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08.04.2015·Fallbericht Die Verbreiterung der keratinisierten periimplantären Mukosa bei Implantat-Wiedereröffnung

·Fallbericht

Die Verbreiterung der keratinisierten periimplantären Mukosa bei Implantat-Wiedereröffnung

von Dr. med. dent., MAS, Regula Kaufmann, Dr. med. dent., MAS, Renzo Bassetti, Prof. Dr. med. dent. Regina Mericske-Stern, Prof. Dr. med. dent., MAS, Norbert Enkling, Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Universität Bern

| Eine dicht angelagerte möglichst keratinisierte Mukosa im Bereich der Implantatdurchtrittsstelle soll vor Knochenverlust schützen. Zug durch Wangenbänder und bewegliche Schleimhaut sind zu vermeiden. Dieser Fallbericht dokumentiert die Optimierung der periimplantären Schleimhautverhältnisse um Implantate im Ober- und Unterkiefer. Zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung der submukosal eingeheilten Implantate wurde mittels unterschiedlicher Plastiken eine Verbreiterung der keratinisierten Mukosa und Verdickung des Weichgewebes erzielt. |

 

 

Es gibt verschiedene Gründe, die Mukosa um Implantate von der Gingiva um Zähne zu unterscheiden: Die parodontalen Fasern inserieren bei den Zähnen ins Zement der Wurzeloberfläche, während die periimplantären Bindegewebefasern parallel zur Implantat-/Abutmentoberfläche verlaufen. Das periimplantäre Bindegewebe zeigt einen geringeren Anteil an Fibroblasten und einen höheren Anteil an kollagenen Fasern (Aufbau wie Narbengewebe). Die Gingiva um natürliche Zähne weist einen höheren Anteil an Blutgefäßen auf als das periimplantäre Weichgewebe. Es scheint, dass die Anwesenheit nicht elastischer Kollagenfasern im darunterliegenden Bindegewebe für das Vorhandensein keratinisierter Gingiva/Mukosa verantwortlich ist. Der Hauptanteil der Fasern im Parodontalspalt ist unelastisch, weshalb um natürliche Zähne immer ein im Minimum schmales Band an keratinisierter Gingiva vorhanden ist.

 

Im Gegensatz dazu können Implantate sowohl von keratinisierter Mukosa als auch von beweglicher Alveolarmukosa umgeben sein. Eine Untersuchung an Affen hat gezeigt, dass die Spezifität des Epithels (keratinisiertes oder nicht keratinisiertes Epithel) von der Art des Bindegewebes abhängt: Gingivales Bindegewebe ist imstande, die Bildung von keratinisiertem Epithel zu induzieren. Bei Implantaten kann es vorkommen, dass trotz Keratinisierung der periimplantären Mukosa diese nicht am darunterliegenden periimplantären Knochen befestigt ist. Dies ist der Fall, wenn bei einer eher höheren periimplantären Weichgewebemanschette der Übergang zwischen keratinisierter und auskleidender Mukosa koronal des Knochens zu liegen kommt.

 

In der Literatur wird die Notwendigkeit einer adäquaten Manschette an keratinisierter bzw. angewachsener Mukosa zirkulär ums Implantat herum für dessen Langzeitprognose kontrovers diskutiert. Neuere Untersuchungen deuten jedoch an, dass das Vorhandensein einer adäquaten Breite an keratinisierter Mukosa den Langzeiterfolg einer Implantat-Therapie positiv beeinflusst. Eine Review-Arbeit ergab, dass das Fehlen einer adäquaten Breite an keratinisierter Mukosa ums Implantat herum mit mehr Plaqueakkumulation, Entzündung, Weichgewebsrezession und Attachmentverlust assoziiert ist.

