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29.03.2012·Aktuelle Rechtsprechung Prozessstrategie: Trennung der Erstbehandlung zur Rehabilitation und gute Dokumentation

·Aktuelle Rechtsprechung

Prozessstrategie: Trennung der Erstbehandlung zur Rehabilitation und gute Dokumentation

von Rechtsanwältin und Fachanwältin Medizinrecht Anita B. Fersch, Feldafing

| Eine 53-jährige Patientin war implantologisch-prothetisch im OK und UK versorgt worden. Diese Versorgung war aufgrund der völlig untauglichen Behandlung desaströs. Die Rehabilitation des beklagten MKG-Chirurgen war mit definitiver Prothetik und einwandfrei osteointegrierten Implantaten nach einem Jahr erfolgreich abgeschlossen und wurde bildlich festgehalten. Überraschend begehrte die Patientin jedoch vier Jahre später Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen angeblich fehlerhafter Nachbehandlung. |

 

Die Klage der Patientin wurde nach sieben Jahren Prozessdauer vom Landgericht München I mit rechtskräftigem Urteil vom 20. Dezember 2011 abgewiesen (Az: 10 O 9914/06, Abruf-Nr. 120946).In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie hier vorgegangen wurde, um eine unberechtigte Haftung zu vermeiden.

Beweissicherung vor Rehabilitation und Aufklärung

Vor Beginn der Rehabilitation wurde anderweitig ein Privatgutachten mit Bilddokumentation des Ergebnisses der vorherigen Behandlung eingeholt.

 

In sehr langen Beratungsgesprächen, die ausführlich und exakt schriftlich und bildhaft mit konsiliarärztlicher Beteiligung dokumentiert sind, wurde die Patientin über die Therapie und deren Alternativen, jeweilige Risiken und Kosten sowie den weiteren Verlauf aufgeklärt. Streitentscheidend war, dass im Oberkiefer regio 23 bis 26 ein relevantes Volumen an Kieferkamm vorlag, das im Sinne eines Hartgeweberegenerats – also Knochenersatzmaterial mit Hartgewebestrukturen – einen Kieferkamm bildete, ohne dass entzündliche Veränderungen festgestellt wurden. Dies wurde bildhaft dokumentiert.

 

Auf fraktionierte Weise konnten sieben Implantate in regio 15, 14, 11, 21, 23, 25 und 26 in korrekter, prothetisch relevanter Weise inseriert werden, die die zukünftige festsitzende Brücke tragen sollten. Die prothetische Arbeit konnte korrekt mit regulärer Okklusion fest integriert und die Rehabilitation als funktionell und ästhetisch gelungen abgeschlossen werden. Die Behandlungskosten wurden bezahlt.

Schiedsverfahren vor der Kammer: Kein Behandlungsfehler

Die Patientin verlangte vier Jahre nach dem erfolgreichen Abschluss der Versorgung Schadenersatz und Schmerzensgeld. Sie berief sich dabei auf eine angeblich fehlerhafte Behandlung mit einer Perforation in die Kieferhöhle. Der beklagte MKG-Chirurg habe den Verlust von sieben Implantaten und eine Kieferkammentzündung im Oberkiefer links verursacht. Die Herausgabe von Unterlagen anderer Behandler wurde verweigert. Der MKG-Chirurg schlug zur Klärung ein Schiedsverfahren vor der Landeszahnärztekammer vor. So wurden dann im Schiedsverfahren auch die Behandlungsunterlagen der zwischenzeitlichen Behandler zur Einsicht vorgelegt. Die Schiedsstelle hat mit ihrem Schiedsspruch entschieden: „Ein Behandlungsfehler des MKG-Chirurgen lag nicht vor.“ Die Rehabilitation sei „nach den Regeln der zahnmedizinischen Wissenschaft fachgerecht vorgenommen worden“.

Klageabweisung und Festellung einwandfreier Rehabilitation

Die Patientin akzeptierte den Schiedsspruch jedoch nicht. Mit ihrem Privatgutachten trug sie vor, dass ein Knochenaufbau hätte vorgenommen werden müssen und der beklagte MKG-Chirurg es fehlerhaft unterlassen habe, das vom Erstbehandler eingesetzte künstliche Knochenersatzmateriel BIO-OSS hierfür zu entfernen. Sie berief sich erneut auf fehlpositionierte und nicht osteointegrierte Implantate und ästhetisch untragbare Ergebnisse. Zusätzlich habe der damalige Behandler einen Defekt durch Perforation in der Kieferhöhle verursacht, der den gesamten Sinus mit Eiter volllaufen ließ. Es hätten Therapien und zwei stationäre Operationen beim HNO-Spezialisten sowie Operationen bei einem MKG-Chirurgen im Ausland stattgefunden.

 

Der beklagte MKG-Chirurg bewies anhand seiner Unterlagen, dass nunmehr fünf Jahre nach erfolgreichem Behandlungsabschluss die Implantate nachweislich fachgerecht positioniert, osteointegriert und lege artis prothetisch dauerhaft versorgt wurden. Der Verlust der Implantate beruhte auf zwischenzeitlichen HNO-Totalausräumungen der Kieferhöhlenschleimhaut und Bruxismus. Eine Perforation in die Kieferhöhle lag eindeutig nicht vor, wie postoperative Bilddokumentationen eindeutig belegten. Der Verlust der Schleimhaut war von HNO-Seite verursacht.

 

Auf dem Wege des Rechtshilfeersuchens wurden nun auch die Unterlagen des Erstbehandlers zugänglich und in das Verfahren mit eingebracht. Das Gericht entschied daher anhand des Gerichtsgutachtens, dass der aktuelle Schaden dem Erstbehandler anzulasten sei.

 

Der Behandler obsiegte nach langem Rechtsstreit. Die zeitlichen und persönlichen Investitionen wurden ihm leider nicht erstattet!

 

PRAXISHINWEISE | Zur Vermeidung von Haftungsfallen aus der Erstbehandlung eines anderen Zahnarztes ist das Einholen eines Privatgutachtens vor dem Behandlungsbeginn unbedingt anzuraten, um die Erstbehandlung und Rehabilitation zu trennen. Das vermeidet eine Haftungsfalle als „Weiter-“ bzw. „Nachbehandler“. Die lückenlose schriftliche und bildhafte Dokumentation der Rehabilitation ist unverzichtbar. Sollte es zu einem Rechtsstreit kommen, dann ist unbedingt stets das gesamte Behandlungsgeschehen vorher und zwischenzeitlich aufzudecken und mit einer Ursachenforschung zu prüfen. Alleinig die Aufarbeitung der Erstbehandlung und der zwischenzeitlichen Behandlungen gewährleistet eine lückenlose Nachvollziehbarkeit und Zuordnung der Kausalität zum Schadensbild. Dieses Vorgehen gewährleistet für den Gerichtsgutachter und das Gericht tatsächliche Feststellungen, sodass der Behandler der Rehabilitation nicht für Schadensfälle anderer (Vor-)Behandler haftbar gemacht werden kann.