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30.01.2019·Recht Verwandtenklausel ‒ die Bedeutung und ihre Folgen

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Verwandtenklausel ‒ die Bedeutung und ihre Folgen

| Die Musterbedingungen (MB/KK) des Verbandes der Privaten Krankenversicherungen (PKV-Verband) enthalten überwiegend eine sogenannte „Verwandtenklausel“, bei der auch bei einer implantologischen Behandlung von Verwandten kein zahnärztliches Honorar erstattet wird. Ähnliches gilt bei der Beihilfe. Warum gibt es derartige Ausschlüsse und wo finden sich die gesetzlichen Grundlagen? PI stellt in diesem Beitrag die Fakten vor und zeigt Konsequenzen auf. |

Was gilt bei den privaten Krankenversicherungen?

Die für den Kunden (Versicherten) geltenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen setzen sich zusammen aus den MB/KK und den Tarifbedingungen der jeweiligen PKV. § 5 Abs. 1g der MB/KK 2009 für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung enthält die Bestimmung, dass für Behandlungen durch Ehegatten, Lebenspartner gemäß § 1 Lebenspartnerschaftsgesetz, Eltern oder Kinder nur nachgewiesene Sachkosten erstattet werden. Das bedeutet, dass das zahnärztliche Honorar von der Erstattung ausgenommen bleibt.

 

Material- und Laborkosten hingegen werden nach den §§ 4, 9, 10 GOZ und § 10 GOÄ entsprechend dem jeweiligen Tarif übernommen. Mögliche Ausnahmen von dieser Regelung bestehen laut dem Bundesgerichtshof (BGH, siehe unten) dann, wenn der nahe Angehörige zu den wenigen Spezialisten gehört, die die Behandlung überhaupt durchführen können.

Warum gibt es die Verwandtenklausel?

Häufig behandeln Zahnärzte Verwandte auch im Rahmen der Implantologie unentgeltlich. Die Behandlung wird aber dennoch regelmäßig gegenüber der PKV in Rechnung gestellt. Dies soll durch die Verwandtenklausel verhindert werden. Sind Zahnarzt und Patient verheiratet oder stehen sie in einem engen verwandtschaftlichen Verhältnis, so besteht nach Ansicht der PKV die Gefahr, dass objektiv nicht überprüfbare Leistungen, die im Einzelfall gar nicht erforderlich sind, zulasten der Versicherung abgerechnet werden. Eine Überprüfung derartiger Vorgänge wäre der Versicherung nicht oder nur mit erheblichem Aufwand möglich. Die Einschränkungen der Erstattung bei Behandlung durch Angehörige/Verwandte sollen die Versicherung also vor Manipulation und Übermaßbehandlung schützen.

Markante Rechtsprechung des BGH

Eine Verbraucherschutzorganisation ergriff die Initiative und ließ die Verwandtenklausel wegen angeblichen Verstoßes gegen das Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen höchstrichterlich prüfen. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied mit Urteil vom 21.02.2001 (Az. IV ZR 11/00), dass diese Klausel zulässig ist. Laut BGH ist dadurch der Versicherungsschutz als solcher nicht gefährdet. Dazu folgendes Zitat:

 

  • Zitat aus der BGH-Grundsatzentscheidung

„Der Versicherungsnehmer wird im Regelfall die Möglichkeit haben, sich in medizinisch gleichwertiger Weise von einem Arzt behandeln zu lassen, der nicht zu dem in der Klausel genannten Personenkreis gehört. Nach der Art der Erkrankung wird zudem in vielen Fällen von vornherein nur eine Behandlung durch einen fremden Arzt infrage kommen, weil der nahe Angehörige vom Fachgebiet her für die Behandlung nicht zuständig ist.“

 

Gibt es Ausnahmen von dieser Regelung?

Der BGH hat in seiner Entscheidung berücksichtigt, dass es in der GKV einen entsprechenden Passus nicht gibt: „Aus dem Umstand, dass es in der gesetzlichen Krankenversicherung einen entsprechenden Leistungsausschluss nicht gibt, lässt sich kein berechtigtes Interesse an einer Gleichstellung in der privaten Krankenversicherung herleiten. Die Privatversicherung ist nach ihren eigenen privatrechtlichen Regelungen und ihrem eigenen Vertragszweck zu beurteilen …“ Mögliche Ausnahmen von dieser Regelung sah der BGH nur in zwei Fällen:

 

  • Der nahe Angehörige gehört zu wenigen Spezialisten, die die Behandlung überhaupt durchführen können.
  • Es ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar, einen anderen Arzt aufzusuchen und der Umfang der Behandlung übersteigt das Maß dessen, was üblicherweise noch unentgeltlich geleistet wird.

