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01.12.2016·Aktuelle Rechtsprechung OLG Köln: Das Fehlen von Behandlungsunterlagen geht zulasten des Behandlers

·Aktuelle Rechtsprechung

OLG Köln: Das Fehlen von Behandlungsunterlagen geht zulasten des Behandlers

von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Norman Langhoff, Kanzlei Roever Broenner Susat Mazars, Berlin, www.mazars.de

| Eine jüngere Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Köln (Beschluss vom 14.09.2015, Az. 5 U 41/15, Abruf-Nr. 190268 unter pi.iww.de) veranschaulicht die prozessualen Mechanismen im Haftungsprozess und verdeutlicht, dass die Verfügbarkeit von Behandlungsunterlagen prozessentscheidend sein kann. Interessant sind auch die Ausführungen zum Nachbesserungsrecht. |

Zwei Grundprinzipien des Arzthaftungsprozesses

Im Zentrum stehen zwei Grundprinzipien des Arzthaftungsprozesses. Erstens: Der Patient muss das Vorliegen eines Behandlungsfehlers – in der Regel durch ein Sachverständigengutachten – beweisen. Zweitens: Der Arzt beweist den Inhalt seiner Behandlung primär durch die Behandlungsdokumentation (ein Zeugenbeweis ist zusätzlich möglich). Hat der Behandler die Ursache für die Nichtauffindbarkeit zu vertreten, werden die Behauptungen der Klägerseite als wahr unterstellt. Das Fehlen von Behandlungsunterlagen geht damit zulasten des Behandlers. Klargestellt wird, dass „Behandlungsunterlagen“ ausdrücklich auch prothetische Arbeiten (im Streitfall eine Suprakonstruktion) umfassen, soweit sie im Gewahrsam des Behandlers verblieben sind.

Der Sachverhalt

Der beklagte Zahnarzt hatte bei der Patientin im Unterkiefer zwei Implantate inseriert und eine Suprakonstruktion gefertigt. Die Patientin hat – in erster Instanz beim Landgericht Köln erfolgreich – eine Mangelhaftigkeit der Suprakonstruktion geltend gemacht. Unstreitig waren Suprakonstruktion und Steg beim Zahnarzt verblieben. Bereits vor Klageerhebung hatte die Patientin ein selbstständiges Beweisverfahren betrieben. Der Zahnarzt konnte nicht belegen, dass er die Behandlungsunterlagen dem dort beauftragten Sachverständigen übersandt hatte. Nach dem selbstständigen Beweisverfahren ist die Patientin bei einem anderen Nachbehandler neu versorgt worden.

 

In erster Instanz wurde der Zahnarzt mehrfach zur Vorlage „der vollständigen Behandlungsunterlagen einschließlich Kartei, Röntgenbildern, Modelle etc.“ aufgefordert. Nachdem die Suprakonstruktion nicht zur Verfügung gestellt wurde, wurde die von der Patientin behauptete Mangelhaftigkeit als wahr unterstellt, weil der Zahnarzt den der Patientin obliegenden Beweis eines Behandlungsfehlers vereitelt habe. Das OLG Köln bestätigt diese Auffassung.

Wann liegt eine Beweisvereitelung vor?

Eine Beweisvereitelung liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn eine Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft erschwert oder unmöglich macht. Der Senat ist davon ausgegangen, dass der Zahnarzt spätestens nachdem die Patientin ein selbstständiges Beweisverfahren eingeleitet hatte, damit rechnen musste, dass die Suprakonstruktion im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens überprüft würde. Die später aufgrund der fehlenden Suprakonstruktion unmöglich gemachte Beweisführung sei deshalb zumindest fahrlässig verursacht worden.

 

Dabei wurden zwei Einwände der Behandlerseite zurückgewiesen: Unerheblich sei, dass die Suprakonstruktion nach zwischenzeitlicher Inserierung von zwei neuen Implantaten ohnehin nicht mehr in situ hätte sachverständig beurteilt werden können. Der Einwand wäre nur dann relevant gewesen, wenn der Verlust der Suprakonstruktion nach der Zweitversorgung eingetreten wäre – das konnte der Zahnarzt aber nicht beweisen. Unerheblich sei auch, dass wegen der Entfernung der ursprünglich inserierten Implantate ohnehin eine neue Suprakonstruktion hätte gefertigt werden müssen, denn: Infolge der Beweisvereitelung werde als wahr unterstellt, dass die Neuversorgung wegen der Fehlerhaftigkeit der Suprakonstruktion erforderlich gewesen sei. Dass der Nachbehandler die alten Implantate nicht verwendet hatte, sei irrelevant.

Eine Vereitelung des Nachbesserungsrechts lag nicht vor

Ohne Erfolg berief sich der Zahnarzt zudem darauf, dass die Patientin – durch die Zweitversorgung – die Ausübung des ihm zustehenden Nachbesserungsrechts vereitelt habe. Denn zum einen habe sich die Patientin nach Eingliederung der Suprakonstruktion über einen Zeitraum von sechs Monaten neunmal mit Beschwerden in der Praxis vorgestellt. Zum anderen setze „ein Nachbesserungsrecht voraus, dass die Suprakonstruktion überhaupt nachbesserungsfähig gewesen wärec“.

 

Umfang und Häufigkeit der Nachbesserungsversuche einzelfallabhängig

Allgemeingültige Aussagen über das zumutbare Zeitfenster oder eine Mindestanzahl von Nachbesserungsterminen lassen sich nicht treffen. Umfang und Häufigkeit der Nachbesserungsversuche hängen von den Umständen des Einzelfalls ab und entziehen sich einer generalisierenden Betrachtung (OLG Köln, Beschluss vom 27.08.2012, Az. 5 U 52/12). Die Rechtsprechung ist nicht kohärent (OLG Dresden, Beschluss vom 21.01.2008, Az. 4 W 28/08: mehrmalige Nachbesserungsversuche innerhalb eines Jahres zumutbar; OLG Naumburg, Urteil vom 13.12.2007, Az. 1 U 10/07: mehrfaches Nachbesserungsrecht zumutbar; OLG Koblenz, Beschluss vom 01.09.2011, Az. 5 U 862/11: Vielzahl misslungener Nachbesserungsversuche unzumutbar). Vorliegend hat das OLG Köln jedenfalls kein unverhältnismäßig knappes Zeitfenster zugrunde gelegt.

 

Nachbesserungsrecht kann auch durch Neuanfertigung ausgeübt werden

Soweit das OLG Köln meint, das Nachbesserungsrecht setze die Nachbesserungsfähigkeit voraus, wird jedoch übersehen, dass das Nachbesserungsrecht auch durch Neuanfertigung ausgeübt werden kann (OLG Dresden, Beschluss vom 21.01.2008, Az. 4 W 28/08). Die Definition des Senats ist insoweit zu eng. Allerdings mag bezweifelt werden, ob sich diese Fehleinschätzung im Ergebnis zum Nachteil des Zahnarztes ausgewirkt hat: Der Zahnarzt hätte beweisen müssen, dass er die Neuanfertigung tatsächlich angeboten hatte.