30.10.2018·Aktuelle Rechtsprechung Behandlungsfehlerprozess: 4 Fehler, die „schlechterdings“ nicht passieren dürfen
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Behandlungsfehlerprozess: 4 Fehler, die „schlechterdings“ nicht passieren dürfen
| Wenn ein Gericht eine Implantatplanung „insgesamt als konfus und derart fehlerhaft darstellt, dass die (…) Fehler nicht lediglich als einfache Behandlungsfehler zu bezeichnen sind“, muss man als Implantologe schon viel falsch gemacht haben. Ein aktuelles Verfahren vor dem Oberlandesgericht Dresden zeigt exemplarisch, was beim Implantieren alles falsch laufen kann (OLG Dresden, Urteil vom 05.06.2018, Az. 4 U 597/17, Abruf-Nr. 204607). |
1. Ungenügende Implantatplanung
Eine Implantologin hatte für Implantate in regio 24 und 25 Zahnfilmaufnahmen sowie eine Panoramaschichtaufnahme vom linken Oberkiefer angefertigt, die als Planungsradiografie zur metrischen Analyse des ortsständigen Restknochens dienen sollten. Ebenfalls hatte sie dokumentiert, dass der Kiefer der Klägerin „sehr schmal“ sei. Die klinische Beurteilung und die Beurteilung der Röntgenbilder ‒ so ihre Stellungnahme ‒ sei ausreichend zur Planung der Augmentationsform gewesen. Über die radiologischen Untersuchungen habe sie die Knochenstruktur und -höhe beurteilen können.
Dieser Einschätzung ist der Sachverständige Dr. F. entgegengetreten: Er hatte erhebliche Planungsfehler festgestellt, da die vorgenommene Planung nicht den Mindestanforderungen an die Planung implantatprothetischer Rehabilitationen entsprach. Es sei ‒ so der Sachverständige ‒ durch die Implantologin weder eine Modellanalyse mit einem entsprechenden Wax-up/Set-up noch eine Röntgenanalyse mit Messreferenz erfolgt.
Mit den allein erstellten zweidimensionalen Röntgenaufnahmen (Zahnfilm, OPG) habe die Implantologin die Knochenhöhe nur orientierend bestimmen können. Die als „schmal“ beschriebene transversale oder orovestibuläre Dimension des Kieferknochens habe sie so nicht verifizieren können. Auch von einer Bestimmung der Knochendicke mittels Schleimhautdickenmessung und Übertragung auf ein Modell habe sie abgesehen.
Wäre eine adäquate Planung erfolgt, hätten sich sowohl Implantatpositionen als auch das Ausmaß des Knochendefizits klar bestimmen, das Vorliegen einer Indikation zum Knochenaufbau ermitteln und ein entsprechendes Verfahren unter Beachtung aller Rahmenbedingungen planen lassen. Dies sei nicht geschehen bzw. in den Unterlagen nicht dokumentiert und habe zu einem mangelbehafteten Knochenaufbau sowie einer Unterschreitung des Mindestabstands zwischen den Implantaten geführt.
Die Behandlungsunterlagen, aus denen sich ein mehrfacher Wechsel der Implantatpositionen sowohl im Vorfeld als auch während der Operation ergebe, belegten die „Konzeptlosigkeit und Konfusion“ des Vorgehens der Implantologin ‒ so der Sachverständige.
2. Behandlungsfehlerhafter Knochenaufbau
Der vom Senat beauftragte Sachverständige Dr. F. hat der Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. N., der von der Implantologin vorgenommene Aufbau mit Knochenersatzmaterial sei mit dem seinerzeit geltenden Standard vereinbar gewesen, ausdrücklich widersprochen. Nach der DGZMK-Leitlinie vom 06.01.2011 sei das angewandte Verfahren für die vorliegende Situation (konturgebendes horizontales und vertikales Knochendefizit) nicht hinreichend durch medizinische Studien abgesichert und zudem mit einer deutlich höheren Komplikationsrate verbunden.
