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04.08.2015·Kostenerstattung Der Gutachter fordert Behandlungsunterlagen an – wie steht es um die Schweigepflicht?

·Kostenerstattung

Der Gutachter fordert Behandlungsunterlagen an – wie steht es um die Schweigepflicht?

| Die Anforderung von Patientenunterlagen durch private Krankenversicherungen (PKV) ist nicht neu. Wie verhält es sich aber, wenn ein externer Gutachter im Auftrag einer PKV handelt und Unterlagen anfordert? Entspricht die Schweigepflichtentbindung den Datenschutzbestimmungen? |

Der Patientenfall

Ein 64-jähriger Patient wurde von seiner Hauszahnärztin zum MKG-Chirurgen überwiesen, um eine Implantation im Unterkiefer vorzunehmen. Nach Verlust der Zähne 35 bis 37 besteht eine Freiendsituation, die mit drei Implantaten und Einzelkronen versorgt werden soll. Die Therapiepläne wurden im Vorfeld der Implantation an die PKV weitergeleitet (März und April 2015), ohne dass es zu Nachfragen oder Leistungseinschränkungen seitens der PKV kam.

 

Nach Insertion der Implantate Anfang Mai 2015 reichte der Patient seine Rechnung bei der PKV zur Erstattung ein. Doch statt der erwarteten Zahlung erhielten die Hauszahnärztin und der Chirurg von einem externen Gutachter ein Schreiben, dass die medizinische Notwendigkeit im Auftrag der PKV geprüft wird. Ist das rechtlich einwandfrei? Nach dem Einreichen der Therapiepläne wurden von der PKV keine Einwände erhoben – und das ist korrekt. Zur Abgabe einer Kostenübernahmeerklärung vor Beginn der Behandlung ist die PKV im Grundsatz nicht verpflichtet. Der Versicherer ist prinzipiell nachleistungspflichtig (siehe Beitrag in PI 12/2013, S. 14 ff.). Im Anschreiben des Gutachters findet sich im Briefkopf neben dem Namen eine Zusatzbezeichnung „Fortgebildeter Gutachter der DGZPW“. Die Mitteilung lautet:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

die xy-Krankenversicherung hat mich beauftragt, die medizinische Notwendigkeit der Behandlung Ihres Patienten (Name Patient) zu beurteilen. Bitte senden Sie mir geeignete Unterlagen, die die Notwendigkeit der durchgeführten oder geplanten Maßnahmen belegen. Sollten Sie Röntgenbilder zusenden, bitten wir auch um den dazugehörigen Befund (§ 28 Abs. 1 RöV). Digitale Bilder möglichst per E-Mail als Datei oder CD. Bitte keine Ausdrucke. Diese sind oft nicht sehr aussagekräftig. Es bedarf keiner Neuanfertigung von Unterlagen. Bei E-Mail-Versand bitten wir um einen Vermerk, ob auch ein Postversand erfolgt. Für die kurzfristige Überlassung wäre ich Ihnen sehr verbunden.

 

Dem Anschreiben lag ein Rücksendeformular bei, das neben Versicherungsdaten folgende Punkte zum Ankreuzen enthielt: OPG, Einzelaufnahmen, Intraoralfotos, Modelle, PA-Befund, prothetischer Plan, weitere Unterlagen. Abschließend fand sich der Hinweis, dass die Praxis die Patientenunterlagen und Modelle beschriften soll, um eine schnelle Rücksendung zu gewährleisten.

 

Die PKV hat das Recht, sowohl Planungen als auch erbrachte Leistungen auf Stimmigkeit und/oder medizinische Notwendigkeit zu prüfen. Jeder Zahnarzt gilt aufgrund seiner Approbation als sachverständig auf dem Gebiet der Zahnheilkunde. Nach Meinung der Zahnärztekammern sind jedoch an einen Sachverständigen höhere Anforderungen zu stellen als nur die Approbation: Der Sachverständige muss über eine ausreichende Berufserfahrung verfügenund die Vielfalt an Behandlungsvarianten kennen. Die Überprüfung der implantologischen Planung sollte von einem auf diesem Fachgebiet zertifizierten Gutachter geleistet und der Tätigkeitsschwerpunkt mittels einer Bescheinigung dargelegt werden.Der Gutachter soll klären, ob die Insertion von drei Implantaten medizinisch notwendig war. Chirurg und Zahnarzt sollten die Gründefür die medizinische Indikation besprechen und Aspekte, die über die Karteikarteneinträge hinausgehen, in einem Begleitbrief ergänzen.

Wie weit geht das Einsichtsrecht der PKV?

Macht eine PKV das Einsichtsrecht geltend, ist abzuklären, ob eine Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten vorliegt. Die PKV beruft sich auf die Obliegenheitspflicht des Patienten, die in den aktuell gültigen Musterbedingungen 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 2009) festgelegt ist. § 9 Abs. 2 MB/KK 2009 lautet: „Der Versicherungsnehmer und die als empfangsberechtigt benannte versicherte Person (…) haben auf Verlangen des Versicherers jede Auskunft zu erteilen, die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder der Leistungspflicht des Versicherers und ihres Umfanges erforderlich ist.“ Dem Schreiben des Gutachters liegt eine vom Patienten unterzeichnete Schweigepflichtentbindung der PKV bei, die neben der PKV-Adresse auch die erforderlichen Daten des Patienten sowie Hinweise auf die beiden Heil- und Kostenpläne der benannten Praxisinhaber enthalten:

 

  • Schweigepflichtentbindungserklärung

Mir ist bekannt, dass (Name PKV) zur Beurteilung seiner Leistungspflicht bzw. Rechnungsprüfung in o. g. Angelegenheit meine eingereichten Unterlagen einem beratenden Zahnarzt/Gutachter zur Beurteilung vorlegen möchte.

