Keine Implantatversorgung bei Amelogenesis imperfecta
Bekanntlich zählen implantologische Leistungen grundsätzlich nicht zur zahnärztlichen Versorgung von gesetzlich Versicherten. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat eine Reihe von Ausnahmeindikationen beschlossen, bei denen solche Behandlungen „Kassenleistung“ sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist dieser Katalog eng auszulegen, eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Wie streng die Rechtsprechung insofern ist, zeigt eine Entscheidung des Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) (Az. L 5 KR 739/22), das inzwischen rechtskräftig ist.
Von Dr. med.dent. Wieland Schinnenburg, Fachanwalt für Medizinrecht, Hamburg
www.rechtsanwalt-schinnenburg.de
Die ca. 30-jährige Klägerin litt unter einer Amelogenesis imperfecta (Hypomineralisations-/Hypomaturationstyp). Im Oberkiefer hatte sie nur noch eine nicht erhaltungswürdige Restbezahnung. Zu diesem Zustand hat die genannte Erkrankung und nicht etwa schlechte Zahnpflege geführt. Es war eine konventionelle prothetische Versorgung möglich. Die Klägerin wandte noch ein, dass sie die Situation psychisch sehr belastet und dass bei so früher Versorgung mit herausnehmbarem Zahnersatz in Jahrzehnten eine Kieferatrophie mit Prothesenunfähigkeit drohe.
Dennoch lehnte das LSG eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse ab, da die Krankheit der Klägerin nicht im o.g. Ausnahmekatalog des GBA enthalten ist. Insbesondere liege nicht die „generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen“ vor, da die Zähne zunächst vorhanden waren. Dem Einwand der in Jahrzehnten drohenden Prothesenunfähigkeit hielt das LSG entgegen, dass auch bei Implantaten ein jahrzehntelanger Erfolg nicht „vorhergesagt werden“ könne.
Schließlich war die konkret vorgenommene implantologische Versorgung der Klägerin auch nicht als wirtschaftlich anzusehen. Insofern hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass auf Grund der bestehenden Gegebenheiten bei unterstelltem Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen eine implantatgetragene prothetische Rehabilitation mit einer Totalprothese stabilisiert auf vier Implantaten (und nicht auf acht, wie geplant) hätte erfolgen müssen.
Hintergrund
Die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie; in der am 18.06.2006 in Kraft getretenen Fassung) sieht unter Abschnitt B VII 2 Satz 4 Ausnahmeindikationen für Implantate und Suprakonstruktionen im Sinne von § 28 Abs. 2 S. 9 SGB V vor. Danach liegen besonders schwere Fälle vor
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache
– in Tumoroperationen,
– in Entzündungen des Kiefers,
– in Operationen infolge von großen Zysten (z.B. große follikuläre Zysten oder Keratozysten),
– in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt,
– in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder
– in Unfällen
haben,
b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung,
c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen,
d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z. B. Spastiken).
Sind die Voraussetzungen dieser Ausnahmeindikationen erfüllt, besteht – auch im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung – Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann, wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist (Abschnitt B VII 2 Satz 2 Behandlungsrichtlinie).
Sämtliche Voraussetzungen für die Kostenübernahme einer Implantatbehandlung sind im oben geschilderten Fall nicht erfüllt. Unstreitig lag keine der in der Behandlungsrichtlinie genannten Ausnahmeindikationen vor. Insbesondere lag keine generalisierte genetische Nichtanlage von Zähnen vor. Denn der zunächst vorhandene Zahnbestand der Klägerin ist erst auf Grund der bei ihr vorliegenden genetisch bedingten Erkrankung nach und nach dezimiert worden. Eine analoge Anwendung der genannten Ausnahmeindikation auf andere schwere Fälle kommt entgegen den Ausführungen des Sozialgerichts aber nicht in Betracht. Das BSG weist in ständiger Rechtsprechung vielmehr darauf hin, dass die in der Behandlungsrichtlinie geregelten Ausnahmeindikationen abschließend sind und eine ergänzende Auslegung ausscheidet (vgl. nur BSG, Urteil vom 10.03.2022 – B 1 KR 2/21 R Rn. 13).