Bei der Patientin (starke Raucherin) habe zudem ein patientenbezogenes Komplikationsrisiko vorgelegen, das der Verwendung von Knochenersatzmaterial entgegengestanden habe. Die Therapie sei vor diesem Hintergrund als „komplikationsbehaftet“ und fehlerhaft anzusehen. Im Gerichtstermin hat der Sachverständige daran festgehalten, dass körpereigenes Material hätte transplantiert werden müssen, weil der Knochenaufbau vertikal und horizontal vorzunehmen war. Das sei in einer solchen Situation zwingend, weil bei Knochenersatzstoffen die Ersatzmasse „auseinanderkrümelt“. Zugleich müsse beim Aufbau mit körpereigenem Material zweizeitig vorgegangen werden.
Hierbei hat sich der Sachverständige u. a. auch mit der Behauptung der Implantologin auseinandergesetzt, sie habe den Knochen aufgedehnt und das Implantat dann versenkt sowie anschließend mit Knochenersatzmaterial vertikal und horizontal aufgefüllt: Auch insoweit sei ein ausreichendes Knochenangebot erforderlich, was mit der unzureichenden Behandlungsdokumentation nicht nachgewiesen werden könne. An der Notwendigkeit eines horizontalen und vertikalen Knochenaufbaus ändere sich hierdurch nichts.
3. Mindestabstand zwischen Implantaten nicht eingehalten
Aus den vorliegenden Röntgenbildern konnte abgeleitet werden, dass der Implantatabstand in regio 24 und 25 lediglich 1,2 mm betrug. Der Sachverständige vertrat unter der Bezugnahme auf medizinische Fachliteratur die Auffassung, der Abstand von Implantaten untereinander müsse mindestens 3 Millimeter aufweisen, damit sich Knochen und Weichgewebe um das Implantat herum langfristig erhalten ließen. Für die von der Implantologin gewählten Implantate im Bereich des Durchtritts aus dem Kieferknochen zur Mundhöhle gelte dies erst recht, weil diese etwas ausladender seien als im enossalen Anteil. Somit bleibe bei Unterschreitung des Mindestabstands zwischen den Implantatschulterbereichen bzw. den -aufbauten kein ausreichender Raum zur Ausbildung einer Weichgewebsmanschette.
Darüber hinaus werde ‒ so der Sachverständige ‒ bei zu engem Implantatabstand die Reinigung der Implantate erheblich erschwert, weil die für die Langzeiterfolgssicherung entscheidende Hygienefähigkeit im Implantatbereich nicht gewährleistet sei. Bei nicht ausreichender Reinigung komme es dort zur Ansammlung von bakterienbeladenem Zahnbelag ‒ der hier zu einer gravierenden Periimplantitis führte, bei der die Implantatoberflächen um mehr als zwei Drittel freilagen.
4. Periimplantitis gegen Behandlungsstandard behandelt
Die Ausheilung derartig ausgeprägter Entzündungen in Implantatbereichen ‒ einhergehend mit Freiliegen der Implantatoberflächen um mehr als zwei Drittel, wie sie bei der Patientin vorlagen ‒ ist unmöglich. Jedoch wäre eine symptomatische Therapie möglich und nötig gewesen, um akute Entzündungsschübe zu behandeln. Der weitere Eingriff zur Behandlung des Kieferknochenschwunds selbst war erneut behandlungsfehlerhaft und von vornherein zum Scheitern verurteilt: Ist der primäre Knochenaufbau mit Knochenersatzmaterial unter Membranabdeckung nicht erfolgreich, so ist es ein erneuter Versuch, der einige Monate später ohne Membranabdeckung vorgenommen wird, erst recht nicht. Darüber hinaus hätte bei dieser Operation eine perioperative Antibiotikagabe erfolgen müssen, die jedoch unterblieben sei.
Gericht: mehr als ein einfacher Behandlungsfehler
Das OLG Dresden hat den Ausführungen des Sachverständigen entnommen, dass sich das Behandlungsgeschehen insgesamt als konfus und derart fehlerhaft darstellt, dass diese Fehler nicht lediglich als einfache Behandlungsfehler zu bezeichnen sind. Vielmehr waren sie nach Ansicht der Richter derart erheblich, dass sie „schlechterdings“ nicht passieren dürfen. Somit sei das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers zu bejahen.