Fluoridexposition und IQ-Werte von Kindern – was gilt für Deutschland?

Eine aktuelle Übersichtsarbeit sowie Medienbeiträge berichten über Zusammenhänge zwischen Fluoridgehalten im Trinkwasser bzw. im Urin und Intelligenzwerten von Kindern. Diesen Publikationen liegen mehrheitlich Studien aus außereuropäischen Regionen mit hohen Fluoridgehalten im Trinkwasser zugrunde. Für den in Deutschland gültigen Grenzwert der Fluoridkonzentration im Trinkwasser konnten in der Übersichtsarbeit keine Zusammenhänge zur kindlichen Intelligenz ermittelt werden.

von Prof. Dr. Urich Schiffner, Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ)

[!] Faktisch sind die Fluoridkonzentrationen im Trinkwasser bei uns in der Regel um den Faktor 5 geringer als der Grenzwert laut Trinkwasserverordnung von 1,5 mg pro Liter . Zudem sind die in der Publikation auch bei hoher Fluoridexposition ermittelten Verringerungen der kindlichen Intelligenz sehr gering. Die Publikationen haben keinen direkten Bezug zur Kariesprophylaxe mit fluoridhaltigen Kinderzahnpasten. Daher besteht kein Anlass, die Empfehlungen zur Kariesprävention bei Kindern zu verändern und von den bewährten Konzepten der Kariesprophylaxe mit Hilfe von Fluorid abzuweichen.

Eine aktuelle Meta-Analyse über Assoziationen von Fluoridexposition und dem Intelligenzquotienten (IQ) von Kindern [1] erfährt derzeit große Aufmerksamkeit in wissenschaftlichen Kommentierungen wie auch in Medien für die Allgemeinheit. Die Publikation kommt nach systematischer Literatursuche und Meta-Analyse zu der Folgerung, dass ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Fluoridgehalt im Urin bzw. der Fluoridkonzentration im Trinkwasser und einem geringeren IQ bei Kindern vorliege.

In der Bewertung der Publikation ist zu konstatieren, dass die Studienanlage formal korrekt und die Datenauswertung angemessen sind. Die Auswertung kommt insofern zu Ergebnissen, die methodisch stimmig sind. Inhaltlich sind diese Ergebnisse aber in erheblichem Umfang von dem Vorgehen und der Qualität der in die Meta-Analyse einbezogenen Studien abhängig. Ein weiterer schwerwiegender Kritikpunkt betrifft die Interpretation der vorgelegten Daten, die zudem in der Darstellung in öffentlichen Medien weiter verzerrt wird.

Eine große Anzahl der eingeschlossenen Studien (45 von 74 Untersuchungen) stammt aus China, und zwar vielfach aus Gebieten mit sehr hohen, natürlicherweise im Trinkwasser gefunden Fluoridkonzentrationen. Frühere Kommentare haben bereits darauf hingewiesen, dass dort auch Elemente wie Arsen mit potenziell schädigenden Effekten im Wasser vorkommen und dass die Erhebungen von vielen Confoundern geprägt sind [2]. Die dort gefundenen Fluoridgehalte sind sehr hoch, für uns unrealistisch und durch zahnmedizinische Interventionen (ob systemisch oder lokal) nicht zu erreichen. Dies wird in der Studie auch aus der Differenzierung der Ergebnisse mit Bezug auf den Fluoridgehalt im Trinkwasser erkennbar, wenn es um Vergleiche mit Begrenzungen der Fluoridgehalte von <4ppm, <2ppm oder auch <1,5ppm geht [1].

Für die Situation in Deutschland ist der Satz aus den Schlussfolgerungen der Meta-Analyse von Bedeutung, dass kein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen der Fluoridexposition und dem IQ von Kindern nachweisbar ist, wenn der Fluoridgehalt im Trinkwassers weniger als 1,5 mg/L (= 1,5 ppm) ausmacht. Die durchschlagende Bedeutung dieser Feststellung ergibt sich daraus, dass in Deutschland der Grenzwert für Fluorid im Trinkwasser gemäß Trinkwasserverordnung 1,5 mg pro Liter nicht übersteigen darf [3]. Tatsächlich liegt die Fluoridkonzentration im Trinkwasser in Deutschland bei etwa 90 % der Trinkwässer unter 0,3 mg Fluorid pro Liter [4]. Das bedeutet, dass jegliche Schlussfolgerungen aus der diskutierten Publikation für Deutschland keine Bedeutung haben.