 

Als Folge des Knochenabbaus nach Zahnextraktion verschiebt sich die mukogingivale Grenze sowohl im OK als auch im UK nach koronal und reduziert die Breite der keratinisierten Mukosa. Da bei der Insertion von Implantaten nicht selten einzeitige oder sogar zweizeitige Knochenaugmentationen notwendig sind und deshalb ein Primärverschluss unumgänglich ist, kommt es zu einer zusätzlichen koronalen Verschiebung der mukogingivalen Grenze. Um eine Weichgewebsoptimierung – das heißt eine adäquate periimplantäre Breite an keratinisierter Mukosa – zu erreichen, kann zu unterschiedlichen Zeitpunkteninterveniert werden: erstens als präimplantologische Intervention vor der Implantatinsertion, zweitens im Zuge der Distanzoperation (Re-Entry) und drittens das Implantat ist bereits freigelegt und eventuell prothetisch versorgt.

 

Im folgenden Fallbeispiel werden eine Therapie-Variante und das klinische Vorgehen zur Generierung bzw. Verbreiterung der periimplantären keratinisierten Mukosa an eingeheilten Implantaten zum Zeitpunkt der Implantatfreilegung dargestellt. Kochbuchartig wird außerdem das Berner Konzept zur periimplantären Weichgewebsoptimierung der Klinik für Zahnärztliche Prothetik vorgestellt (siehe die Übersicht am Ende des Beitrags auf Seite 5).

Ein Patientenfall

Die 71-jährige gesunde Patientin erschien mit dem Wunsch nach einer festsitzenden prothetischen Rekonstruktion an der Klinik für Zahnärztliche Prothetik. Nach dem Verlust zweier konventioneller Brückenrekonstruktionen im Seitenzahnbereich des ersten und vierten Quadranten fühlte sich die Patientin funktionell und ästhetisch massiv eingeschränkt. Da der Kieferkamm in der Schaltlücke 14 bis 16 und die Freiendsituation im vierten Quadranten bereits seit Jahren zahnlos waren, hatte die Atrophie zu einem ausgeprägten – vor allem horizontalen – Knochenabbau des Alveolarkamms in diesen Bereichen geführt. Entsprechend hatte sich die mukogingivale Grenze nach koronal verschoben und es bestand speziell im Unterkiefer nur noch ein dünnes Band keratinisierter Schleimhaut. Der Biotyp der Gingiva wird im vorliegenden Fall als eher dünn und girlandenförmig bezeichnet.

 

Implantation im Ober- und Unterkiefer

Zur Planung der Implantate dienten die einartikulierten Modelle mit einem Setup, das sich in eine OP-Leitschiene umwandeln ließ. Im April 2012 erfolgte die Insertion von zwei Implantaten regio 14 und 16. Wegen des coronal knappen Knochenangebots wurde gleichzeitig mit der Implantatinsertion Eigenknochen aus dem OP-Gebiet mittels eines Bonescrapers gewonnen. Die Knochenspäne wurden mit BioOss gemischt und als horizontales Augmentat verwendet. Eine Bio-Gide-Membran wurde mittels Titanpins zur Bedeckung und Stabilisierung des Augmentats befestigt. Der primäre Wundverschluss führte zu einer Abflachung des Vestibulums und zu einer koronalen Verlagerung der mukogingivalen Grenze sowie des Wangenbandes in regio 14/15.

 

Im Mai 2012 erfolgte die Implantation von drei Implantaten im UK. Da das Knochenangebot regio 44 schmal war, wurde das Implantatbett teilweise mittels der Bonespreading-Technik auf die gewünschte Dimension erweitert. Eine zusätzliche horizontale Augmentation wurde in regio 44 mittels BioOss und Bio-Gide-Membran durchgeführt. Die Einheilung der Implantate 44 und 46 erfolgte submukosal, diejenige des Implantats 36 transmukosal, da so bereits eine optimale keratinisierte Weichgewebemanschette zirkulär um das Implantat herum erzielt wurde. Gemäß dem Klinikprotokoll wurde der Patientin eine Stunde lang präoperativ 2 g Augmentin und postoperativ dreimal 625 mg pro Tag für fünf Tage verabreicht. Im Anschluss an die chirurgischen Eingriffe erhielt sie die Anweisung, dreimal täglich mit einer Chlorhexidinlösung zu spülen. Die Nähte wurden nach zehn Tagen entfernt. Zur Schmerzkontrolle erhielt die Patientin Mephadolor 500 mg dreimal täglich während zwei Tagen.

