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29.01.2013·Recht Durchmesserreduzierte Implantate: Was ist versicherungs- und haftungsrechtlich zu beachten?

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Durchmesserreduzierte Implantate: Was ist versicherungs- und haftungsrechtlich zu beachten?

von Norman Langhoff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, RBS RoeverBroennerSusat, Berlin, www.rbs-legal.de

| Am 30. Juli 2012 ist die Leitlinie „Implantologische Indikationen für die Anwendung von Knochenersatzmaterialien“ – nachfolgend nur „Leitlinie“ genannt – von der DGZMK verabschiedet worden (siehe dazu auch den vorhergehenden Beitrag auf den Seiten 3 und 4). Es wird berichtet, dass ersicherer seitdem unter Hinweis auf die Leitlinie die Kostenübernahme bei geplanter Verwendung durchmesserreduzierter Implantate ablehnen. |

Versicherungen lehnen vermehrt die Kostenübernahme ab

Der Leitlinien-Report (Titel „In welchen implantologischen Indikationen ist die Anwendung von Knochenersatzmaterialien experimentell und klinisch wissenschaftlich belegt?“) enthält die Aussage, dass „enossale Implantate für ein ausreichendes Langzeitüberleben sowohl eine Mindestlänge als auch einen Mindestdurchmesser benötigten. Für eine breite Indikationsstellung in einem biologisch adäquaten Lager gelte, dass der Einsatz von Implantaten mit einem Durchmesser von kleiner oder gleich 3,5 mm insbesondere im Molarenbereich nicht wissenschaftlich belegt und nur mit Einschränkungen zu empfehlen sei“. Versicherungen lehnen nun vermehrt unter Hinweis hierauf die Kostenübernahme für mit durchmesserreduzierte Implantate enthaltende Planungen ab.

 

Die Argumentation ist unter mehreren Gesichtspunkten nicht tragfähig:

 

  • Lediglich bedingter systematischer Zusammenhang
  • Thematischer Fokus der Leitlinie sind Augmentationsverfahren. Explizites Ziel ist die Darstellung pathologischer Indikationen, bei denen die Anwendung von Knochenersatzmaterialien experimentell und wissenschaftlich belegt ist. Die belegte Aussage bezieht sich gerade nicht auf den Implantatdurchmesser. Durch die beiläufige Formulierung wird allenfalls eine eingeschränkte Verwendung nahegelegt.

 

  • Beschränkter Grad qualitativer Autorität
  • Typologisch handelt sich um eine systematisch mittelgradig autoritative S2-k-Leitlinie, die über den lediglich informellen Konsens einer S1-Richtlinie insoweit hinausgeht, als der Inhalt in einem anerkannten formalen Konsensusverfahren verabschiedet wird. Im Gegensatz zu S3-Leitlinien bezieht sie jedoch gerade keinerlei evidenzbasierte Erkenntnisse – insbesondere nicht zur Frage des Implantatdurchmessers – ein.
  • Fehlender rechtlicher Anknüpfungspunkt
  • Die Begrenzung der Leistungspflicht auf wissenschaftlich anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden ist versicherungsvertragsrechtlich unwirksam (Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. Juni 1993, Az.IV ZR 135/92). Rechtlicher Anknüpfungspunkt für die Kostenerstattungspflicht im Rahmen der privaten Krankenversicherung kann nur die allen Versicherungsbedingungen privater Krankenversicherer zugrunde liegende Regelung nach § 1 Abs. 2 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung (MB/KK) sein, wonach Versicherungsgegenstand allein „medizinisch notwendige Heilbehandlungen“ sind.

 

Um die objektiv zu beurteilende medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung in Abrede zu stellen, genügt es jedoch nicht, eine fehlende wissenschaftliche Absicherung zu behaupten. Eine Heilbehandlung ist als notwendig anzusehen, wenn sie in der medizinischen Praxis von Ärzten – auch als alternative Behandlungsmethode – erprobt und aufgrund von Befunden und Erfahrungen erfolgversprechend angewandt worden ist und der behandelnde Arzt deshalb von der Vertretbarkeit der Anwendung der betreffenden Methode zur Erreichung des gewünschten Heilerfolges überzeugt ist. Auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse kommt es nicht an.

Rechtliche Auswirkungen

Verlautbarungen medizinischer Berufsorganisationen und Fachgesellschaften können – mit steigender Bindungswirkung – als Empfehlungen, Leitlinien oder Richtlinien eingeteilt werden, wobei Leitlinien ihrerseits je nach Verfahrensqualität zwischen S1-, S2- und S3-Leitlinien differenzieren. Faustformel: Richtlinien müssen, Leitlinien sollen und Empfehlungen können befolgt werden. Bedeutung können solche Handlungsempfehlungen vor allem im Arzthaftungsrecht erlangen. Ein Behandlungsfehler setzt eine Verletzung des bei der Behandlung geltenden Facharztstandards voraus. Veröffentlichungen wissenschaftlicher Gremien sind aus rechtlicher Sicht aber nicht mit dem geltenden Facharztstandard gleichzusetzen und können in einem Prozess nicht unbesehen übernommen werden. Gerade S3-Leitlinien können jedoch Hinweise auf einen bestehenden Standard liefern, was es aus Behandlersicht erfordern kann, ein Abweichen fachlich begründen zu können.

 

PRAXISHINWEISE | Die Leitlinie „Implantologische Indikationen für die Anwendung von Knochenersatzmaterialien“ ist zwar grundsätzlich weder unter haftungs- noch versicherungsrechtlichen Gesichtspunkten geeignet, Einschränkungen in Bezug auf die Verwendung durchmesserreduzierter Implantate zu etablieren. Aus Behandlersicht sollte sie dennoch nicht ignoriert werden, denn:

  • Kostenüberlegungen können Teil der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht sein. Weiß der Behandler, dass eine vollständige Behandlungskostenübernahme nicht gesichert ist, so wird der Patient hierauf gemäß § 630c Abs. 3 BGB nach dem Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes – was vermutlich noch im ersten Quartal 2013 der Fall sein wird – hinzuweisen sein, und zwar sogar in Textform.

  • Die Leitlinie statuiert r- auch in Bezug auf die Anwendung von Knochenersatzmaterialien – keinen Behandlungsstandard. Die Möglichkeit der Einbeziehung durchmesserreduzierter Implantate ist im Rahmen einer prothetischen Versorgung unabhängig hiervon stets im Einzelfall zu prüfen, um sich nicht dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers in Form eines Planungsfehlers auszusetzen.