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30.03.2017·Aktuelle Rechtsprechung Landgericht Osnabrück: Fehlerhafte wirtschaftliche Aufklärung gefährdet den Honoraranspruch

·Aktuelle Rechtsprechung

Landgericht Osnabrück: Fehlerhafte wirtschaftliche Aufklärung gefährdet den Honoraranspruch

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Kanzlei Roever Broenner Susat Mazars, Berlin, www.mazars.de

| Eine Entscheidung des Landgerichts (LG) Osnabrück verdeutlicht eindringlich, wie durch fehlerhafte wirtschaftliche Aufklärung der zahnärztliche Honoraranspruch gefährdet werden kann (Urteil vom 31.08.2016, Az. 2 O 1947/15, Abruf-Nr. 192678 unter pi.iww.de). |

Der Fall

Im Urteilsfall ging es um eine implantologische Versorgung des Unterkiefers. Es wurden Vereinbarungen gemäß § 2 GOZ über erhöhte Steigerungssätze (4,3-fach, 4,0-fach und 5,0-fach) abgeschlossen. Die GKV-Patientin war Empfängerin von Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II („ALG II“). Nachdem der Zahnarzt die Zähne 42 bis 32 extrahiert hatte, setzte er im Unterkiefer insgesamt sieben Implantate. Zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung war die Patientin lediglich provisorisch versorgt.

 

Keine Information über Gesamtkosten bei Behandlungsbeginn

Unstreitig hatte der Zahnarzt die Patientin nur mündlich darüber informiert, dass sie pro Implantat mit Kosten von etwa 1.200 Euro rechnen müsse. Zu Behandlungsbeginn hatte die Patientin neben den Vereinbarungen über die Steigerungssätze und einer Einverständniserklärung über zahnärztliche Implantationen auch einen „implantologischen Behandlungsplan“ über voraussichtliche Kosten von 8.447,74 Euro erhalten und unterzeichnet. Im Oktober 2014 setzte der Zahnarzt zudem auch im Oberkiefer Implantate. Diese Versorgung war jedoch nicht Teil des Klageverfahrens.

 

Der Eigenanteil der Patientin für die endgültige prothetische Versorgung des Ober- und Unterkiefers belief sich auf rund 18.000 Euro. Nach der Beweisaufnahme ging die Kammer davon aus, dass der Zahnarzt die Patientin weder über die Gesamtkosten der Versorgung des Unterkiefers noch über die isolierten Kosten der endgültigen prothetischen Versorgung informiert hatte.

 

Patientin zahlte ihre Rechnung nicht und wurde verklagt

Eine für die implantologische Versorgung des Unterkiefers über 8.481,79 Euro gestellte Rechnung beglich die Patientin nicht. Sie wurde daraufhin von dem Abrechnungsunternehmen, das die Forderung zwischenzeitlich vom Zahnarzt erworben hatte, verklagt.

Schadenersatz wegen fehlerhafter wirtschaftlicher Aufklärung

Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist, oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, so muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten in Textform informieren (§ 630c Abs. 3 BGB). Die voraussichtlichen Kosten der vollständigen Behandlung sind – so das Gericht – dem Patienten mitzuteilen. In diesem Kostenvoranschlag sind die bei normalem Verlauf kalkulierbaren Kosten aufzuführen.

Schadeneratzanspruch und Leistungsverweigerungsrecht

Das LG Osnabrück hat die Zahlungsklage als „derzeit noch unbegründet“ abgewiesen. Die diesem Ergebnis zugrunde liegenden Erwägungen sind für die Behandlerseite sehr aufschlussreich:

 

  • Als Folge der fehlerhaften wirtschaftlichen Aufklärung steht der Patientin grundsätzlich ein aufrechenbarer Schadenersatzanspruch zu.

 

  • Hinsichtlich der – allein den Gegenstand der Klage darstellenden – Kosten für die Implantate im Unterkiefer war die wirtschaftliche Aufklärung ordnungsgemäß. Konkret heißt das: Es lag ein unterzeichneter implantologischer Behandlungsplan vor. Zudem gab es einen mündlichen Hinweis, dass „etwa 1.200 Euro pro Implantat“ anfallen. Der Klageforderung könne insoweit kein aufrechenbarer Gegenanspruch entgegengehalten werden.

 

  • Dennoch war die Klage als „derzeit“ unbegründet abzuweisen, denn der zahnärztliche Vergütungsanspruch ist erst bei Beendigung der vereinbarten Behandlung fällig. Die Behandlung sei jedoch erst mit Eingliederung der endgültigen prothetischen Versorgung beendet. Danach hat es der Zahnarzt grundsätzlich in der Hand, den Zahlungsanspruch hinsichtlich der im Unterkiefer inserierten Implantate fällig zu stellen.

 

Wegen der im Übrigen fehlerhaften wirtschaftlichen Aufklärung könne die Patientin dem weitergehenden Zahlungsanspruch künftig aber einen Schadenersatzanspruch in gleicher Höhe entgegenhalten. Das ist eine klassische „Zwickmühle“. In den Worten der Kammer heißt das: „[Der Zahnarzt] schuldet für den ausgewiesenen Rechnungsbetrag neben den abgerechneten Leistungen auch – und damit praktisch unentgeltlich – die endgültige Versorgung des Unterkiefers.“

 

FAZIT | Folgende Konsequenzen kann man aus dem Urteil ziehen:

 

  • 1. Die rechtliche Kernaussage: Ist dem Behandler bekannt, dass die vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist, so muss er den Patienten vor Behandlungsbeginn über die voraussichtlichen Gesamtkosten der Behandlung aufklären.

 

  • 2. Die wirtschaftliche Bedeutung: Steht dem Patienten ein Schadenersatzanspruch aufgrund fehlerhafter wirtschaftlicher Aufklärung zu, so kann der Behandler seinen Vergütungsanspruch vollständig oder – wie in diesem Fall – teilweise verlieren.