Wenn der Kieferorthopäde zu gut behandelt…
Offenbar machte ein Kieferorthopäde seine Arbeit besonders gut: Nach einem Jahr stellte sich heraus, dass doch keine Operation nötig ist. Daraufhin zog die Krankenkasse ihre Kostenzusage zurück, da ja eine im Gesetz vorgesehene Voraussetzung – nämlich die Notwendigkeit einer kieferchirurgischen Behandlung – nicht gegeben sei.
von Dr.med.dent.Wieland Schinnenburg, Fachanwalt für Medizinrecht, Hamburg
www.rechtsanwalt-schinnenburg.de
Bekanntlich bezahlt die Krankenkasse bei gesetzlich versicherten Erwachsenen grundsätzlich kieferorthopädische Behandlungen nicht. Solche Behandlungen werden nur bezahlt bei Versicherten „mit schweren Kieferanomalien, die ein solches Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert.“ (§ 28 Absatz 2 SGB V).
Ein 32-jähriger Patient hatte vor Beginn der Behandlung unstreitig eine solche schwere Kieferanomalie, die üblicherweise eine Operation erforderlich machte. Die Krankenkasse erklärte die Kostenübernahme und die Behandlung begann.
Als doch keine Operation nötig war, zog die Krankenkasse ihre Kostenzusage zurück, da die Notwendigkeit einer kieferchirurgischen Behandlung – nicht gegeben sei. Hierzu hat nun das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) ein wichtiges Urteil erlassen. Das LSG hob den entsprechenden Bescheid der Krankenkasse auf. Es komme nur darauf an, ob vor Beginn der Behandlung die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein unerwartet günstiger Verlauf der Behandlung ändere daran nichts.
Bei der Kostenzusage der Krankenkasse zur kieferorthopädischen Behandlung handelt es sich regelmäßig um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Lässt eine gemäß Behandlungsplan durchgeführte kieferorthopädische Behandlung die Notwendigkeit eines kieferchirurgischen Eingriffs entfallen, liegt keine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse vor, die zur Aufhebung der Kostenzusage berechtigt, da rechtserheblich für die Kostenzusage der prognostizierte Behandlungsbedarf bei Beginn der Behandlung ist.
Der Krankenkasse half auch ein von ihr bei der Kostenübernahme erklärter Vorbehalt nichts, dass diese entfalle, wenn sich die „Planung während der Behandlung aus medizinischen Gründen“ ändere. Ein solcher Widerrufsvorbehalt sei nicht wirksam, da dieser gegen die gesetzlichen Regelungen verstoße, die ja nur auf die Situation bei Behandlungsbeginn abstellen. Im Übrigen sei der Widerruf der Kostenübernahme auch deshalb unzulässig, da der Versicherte ein schutzwürdiges Vertrauen entwickelt habe.
LSG Berlin-Brandenburg, 24.01.2024 – L 14 KR 293/22