typischerweise in einem Kiefer angelegten Zähne auszugehen ist. Die Richter begründen ihre Entscheidung im Urteilsfall wie folgt: 

 

„Ihr Krankheitszustand, das heißt der Umstand, dass bei ihr im Oberkiefer 8 (bleibende) Zähne und im Unterkiefer 5 der üblicherweise insgesamt 32 Zähne eines Menschen anlagebedingt nicht vorhanden sind, kann insbesondere nicht unter eine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen im Sinne von Nr. 29 Satz 4 Buchst c) subsumiert werden. … 

Sind dem Betroffenen (noch) mehrheitlich bleibende Zähne gewachsen und ist somit teilweise – wenn auch unter Einschränkungen – die Kaufunktion bzw. die Möglichkeit zur Zerkleinerung fester Nahrung erhalten, kann von einer generalisierten Nichtanlage regelmäßig nicht gesprochen werden.“ 

Die KZBV hat die folgende Stellungnahme dazu abgegeben: 

 

„Eine generalisierte Nichtanlage liegt dann vor, wenn bei rein zahlenmäßiger Betrachtung die Mehrzahl der typischerweise bei einem Menschen angelegten Zähne je Kiefer fehlen. Es wird davon ausgegangen, dass bei einem Menschen normalerweise insgesamt 32 Zähne angelegt sind. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmeindikation ist daher für jeden Kiefer einzeln zu bestimmen.“ (Änderungsbeschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 1. März 2006)  

Das würde bedeuten, dass mindestens neun Zähne fehlen müssen. Es wurde nicht beurteilt, welche Zähne als fehlend angesehen werden. Doch sollte bei berechtigter Annahme einer Ausnahmeindikation die Ablehnung nicht hingenommen werden. Oft ist ein Schreiben durch den Zahnarzt hilfreich, woraufhin der Patient einem Gutachter vorgestellt wird. Die Kasse ist zur Leistung aber nur verpflichtet, wenn eine konventionelle Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist.  

Nicht beeinflussbare muskuläre Fehlfunktionen

Eine Kostenübernahme kann erfolgen: 

 

„…d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (zum Beispiel Spastikern)“. 

Hinweis: Unabhängig von der Belastbarkeit des Prothesenlagers können – nach Begutachtung – auch Patienten versorgt werden, bei denen aufgrund ihrer Erkrankung der schleimhautgetragene totale Zahnersatz im Mund des Patienten nicht genug Halt findet. 

Defekte im Gesichtsbereich nach Tumor-OP oder Unfall

Hierzu heißt es in den Richtlinien:  

 

„3. Bei extraoralen Defekten im Gesichtsbereich nach Tumoroperationen oder Unfällen oder infolge genetisch bedingter Nichtanlagen ist die operative Deckung der Defekte das primäre Ziel. Ist eine rein operative Rehabilitation nicht möglich und scheidet die Fixierung von Epithesen zum Defektverschluss durch andere Fixierungsmöglichkeiten aus, so ist eine Verankerung von Epithesen durch Implantate angezeigt.“ 

Hinweis: Bei extraoralen Defekten gehen zur Rehabilitation operative Maßnahmen voraus. Sind diese nicht möglich bzw. kann die Fixierung von Epithesen nicht suffizient erfolgen, ist eine Befestigung mittels Implantaten von extraoral zulässig.  

Heil- und Kostenplan und Begutachtung

Dazu weitere Zitate aus den Richtlinien:  

 

„4. Die Krankenkasse muss die in diesen Richtlinien genannten Behandlungsfälle mit dem Ziel begutachten lassen, ob die Ausnahmeindikationen vorliegen.“ 

„Zahnarzt und Krankenkasse können eine Überprüfung des Gutachtens durch einen Obergutachter bei der KZBV beantragen. Gutachter und Obergutachter müssen implantologisch erfahrene Zahnärzte sein, die von der KZBV im Einvernehmen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen benannt werden. Das Vorschlagsrecht für Gutachter und Obergutachter liegt sowohl bei der KZBV als auch bei den Spitzenverbänden der Krankenkassen.“ 

Hinweis: Vor Behandlungsbeginn muss entsprechend den Richtlinien ein Heil- und Kostenplan sowohl für die implantologische als auch für die prothetische Versorgung (Suprakonstruktion) der GKV vorgelegt werden. Der implantologische Heil- und Kostenplan wird nach GOZ und GOÄ erstellt. Der Heil- und Kostenplan für die Suprakonstruktion wird ebenfalls nach GOZ erstellt und im Rahmen der Sachleistung beantragt. Die erforderlichen Material- und Laborkosten werden im Rahmen der Gesamtbehandlung von der GKV übernommen. Die GKV muss diese Versorgung vor Beginn der Behandlung begutachten lassen. Die Behandlung darf daher erst nach Vorlage der Leistungszusage der GKV beginnen. 

Fazit: Mehrere Voraussetzungen müssen erfüllt sein

Laut Beschluss des G-BA müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein, um einen Leistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse zu begründen: 1. Zunächst müssen „seltene Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle“ vorliegen. 2. Die implantologischen Leistungen müssen „im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung“ erbracht werden. 3. Eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate darf grundsätzlich nicht möglich sein. 

 

Die einzelnen Leistungsvoraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein – es reicht also nicht aus, wenn nur eine der Voraussetzungen erfüllt ist. Besteht eine Ausnahmeindikation, die jedoch insbesondere aufgrund eines Restzahnbestandes mit einem konventionellen – auch durch herausnehmbaren – Zahnersatz versorgt werden kann, entfällt damit die Leistungspflicht der Krankenkasse.