Diese Einschätzung wird durch eine Studie aus Odense in Dänemark bekräftigt. Dort beträgt der Fluoridgehalt im Trinkwasser 0,2–0,3 ppm und entspricht damit den für Deutschland angegebenen Werten. Der Fluoridgehalt in Zahnpasten für Kinder beträgt in Dänemark wie in Deutschland 1000 ppm [5]. In dieser Untersuchung haben sich die kognitiven Fähigkeiten der Kinder als vollkommen unabhängig vom Fluoridgehalt im Urin der werdenden Mutter erwiesen [6].

Die in der Meta-Analyse als Konsequenz der höheren Fluoridgehalte beschriebenen IQ- Abweichungen sind sehr gering, so dass eine klinische Relevanz kritisch zu hinterfragen ist. Laut der Publikation ist ein um 1 mg Fluorid pro Liter Urin erhöhter Fluoridgehalt mit einer Verringerung des IQ um 1,63 Punkte verbunden. Bei den Studien mit geringem Verzerrungsrisiko ist die Verringerung mit 1,14 Punkten noch niedriger. Zur Einordnung sei erläutert, dass jeder IQ-Test seinen Mittelwert bei 100 Punkten hat. Als normal intelligent gelten Personen mit IQ-Werten zwischen 85 und 115 [7]. Die hieraus ableitbare mangelnde Relevanz der errechneten Zusammenhänge wird auch von den Autoren der Publikation wahrgenommen.

Eine weitere aktuelle Studie kommt zu der Schlussfolgerung, dass eine Fluoridexposition in der frühen Kindheit nicht negativ mit der kognitiven Neuroentwicklung verbunden ist [8]. Es handelt sich um eine bevölkerungsbezogene Longitudinalstudie aus Australien. Bei etablierter Trinkwasserfluoridierung wird hier bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter ab 16 Jahren nachgewiesen, dass deren kognitive Entwicklung nicht eingeschränkt ist. Damit bestätigt die Arbeitsgruppe eine Schlussfolgerung, die sie zuvor bereits bei Kindern aufgezeigt hatte [9]. Autor:

 

Statement der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahnmedizin (DGKiZ) vom 15.01.2025 https://www.dgkiz.de/news.html

1. Taylor KW, Eftim SE, Sibrizzi CA et al. (2025) Fluoride eposure and children’s IQ scores: A systematic review and meta-analysis. JAMA Pediatr: doi:10.1001/jamapediatrics.2024.5542

2. Kumar JV, Moss ME, Liu H et al. (2023) Association between low fluoride exposure and children’s intelligence: a meta-analysis relevant to community water fluoridation. PublicHealth 219:73-84

3. Bundesgesetzblatt (2023) Zweite Verordnung zur Novellierung der Trinkwasserverordnung.https://www.dvgw.de/medien/dvgw/wasser/verordnung/trinkwasserverordnung-2023.pdf (Zugriff 14.1.2025)

4. Bundesinstitut Für Risikobewertung (Bfr) (2005) Durchschnittlicher Fluoridgehalt in Trinkwasser ist in Deutschland niedrig. https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/durchschnittlicher_fluoridgehalt_in_trinkwasser_ist_in_deutschland_niedrig.pdf (Zugriff 25.1.2025)

5. Schiffner U (2024) Sicherheit der Anwendung fluoridhaltiger Kinderzahnpasten. Oralprophylaxe Kinderzahnmed 46:86-89

6. Grandjean P, Meddis A, Nielsen F et al. (2024) Dose dependence of prenatal fluoride exposure associations with cognitive performance at school age in three prospective studies. Eur J Public Health 34:143-149

7. Urbina S (2011) Tests of Intelligence. In: Sternberg RJ, Kaufman SB (eds) The Cambridge Handbook of Intelligence. Cambridge %niversity Press, Cambridge, p 20-38

8. Do LG, Sawyer A, John Spencer A et al. (2024) Early childhood exposures to fluorides and cognitive neurodevelopment: A population-based longitudinal study. J Dent Res: doi:10.1177/00220345241299352

9. Do LG, Spencer AJ, Sawyer A et al. (2023) Early childhood exposures to fluorides and child behavioral development and executive function: A population-based longitudinal study. J Dent Res 102:28-36

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