Über 650.000 € Honorarrückforderung nach „exorbitanten Überschreitungen der Quartalsprofile“
Eine hohe Patientenzahl, besondere Sprechstunden-/Praxisöffnungszeiten oder besondere Strukturen der Praxis können im Rahmen einer zeitbezogenen Plausibilitätsprüfung festgestellte Zeitprofil-Überschreitungen nicht rechtfertigen, da maßgeblich Gegenstand der Überprüfung der plausible Zeitaufwand ist.
Vor diesem Hintergrund hatte das Vorgehen einer BAG zweier Allgemeinmediziner/Hausärzte gegen eine Honorarrückforderung in Höhe von mehr als 650.000 € nach „exorbitanten Überschreitungen der Quartalsprofile“ keinen Erfolg.
Der Fall
Die Überprüfung der Abrechnungen hatte ergeben, dass die BAG die für eine Berufsausübungsgemeinschaft bestehend aus zwei Mitgliedern maßgebende zeitliche Quartalsprofilgrenze von 1.560 Stunden im prüfrelevanten Zeitraum überschritten habe. Die weitere Überprüfung hatte ergeben, dass die zeitlichen Auffälligkeitsgrenzen von 12 Stunden am Tag an bis zu 63 Tagen im Quartal überschritten werde, wobei die im Tagesprofil ausgewiesene Zeit an insgesamt 10 Tagen über 16 Stunden gelegen habe. An einem dieser Tage habe das Tagesprofil allein für einen der beiden Ärzte bei 22:31 Stunden gelegen. Zusätzlich kämen noch Zeiten u.a. für privatärztliche Leistungen und weitere EBM-Leistungen dazu, die gar nicht in den Zeitprofilstatistiken erfasst würden, so dass die tages- und quartalsbezogene Behandlungszeit tatsächlich noch höher ausfalle.
Die Berufsausübungsgenmeinschaft hatte argumentiert, die Profil-Überschreitung sei durch die überdurchschnittlich hohe Anzahl an Patienten, die in der BAG von nur zwei Ärzten behandelt würden, plausibel erklärbar. Die Patientenzahl liege bei 3.660 bis 4.375 Patienten/Quartal, während die Fachgruppe im Durchschnitt ca. 950 Patienten/Quartal behandele.Allein durch die Prüfzeiten für die Versichertenpauschalen würden ihre Prüfzeiten der Ärzte ausgeschöpft. Die durchschnittlichen Prüfzeiten orientierten sich an durchschnittlichen Behandlungsfallzahlen. Für die BAG seien die Prüfzeiten für einzelne Leistungen herabzusetzen. Für die Versichertenpauschalen (Nr. 03110 bis 03112 EBM) und die Nr. 03212 (Chronikerzuschlag) dürften nur 50 % der Prüfzeit angesetzt werden (im Durchschnitt rund 12 Minuten bzw. 10 Minuten).
Das Urteil
Das Sozialgericht Marburg erachtete die Prüfstrategie der Kassenärztlichen Vereinigung als zulässig und richtig. Angesichts der aufgezeigten Verstöße gegen die Regeln des Vertragsarztrechts erweisen sich die von der BAG in den streitbefangenen Quartalen jeweils der Abrechnung beigefügten Abrechnungssammelerklärungen, in denen sie die ordnungsgemäße Erbringung der abgerechneten Leistungen bestätigt hat, als falsch – mit der Folge, dass die KV berechtigt war, die Honorarbescheide aufzuheben und die Honorare im Wege der Schätzung neu festzusetzen (vgl. BSG, 23.06.2010 – B 6 KA 7/09 R). Der KV kommt dabei ein weites Schätzungsermessen zu, da mit der Implausibilität der Abrechnung aufgrund der Verstöße die Abrechnung selbst nicht mehr ausschlaggebend sein kann.
Die Abrechnungs-Sammelerklärung als Ganzes ist bereits dann unrichtig, wenn nur ein mit ihr erfasster Behandlungsausweis eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen enthält. Dies gilt auch für implausible Abrechnungen. Wegen dieser weitgehenden Wirkung der Rechtsfolgen aus der Abgabe einer unrichtigen Abrechnungs-Sammelerklärung ist weiter vorauszusetzen, dass unrichtige Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig oder {vorsätzlich erfolgt sind (vgl. BSG, 17.09.1997 – 6 RKa 86/95).
Angesichts der Implausibilität der Abrechnung für alle fraglichen Quartale sei von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen. Es bedarf eines Nachweises im Einzelfall dann nicht mehr, wenn entweder eine unrichtige Angabe über erbrachte Leistungen oder eben die Implausibilität der Abrechnung nachgewiesen ist. Der Nachweis der Implausibilität der Abrechnung steht insofern dem Nachweis einer unrichtigen Angabe über erbrachte Leistungen gleich bzw. ersetzt diesen. Der Arzt/die BAG könne sich hierzu angesichts des Umfangs auch nicht auf irrtümliches Fehleinlesen von Versichertenkarten oder lückenhafte Tagesprotokolllisten berufen.
Es könne hier dahingestellt bleiben, ob nicht von vorsätzlichem Handeln schon angesichts des Umfangs der abgerechneten Leistungen, auch unter Berücksichtigung der Tätigkeit des Herrn A., auszugehen ist – jedenfalls liege grobe Fahrlässigkeit vor. Angesichts des Umfangs der fehlerhaften Abrechnung sowie der sich über mehrere Quartale hinziehenden Abrechnungspraxis handle es sich auch nicht um ein bloßes Versehen, sondern um wiederholtes, standardmäßig nachlässiges Ausführen der Abrechnungen, so das Gericht.
Sozialgericht Marburg, 06.04.2021 – S 12 KA 119/18