Verwandtenklausel und Gemeinschaftspraxis

Eine Gemeinschaftspraxis ist dadurch gekennzeichnet, dass sie durch mehrere Zahnärzte gleicher oder verschiedener Fachrichtungen geführt wird, wobei Praxisräume und -einrichtungen gemeinsam genutzt und Hilfspersonal gemeinsam beschäftigt wird. Wird in der Gemeinschaftspraxis ein naher Verwandter eines Zahnarztes durch einen anderen Zahnarzt der Praxis behandelt, so müsste die PKV eigentlich die gesamte Rechnung tarifgemäß erstatten, da die Verwandtenklausel nur für die Behandlung durch Ehegatten, Eltern und Kinder gilt. In der Realität kann es aber anders aussehen: Die PKV erstattet oftmals nicht mit der Begründung einer „gesamthänderischen Haftung“ der Gemeinschaftspraxis. Es bestehe die Gefahr, dass der Schutzzweck der Verwandtenklausel ‒ Übermaßbehandlung oder gar Manipulation zulasten der PKV ‒ so ausgehebelt werden könne.

 

Was kann hier helfen? Aus den Behandlungsdaten und den Qualifikationen des „anderen“ Zahnarztes sollte im Therapieplan ein Hinweis erfolgen, dass kein Verwandtschaftsverhältnis besteht, sondern der Patient eine Behandlung bei diesem Zahnarzt ‒ z. B. aufgrund einer beruflichen Spezialisierung (Implantologe, MKG-Chirurg, Oralchirurg) ‒ wünscht. Eine derartige Erläuterung mag in Bezug auf die Kostenerstattung der Honorarleistungen hilfreich sein, obliegt jedoch der Entscheidung der PKV bzw. der Gerichte.

Besonderheiten bei beihilfeberechtigten Verwandten

Die für den Patienten geltende Verordnung über Beihilfen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen von 2009 enthält im § 3 Abs. 6 und in der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) vom 13.02.2009 im § 8 Abs. 1 Nr. 7 eine Auflistung nicht beihilfefähiger Aufwendungen. Nicht beihilfefähig sind Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit von Ehegatten, eingetragenen Lebenspartnern, Kindern und Eltern des Behandelten. Kosten, die dem behandelnden Angehörigen im Einzelfall ‒ z. B. für Implantat-Materialien und Arzneimittel ‒ entstehen und deren Geldwert nachgewiesen ist, sind beihilfefähig.

 

Beihilfe ‒ noch größere Erstattungseinschränkungen als bei der PKV

Bei Behandlungen durch diese Familienangehörigen sind ‒ wie bei der PKV ‒ die Sachkosten erstattungsfähig. Handelt es sich um persönliche Leistungen von Schwiegersöhnen und -töchtern, Schwägern/Schwägerinnen, Schwiegereltern und Geschwistern, so gelten ‒ anders als bei der PKV ‒ auch dafür Erstattungsbeschränkungen: Neben den Sachkosten sind dann nicht die gesamten, sondern z. B. nur bis zu zwei Drittel der GOZ-Gebühren beihilfefähig. Solche Feinheiten finden sich in Beihilfevorschriften der Bundesländer.

 

Markante Rechtsprechung zur Beihilfe

Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Lüneburg vom 23.04.2010 (Az. 5 LB 388/08) sind Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilbehandlung auch dann von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen, wenn die Aufwendungen nicht von dem nahen Angehörigen selbst durchgeführt worden sind, sondern von seinem Angestellten. Eine entsprechende Klausel findet sich auch in den Beihilfevorschriften, hier sind ebenfalls nur die Sachkosten beihilfefähig.

 

Das Verwaltungsgericht (VG) Magdeburg hat mit Urteil vom 24.07.2012 (Az. 5 A 275/11) präzisiert, dass dieser Ausschluss sich nicht nur auf den behandelnden Ehegatten, sondern auch auf die in der Praxis des Ehegatten angestellten Zahnärzte bezieht. Wird also ein beihilfeberechtigter Patient in der Praxis seines Ehepartners durch diesen oder einen angestellten Zahnarzt behandelt, entfällt die Beihilfefähigkeit.

 

FAZIT | Ob in heutiger Zeit die Gerichte ‒ so insbesondere der BGH ‒ über die Verwandtenklausel in gleicher Weise entscheiden würden, ist fraglich. Wer unter die jeweilige „Verwandtenklausel“ fällt, ist unterschiedlich geregelt, ebenso wie die Erstattung gehandhabt wird. Insbesondere bei umfangreichen Therapien, wo die medizinische Notwendigkeit prüfbar ist, erscheint es unlogisch, dass diese Leistungen ohne Bezahlung erfolgen. Fakt ist, dass für die Behandlung von privat versicherten Verwandten mit oder ohne Beihilfeanspruch eine Rechnung erstellt werden darf. Allerdings ist weder die PKV noch die Beihilfe verpflichtet, aufgrund der MB/KK und Tarifbestimmungen zu erstatten, wenn ein Ausschluss enthalten ist. Eine Ausnahme bilden lediglich die Sachkosten.