 

Implantatfreilegung mit Verbreiterung keratinisierter Mukosa

Sechs Monate nach Implantation erfolgte die Implantatfreilegung. Ziel war es, gleichzeitig zur Distanzoperation im vestibulären Bereich der Implantate keratinisierte Mukosa zu generieren. Dies sollte im OK regio 14 bis 16 mittels eines apikalen Verschiebelappens (apikale Spalt-Lappenreposition) und im UK regio 44 bis 46 mittels Kombination einer Vestibulumplastik mit einem freien Schleimhauttransplantat, entnommen aus dem Palatum, erreicht werden.

 

Regio 14 bis 16 erfolgte etwa 5 mm palatinal der Kammkrete und der Implantate in Position 16 und 14 eine horizontale Inzision. Diese führte mesial am Zahn 17 zuerst sulkulär und anschließend vertikal ins Vestibulum. Ebenso wurde die Inzision 1 mm distal des Zahns 13 unter Schonung der Papille bukkal ins Vestibulum verlängert. Es folgte die vorsichtige Präparation eines 1 mm dicken Mukosallappens (Spaltlappen) bis hin zu den Implantaten. Vestibulär der Implantate wurde die Spaltlappenpräparation über dem Periost ins Vestibulum weitergeführt. Die Implantate 14 und 16 wurden vom Periost befreit und mit 3 mm hohen Gingivaformern versehen. Der Mukosallappen wurde nach bukkal verschoben und mittels Einzelknopfnähten am Rand und mittels Haltenähten am darunterliegenden Periost fixiert. In Gegensatz zum OK kann die keratinisierte Schleimhaut regio 44 bis 46 nicht von lingual nach bukkal verlagert werden. Zur Verbreiterung der keratinisierten Schleimhaut im UK war im Anschluss an die Vestibulumplastik die Transplantation eines freien Schleimhauttransplantats notwendig. Der Kammschnitt erfolgte von regio 47 bis 1 mm distal des Sulkus des Zahns 43, exakt an der Grenzlinie zwischen bestehender keratinisierter zur nicht keratinisierten Mukosa. Paramarginal zum Zahn 43 wurde eine kurze vertikale Entlastungsinzision angelegt. Wiederum wurde ein Spaltlappen nach caudal präpariert, der mittels resorbierbarer Naht am darunterliegenden Periost vernäht wurde.

 

Die Implantate wurden vom Periost befreit und mit 5 mm (44) bzw. 3 mm (46) hohen Gingivaformern versehen. Entsprechend der Größe der freipräparierten, von Periost bedeckten Fläche wurde im seitlichen Gaumen ein freies Schleimhauttransplantat von 1 mm Dicke entnommen. Es wurde mittels Einzelknopfnähten direkt an die auf dem Alveolarkamm verbliebene keratinisierte Schleimhaut von regio 47 bis 44 genäht. Das caudale Ende des FST wurde nicht direkt vernäht, sondern mithilfe von Matratzennähten ausgehend vom unmittelbar apikal der caudalen Begrenzung des freien Schleimhauttransplantats gelegenen Periosts zur lingualen Schleimhaut ans darunterliegende Periost gepresst. Auf einen Wundverband zur Bedeckung der Entnahmestelle des Schleimhauttransplantats wurde verzichtet. Es wurde die gleiche Medikation wie beim ersten Eingriff verordnet. Vier Wochen später begann die prothetische Phase.

Diskussion

In einer früheren Untersuchung zeigte sich, dass es bezüglich klinischer gingivaler Entzündungszeichen bei Zähnen keinen Unterschied macht, ob keratinisierte Gingiva von <1 mm oder =2 mm vorhanden ist. Bei Zähnen scheint es in Bezug auf die Gesunderhaltung der umgebenden Weichgewebe keine Rolle zu spielen, wie breit die keratinisierte Gingivamanschette ist. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass das Vorhandensein keratinisierter Mukosa die Langzeitprognose von Dentalimplantaten verbessern könnte. Im Gegensatz zum Zahn scheint es, dass die periimplantäre Mukosa mit einer tendenziell geringeren Immunantwort auf äußere Reize (Plaqueakkumulation) reagieren kann. Dies deutet ebenfalls auf die Notwendigkeit einer zirkulären periimplantären keratinisierten Mukosamanschette hin.

