Zahnmedizin

Jeder vierte Verdacht wird bestätigt – hohe Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern

Im vergangenen Jahr 2021 hat der Medizinische Dienst über 13.000 Sachverständigengutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt – 1.081 Fälle davon stammten aus der Zahnmedizin. Der Anteil der bestätigten Fehler in den Gutachten bewegt sich auf unverändertem Niveau: In ungefähr jedem vierten Fall bestätigen die Gutachterinnen und Gutachter, dass ein Fehler mit Schaden vorlag. In jedem fünften Fall war der Fehler auch Ursache für den erlittenen Schaden. Nur wenn die Kausalität bestätigt wird, haben Betroffene Chancen auf Schadensersatz.

Dr. Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Bund: „Die Fallzahlen suggerieren vielleicht, dass es sich um ein Randproblem handelt. Epidemiologische Studien zeichnen jedoch ein völlig anderes Bild: Sie kommen zu dem Ergebnis, dass ein Prozent der Krankenhausfälle von Behandlungsfehlern betroffen sind. Experten gehen davon aus, dass nur etwa drei Prozent aller vermeidbaren unerwünschten Ereignisse nachverfolgt werden. Die Dunkelziffer unentdeckter Behandlungsfehler liegt deutlich über dem, was unsere Begutachtungszahlen zeigen.“

In den chirurgischen Fächern und in Kliniken werden am meisten Vorwürfe erhoben

Zwei Drittel der Vorwürfe (8.690) bezogen sich auf Behandlungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern. Ein Drittel (4.339) betraf Behandlungen durch eine niedergelassene Ärztin oder einen niedergelassenen Arzt. Eine wesentliche Ursache für diese Verteilung ist, dass sich die meisten Behandlungsfehlervorwürfe auf operative Eingriffe beziehen. Da Operationen vorwiegend in Kliniken stattfinden, ist dieser Sektor häufiger von einem Behandlungsfehlerverdacht betroffen.

Fehler gibt es in vielen Fachgebieten und bei unterschiedlichsten Eingriffen

Schaut man sich die Vorwürfe verteilt auf die Fachgebiete an, ergibt sich folgendes Bild: 30 Prozent aller Vorwürfe (3.909 Fälle) bezogen sich auf die Orthopädie und Unfallchirurgie; 12,3 Prozent auf die Innere Medizin und Allgemeinmedizin (1.608 Fälle), 8,7 Prozent auf die Frauenheilkunde und Geburtshilfe (1.133 Fälle), 8,7 Prozent auf die Allgemein- und Viszeralchirurgie (1.130 Fälle), 8,3 Prozent auf die Zahnmedizin (1.081 Fälle) und 5,7 Prozent auf die Pflege (750 Fälle).

[!] Eine Häufung von Vorwürfen in einem Bereich sagt nichts über die Fehlerquote oder die Sicherheit in dem jeweiligen Gebiet aus. Häufungen zeigen aber durchaus, dass Patientinnen und Patienten auf Behandlungsergebnisse reagieren, wenn diese nicht ihren Erwartungen entsprechen.

Prof. Dr. med. Astrid Zobel, Leitende Ärztin Medizinischer Dienst Bayern: „ Erlebt eine Patientin nach einer Knieoperation zum Beispiel, dass ihre Zimmernachbarin, die ebenfalls ein neues Knie erhalten hat, viel schneller wieder auf die Beine kommt, dann kann das zu einem Behandlungsfehlerverdacht führen. Weil Fehler bei Operationen von Patienten leichter erkannt werden können, liegt der Fokus der Behandlungsfehlervorwürfe häufiger auf Operationen als auf anderen Therapien, als zum Beispiel Medikationsfehlern.“

Immer wieder: Never Events

Sieht man sich die Begutachtungsstatistik an, dann fällt auf, dass wir Jahr für Jahr die gleichen, häufig schwerwiegenden, vermeidbaren Schadensereignisse finden: Never Events sind seltene Einzelereignisse, die eigentlich nicht vorkommen dürfen. Never Events spielen eine besondere Rolle in der Sicherheitskultur. Zu solchen Ereignissen gehören Patienten- und Seitenverwechslungen ebenso wie im Körper vergessenes OP-Material oder Medikamentenverwechslungen: So wurde ein 39-jähriger Mann mit einer Schleimhautwucherung im linken Knie anstatt im rechten operiert. Bei einer 47 Jahre alten Frau mit Gebärmutterhalskrebs wurde bei der Operation ein OP-Tuch im Bauchraum vergessen. Beide mussten erneut operiert werden. Bei einer anderen Patientin wurden Medikamente verwechselt ─ sie erhielt Morphin anstatt Cortison und erlitt deshalb einen Kreislaufkollaps.

„Wenn solche Fehler passieren, dann weist das nicht auf das Versagen Einzelner hin“, erläutert MD-Chef Dr. Gronemeyer : „Never Events zeigen vielmehr klar und deutlich, dass Risiken im Versorgungsprozess bestehen und die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort unzureichend sind. Deshalb sind Never Events für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen von zentraler Bedeutung.“ Gronemexer fordert ein Meldesystem, in dem die Never Events vertraulich und anonym gemeldet werden können. Meldungen müssen völlig losgelöst von haftungsrechtlichen Konsequenzen erfolgen und dürfen ausschließlich der Verbesserung der Patientensicherheit dienen.

Pressekonferenz des Medizinischen Dienstes, Berlin, 30.06.2022