 

Entbindung von der Schweigepflicht 

Für diese Prüfung befreie ich hiermit sowohl die (Name PKV) als auch den medizinischen Berater/Gutachter von der Schweigepflicht. Die Schweigepflichtentbindungserklärung gilt auch für die in diesem Zusammenhang übermittelten Gesundheitsdaten. Ich bin damit einverstanden, dass der medizinische Berater/Gutachter sich ggf. direkt mit der/den oben genannten Person(en) in Verbindung setzt. Insoweit entbinde ich diese Person(en) von der Schweigepflicht und ermächtige sie, dem medizinischen Berater entsprechende Unterlagen zur Verfügung zu stellen.

(Sofern Sie mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden sind, können Sie diesen Absatz streichen).

 

Widerrufsmöglichkeit 

Mir ist bekannt, dass ich diese Schweigepflichtentbindungserklärung nicht abgeben muss bzw. jederzeit – auch teilweise – für die Zukunft widerrufen kann. Für den Fall der Streichung bzw. des Widerrufs der Schweigepflichtentbindungserklärung ist mir bekannt, dass es zu Verzögerungen bei der Leistungsbearbeitung, zu Leistungskürzungen oder gar zur Leistungsfreiheit des Versicherers kommen kann, wenn dem Versicherer die zur Beurteilung des Leistungsanspruchs erforderlichen Informationen mit zeitlicher Verzögerung, unvollständig oder nicht zugehen.

 

Erklärung für mitversicherte Personen 

Die vorgenannten Erklärungen gebe ich auch für meine mitversicherten Kinder sowie die von mir gesetzlich vertretenen mitversicherten Personen ab, die die Bedeutung dieser Erklärung nicht selbst beurteilen können.

(Sofern Sie mit dieser Vorgehensweise nicht einverstanden sind, können Sie diesen Absatz streichen).

 

Ist die Schweigepflichtentbindung rechtlich einwandfrei?

Eine Entbindung von der Schweigepflicht gilt nur im Zusammenhang mit dem Abschluss, nicht für zukünftige Anfragen. Frühere diesbezügliche Erklärungen sind rechtlich unwirksam. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 26. Oktober 2006 entschieden, dass derartige globale Entbindungserklärungenunrechtmäßig sind (Az. 1 BvR 2027/02, Abruf-Nr. 063400 unter pi.iww.de). Vorformulierte Schweigepflichtentbindungen auf die Zukunft sind daher nicht gültig. Der Patient könnte zum Beispiel zwischenzeitlich die Entbindung widerrufen haben. Die oben dargestellte Entbindung ist korrekt auf den speziellen Einzelfall der Implantation mit prothetischer Versorgung gefasst, da sowohl die Heil- und Kostenpläne als auch die Praxisinhaber benannt sind.

 

Aufgrund der Bestimmungen im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist der Patient verpflichtet, Informationen zu beschaffen, wenn der Versicherer diese Informationen zur Prüfung einer Therapieplanung und/oder Rechnung benötigt. Durch die kombinierte Entbindung von der Schweigepflicht kann sich der Gutachter unmittelbar mit dem Zahnarzt in Verbindung setzen. Die Praxisinhaber wiederum haben die Behandlungsunterlagen des Patienten diesem zu übermitteln, ohne dass eine erneute Entbindung erfolgen muss. Ferner enthält die Vereinbarung die Möglichkeit des Widerrufs sowie die sich daraus ergebenden Folgen.

 

Bezüglich der Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten bei Dritten findet sich im Versicherungsvertragsgesetz unter § 213 folgende Passage:

 

(1) Die Erhebung personenbezogener Gesundheitsdaten durch den Versicherer darf nur bei Ärzten, Krankenhäusern und sonstigen Krankenanstalten, Pflegeheimen und Pflegepersonen, anderen Personenversicherern und gesetzlichen Krankenkassen sowie Berufsgenossenschaften und Behörden erfolgen; sie ist nur zulässig, soweit die Kenntnis der Daten für die Beurteilung des zu versichernden Risikos oder der Leistungspflicht erforderlich ist und die betroffene Person eine Einwilligung erteilt hat.

(2) Die nach Absatz 1 erforderliche Einwilligung kann vor Abgabe der Vertragserklärung erteilt werden. Die betroffene Person ist vor einer Erhebung nach Absatz 1 zu unterrichten; sie kann der Erhebung widersprechen.

(3) Die betroffene Person kann jederzeit verlangen, dass eine Erhebung von Daten nur erfolgt, wenn jeweils in die einzelne Erhebung eingewilligt worden ist.

(4) Die betroffene Person ist auf diese Rechte hinzuweisen, auf das Widerspruchsrecht nach Absatz 2 bei der Unterrichtung.

 

Die Schweigepflichtentbindung muss somit schriftlich – individuell auf einen bestimmten Behandlungsvorgang bezogen – erkennen lassen, wem gegenüber sie gilt, und auch erkennen lassen, warum und welchen Inhalts sie ist. Diese Anforderungen sind in der hier vorgestellten Schweigepflichtentbindung der PKV erfüllt.

 

FAZIT | In Abstimmung mit beiden Behandlern sollte der Patient grundsätzlich über die Einschaltung eines Gutachters oder Beratungszahnarztes informiert werden und den Schriftverkehr zur Kenntnisnahme erhalten. Innerhalb der Osseointegrationsphase sollte geklärt werden, ob eine Kostenübernahmeder PKV für die vorgesehene Therapie erfolgt, da anderenfalls mit dem Patienten die Einschaltung eines neutralen Sachverständigen abzuklären ist.