 

In einer Untersuchung mit Implantaten, in der die Verbreiterung der KM mittels Vestibulumplastik und freiem Schleimhauttransplantat beim Re-Entry durchgeführt wurde, konnte nach einem Jahr ein Zuwachs von durchschnittlich 3,7 mm erreicht werden. Innerhalb des ersten Jahres war eine durchschnittliche Resorption von 0,9 mm festzustellen. Gemäß den Resultaten von Agudio et al. sollten nach Abschluss des ersten Jahres nach Transplantation keine wesentlichen Resorptionen der keratinierten Mukosa mehr stattfinden.

 

FAZIT | Dieser Fall zeigt, dass durch die Kombination der Implantatwiedereröffnung mit der oben beschriebenen Technik zur Verbreiterung der keratinisierten periimplantären Mukosa vorhersagbare Resultate erzielt werden können und diese – gemäß Literatur – nach einem Jahr stabil sein sollten. Auf der Website (pi.iww.de) im Download-Bereich in der Rubrik „Zahnmedizin“ können Sie den Fallbericht mit Abbildungen und Quellenangaben aufrufen.

 

Berner Klassifikation des periimplantären Weichgewebedefizits

 

  • Tabelle 1a: Klasse I [Implantat gesetzt und eingeheilt, aber noch nicht freigelegt (Implantatdurchtritt nicht vorhanden)]
Lokalisation
Periimplantäre Weichgewebesituation
Chirurgische Technik

OK-Front

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: = 2 mm

Durchschimmern oder Perforation des Implantathalses bukkal

Rolllappen

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: < 2 mm

Durchschimmern oder Perforation des Implantathalses bukkal

Apikaler Verschiebelappen + Rolllappen

OK-Seitenzahnbereich

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: < 2 mm

Apikaler Verschiebelappen + evtl. kleine interimplantäre Onlay-FSTs (als Knochenresorptionsschutz)

UK

Breite der keratinisierten Mukosa:

< 4 mm, aber mindestens 2 mm

Vestibulumplastik + freies Schleimhauttransplantat (vorhandene keratinisierte Mukosa wird lingual des Implantats platziert)

Breite der keratinisierten Mukosa: < 2 mm

Vestibulumplastik + freies Schleimhauttransplantat (vor Implantation)

 

 

  • Tabelle 1b: Klasse II [Implantat freigelegt (Implantatdurchtritt vorhanden), keine Rezession]
Lokalisation
Periimplantäre Weichgewebesituation
Chirurgische Technik

Ausreichend keratinisierte Mukosa OK + UK

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: = 2 mm +

Durchschimmern des Implantathalses bukkal

Subepitheliales BG-Transplantat + Tunneltechnik

Wenig/keine keratinisierte Mukosa

OK-Front (festsitzend)

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: < 2 mm

Vestibulum vorhanden

Subepitheliales BG-Transplantat

evtl. De-Epilhelialisierung (wenn Epithel nicht keratinisiert)

kein Vestibulum

Vestibulumplastik (Belassen der evtl. noch vorhandenen keratinisierten Mukosa im bukkalen Bereich des Implantats) + freies Schleimhauttransplantat

OK-Seiten (festsitzend) OK (abnehmbar) UK

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: < 2 mm

Vestibulumplastik (Belassen der evtl. noch vorhandenen keratinisierten Mukosa im bukkalen Bereich des Implantats) + freies Schleimhauttransplantat

 

 

  • Tabelle 1c: Klasse III [Implantat freigelegt (Implantatdurchtritt vorhanden), Rezession am Implantat]
Lokalisation
Periimplantäre Weichgewebesituation
Chirurgische Technik

OK + UK

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: = 2 mm

Subepitheliales BG-Transplantat

+ coronaler Verschiebelappen oder Tunneltechnik

Breite der keratinisierten Mukosa bukkal des Implantats: < 2 mm

Subepitheliales BG-Transplantat

+ coronaler Verschiebelappen oder Tunneltechnik

freies Schleimhauttransplantat