Diabetes und Parodontitis: Entzündung als gemeinsame Schnittstelle

Diabetes mellitus und Parodontitis gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland: Rund 9,1 Millionen Menschen leben mit Diabetes [1], etwa 14 Millionen sind von schwerer Parodontitis betroffen [2]. Beide Krankheiten stehen in enger Wechselwirkung – und zeigen exemplarisch, wie wichtig eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Medizin und Zahnmedizin ist. Auf dem 4. Gemeinschaftskongress der zahnmedzinischen Fachgesellschaften forderten Experten eine bessere fachübergreifende Vernetzung.

„Die Mundhöhle ist kein isolierter Raum, sondern integraler Bestandteil der Körperoberfläche“, erklärt Prof. Dr. Henrik Dommisch, Direktor der Abteilung für Parodontologie, Oralmedizin und Oralchirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. „Fortgeschrittene Parodontitis ist daher nicht nur ein lokales Problem, sondern induziert systemische Entzündungsreaktionen, u.a. durch oral-pathogene Bakterien, welche über den Blutstrom Gewebe fern der Mundhöhle beeinflussen können.“

Die enge Verbindung zwischen Allgemein- und Mundgesundheit unterstreicht auch Prof. Dr. Knut Mai, Direktor der Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel- und Ernährungsmedizin an der Charité: „Bei Diabetes spielen nicht nur metabolische Faktoren eine Rolle. Entzündliche Prozesse sind maßgeblich an der Entstehung typischer Spätfolgen eines Diabetes wie einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall oder Nierenerkrankungen beteiligt.“ Dieses Zusammenspiel zeige sich besonders deutlich im Zusammenhang von Parodontitis und Diabetes mellitus. „Wer seine Blutzuckerwerte stabil halten möchte, sollte unter anderem auf eine gute Mundgesundheit achten.“

„Schwachstelle“ Zahn

Die Mundhöhle ist Teil der Körperoberfläche – mit dem Zahn als „besonderer Schwachstelle“: Dieser ragt aus dem Knochen in eine bakterienreiche Umgebung, ist jedoch gleichzeitig die einzige Körperoberfläche, die sich nicht ständig erneuert. Die Grenzfläche schützt nur ein dünnes Gewebeband, das gerade etwas mehr als zwei Millimeter breit ist und aus Saumepithel und Bindegewebe besteht. Wird diese Barriere etwa durch ein dysbiotisch verändertes Mikrobiom, Diabetes mellitus oder Rauchen geschwächt, reagiert der Körper mit einer ausgeprägteren Entzündung. Dabei können Bakterien und Botenstoffe in den Blutkreislauf gelangen und eine systemische Entzündung, wie auch bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Rheuma oder Diabetes mellitus verstärken. So haben Diabetespatient*innen mit Parodontitis eine deutlich höhere Herz-Kreislauf-Sterblichkeit als ohne Parodontitis. Kann die Entzündung nicht gestoppt werden, wird der Entzündungsprozess aufrechterhalten, um die Integrität der Körperoberfläche wieder herzustellen. D.h. ohne Therapie bleibt die Entzündung bestehen, bis der zahntragende Knochen entzündlich zerstört ist und der Zahn als sich nicht erneuernde und Biofilm-kontaminierte Oberfläche verloren geht. „Im Gegensatz zum diabetischen Fuß, der nicht heilt, und dann im schlimmsten Fall amputiert werden muss,“ führt Dommisch aus, „amputieren sich die Zähne bei fortgeschrittener Parodontitis quasi selbst, wenn keine Therapie der Erkrankung erfolgt: Sie fallen aus, damit die Integrität der Körperoberfläche wiederhergestellt werden kann.“

Interventionen bringen Verbesserungen in beide Richtungen

Wird die Entzündung durch eine erfolgreiche Parodontitistherapie zurückgedrängt, verbessert sich der Blutzuckerspiegel nachweislich: Der HbA1c-Wert sinkt bei Menschen mit Diabetes mellitus im Schnitt um 0,3 bis 0,6 Prozent. Umgekehrt unterscheidet sich der parodontale Zustand bei gut eingestelltem Diabetes mellitus nicht von dem gesunder Personen. Zudem verlieren Diabetes-Patientinnen und -patienten mit guter glykämischer Kontrolle seltener Zähne als jene mit dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerten.

Evidenz in gemeinsamer Leitlinie gebündelt

Die mit über 6.000 Publikationen wissenschaftlich sehr gut belegten Verbindung zwischen Diabetes und Parodontitis mündete im Jahr 2024 in einer Leitlinie, die erstmals gemeinsam von einer zahnmedizinischen und einer medizinischen Fachgesellschaft entwickelt worden ist. Die S2k-Leitlinie „Diabetes und Parodontitis“ [3] unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO), der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) bündelt diese Evidenz und liefert praxisnahe Empfehlungen für beide Professionen.

Mehr gegenseitige Aufmerksamkeit und Etablieren einer Überweisungskultur

Trotz der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz gibt es bei der Zusammenarbeit von Mediziner/innen und Zahnmediziner/innen nicht nur in Puncto Diabetes und Parodontitis noch Verbesserungspotential. Um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren und die Versorgung ganzheitlich zu verbessern, wäre eine stärkere gegenseitige Awareness und ein verbindlicher Kommunikationsweg zwischen den Professionen entscheidend, wie beide Experten betonen.

Während Ärztinnen und Ärzte bei diabetischen Folgeerkrankungen routinemäßig Überweisungen an Kollegen und Kolleginnen aus der Augenheilkunde, der Nephrologie oder der Kardiologie ausstellen, existiert im Verhältnis zwischen Medizin und Zahnmedizin bisher keine solche Überweisungskultur und auch kein kassenrechtlich zugrundeliegender Prozess. Ein Zahnarzt kann seinem Patienten zwar empfehlen, sich internistisch untersuchen zu lassen – eine formale Überweisung mit einer Rückmeldung in Form eines Arztbriefes ist jedoch (noch) nicht vorgesehen. Umgekehrt können auch Diabetologinnen und Diabetologen keine Überweisung an eine Zahnarztpraxis ausstellen. Im blauen „Gesundheits-Pass Diabetes“ ist seit Kurzem auch eine jährliche Untersuchung auf Parodontitis vorgesehen – eine erfreuliche und wichtige Entwicklung, wie beide Experten hervorhoben.

Diagnostische Tools für ein fächerübergreifendes Screening existieren schon

Hausärztinnen und Hausärzte können das Risiko für Parodontitis bei Menschen mit Prädiabetes oder Diabetes heute bereits einfach einschätzen – zum Beispiel mit einem kurzen Selbsttest [4]. Auf Basis dieser Ergebnisse kann eine Empfehlung zur zahnärztlichen Abklärung gegen werden.

Zahnärztliche Teams könnten umgekehrt bei Parodontitis-Patienten den Blutdruck und den Taillenumfang messen – zusammen mit einem Diabetes-Risikotest (Fragebogen) [5] ergibt sich so ein guter Hinweis auf ein mögliches Diabetesrisiko. „Dies sind einfache Maßnahmen, die auch in der zahnärztlichen Praxis gut umgesetzt werden können. Bei Bedarf bietet die hausärztliche Bestimmung des sogenannten HbA1c zudem einen einfachen Laborparameter, mit dem sich oft ein bestehender Diabetes mellitus nachweisen lässt“, erklärt Mai.

Interdisziplinäre Früherkennung senkt Erkrankungslast und Kosten

Eine engere Zusammenarbeit zwischen Internisten und Zahnmedizinern sowie eine gezielte Aufklärung der Bevölkerung hätten nicht nur medizinische, sondern auch gesundheitspolitische Bedeutung. Diabetes und Parodontitis verursachen in fortgeschrittenen Stadien – vor allem durch Folgeerkrankungen und deren Therapiebedarfe – erhebliche Behandlungskosten. Eine frühzeitige, fachübergreifende Prävention könnte die Lebensqualität deutlich verbessern und zugleich das Gesundheitssystem spürbar entlasten.

4. Gemeinschaftskongress der zahnmedzinischen Fachgesellschaften, Berlin, 30.10.-01.11.2025.

[1] Deutsche Diabetes Gesellschaft: Factsheet – Fakten zu Diabetes, Stand 2025, https://www.ddg.info/ddg-factsheet
[2] Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS • 6), http://www.deutsche-mundgesundheitsstudie.de/
[3] DG PARO, DDG, DGZMK: „Diabetes und Parodontitis“, Langversion 2.0, 2024, AWMF-Registriernummer: 083-015, https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/083-015, (Zugriff am: 19.10.2025)
[4] Parodontitis-Selbsttest, entwickelt von der DG Paro in Kooperation mit der Universität Greifswald https://selbsttest.dgparo.de/
[5] Diabetes Risikotest entwickelt vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), https://www.dife.de/news/diabetes-risiko-test/, Onlinetest unter: https://drs.dife.de/