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02.05.2012·Kostenerstattung Ablehnung der Kostenübernahme für ein Implantat bei Freiendsituation: Wie kann man reagieren?

·Kostenerstattung

Ablehnung der Kostenübernahme für ein Implantat bei Freiendsituation: Wie kann man reagieren?

| Private Krankenversicherungen haben in den letzten Jahren die Erstattung bezüglich der Anzahl von Implantaten eingeschränkt. Dazu ein Beispiel: Bei einem Patienten besteht eine Freiendsituation von 45 bis 48. Vorgesehen sind drei Implantate in regio 45, 46 und 47 mit späterer Einzelkronenversorgung. Nach Weitergabe des Therapieplans an eine private Krankenversicherung im Februar 2012 antwortet diese: „Einen Teil der Leistungen des Kostenvoranschlages können wir Ihnen nicht zusagen. Die Gründe hierfür haben wir in der Anlage zusammengefasst.“ Nachfolgend zeigen wir auf, welche Argumente die Krankenversicherung anführt und wie Sie reagieren können.|

Die Gründe der Krankenversicherung

Die Versicherung schreibt: „Die Auswertung ergab, dass die medizinische Notwendigkeit für das Implantat regio 46 nicht gegeben ist. So sehen wir eine implantatgetragene Brücke von 45-47 als medizinisch notwendig an. Die Kaufunktion wird hierdurch wieder vollständig hergestellt. Bei unserer Entscheidung orientieren wir uns an den Empfehlungen der Konsensuskonferenz Implantologie. Die Kosten für das Implantat regio 46, deren Prothetik, jeweils einschließlich der im Zusammenhang stehenden Vor- und Nachbehandlungen sowie der entsprechenden Material- und Laborkosten, können wir daher nicht zusagen. Wir sagen Ihnen daher zwei Implantate sowie eine implantatgetragene Brückenversorgung 45 auf 47 nach den Ziffern 5000 GOZ (Pfeilerkrone auf Implantat) und 5070 GOZ (Brückenglied) sowie die entsprechenden Laborkosten in tariflichem Umfang zu.“

Wie kann man diesem Schreiben begegnen?

Seit einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. März 2003 (Az: IV ZR 278/01, Abruf-Nr. 030948) kann eine private Krankenversicherung eine implantatgetragene Versorgung nicht mehr unter Bezugnahme auf die damit verbundenen höheren Kosten im Vergleich zu einer konventionellen prothetischen Alternativversorgung ablehnen. Nach § 1 Abs. 2 der GOZ darf der Zahnarzt Vergütungen nur für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst für eine notwendige zahnärztliche Versorgung erforderlich sind. Werden Leistungen auf Verlangen des Patienten durchgeführt, die nicht medizinisch notwendig sind, so werden diese schriftlich im Vorfeld der Behandlung vereinbart und auf dem Therapieplan sowie auf der Rechnung explizit ausgewiesen (§ 1 Abs. 2 und § 10 Abs. 3 GOZ).

 

Nach herrschender Rechtsauffassung ist eine Behandlungsmaßnahme medizinisch notwendig, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und anerkannten ärztlichen Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (Bundesgerichtshof, Urteile vom 29. November 1978, Az: IV ZR 175/77, und vom 29. Mai 1991, Az: IV ZR 151/90). Der Bundesgerichtshof entschied, dass die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit einem neutralen Sachverständigen obliegt (29. November 1978, Az: IV ZR 175/77). Solche neutralen Sachverständigen werden von Zahnärztekammern oder Gerichten bestellt. Wenn eine private Krankenversicherung ihre Leistungspflicht einschränken will, ist sie dahingehend darlegungs- und beweispflichtig, dass das Maß der medizinischen Notwendigkeit überschritten ist (OLG Hamm, 9. September 1990, Az: 20 W 35/90).

 

Es bleibt dem Patienten in Absprache mit dem behandelnden Zahnarzt überlassen, für welche der möglichen therapeutischen Alternativen er sich entscheidet, um die notwendige Versorgung vorzunehmen. Der Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum ist auch von dem in Deutschland erreichten Versorgungsstandard bestimmt. Ein Privatpatient hat sich bewusst für eine private Krankenversicherung entschieden, damit ihm nicht nur ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche (zahn-)medizinische Leistungen wie in der gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung stehen (§ 12 SGB V).

 

Beim oben geschilderten Behandlungsfall wird nicht die Implantat-Therapie an sich, sondern die Anzahl der vorgesehenen Implantate moniert. Nach Ansicht der kostenerstattenden Stelle stellt die geplante Therapie eine Überversorgung dar, die das Maß des medizinisch Notwendigen überschreitet. Der Patient ist als Versicherter zum Nachweis des Versicherungsfalles (hier: fehlende Zähne mit 1:1-Implantatersatz zuzüglich Prothetik) gegenüber seiner Krankenversicherung verpflichtet. Da fehlende Zähne eine Krankheit darstellen, besteht eine medizinische Notwendigkeit, die die Versicherung zur Leistung verpflichtet.

 

Das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde vom 31. März 1952 enthält die folgende Aussage: „Als Krankheit ist jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen.“ Zur Einschätzung des Fehlens von Zähnen als Krankheit wurden vom Bundessozialgericht bereits die folgenden Urteile gefällt: 5. April 1974, Az: 9 RV 54/73 ; 24. März 1977, Az: 10 RV 71/76 ; 19. Juni 2001, Az: B 1 KR 4/00 R; 26. Februar 2003, Az: B 8 KN 9/01 KR R; 13. Juli 2004, Az: KR 37/02 R.

Reduktion der Anzahl an Implantaten

Wenn eine Versicherung die Anzahl an Implantaten begrenzt, dann sollte der Patient auf einer schriftlichen Bestätigung seiner Krankenversicherung bestehen, dass eine reduzierte Anzahl an Implantaten in seinem Fall medizinisch ausreichend ist und die gleichfalls reduzierte prothetische Versorgung eine auf Dauer optimale Lösung für ihn darstellt, die keine Nachteile im Hart- und Weichgewebe sowie dem gesamten Kausystem bewirkt.

Konsensuskonferenz Implantologie

Der Bundesverband der implantologisch tätigen Zahnärzte (BDIZ EDI) hat im September 2008 die Indikationsklassen für Regelfallversorgungen in der Implantologie überarbeitet. Diese Indikationsklassen sollen für Zahnärzte, Gutachter und private Kostenerstatter als Richtschnur bei der Beurteilung von Therapieplänen, Rechnungen und Begutachtungen dienen. Andere Berufsverbände und Fachgesellschaften erstellten parallel eigene Indikationsklassen, die von denen des BDIZ EDI in einzelnen Punkten abweichen. Es handelt sich dabei in beiden Fällen um Empfehlungen, nicht um gesetzliche Vorschriften.

Indikationsklassen und medizinische Gründe für Implantate

In den Indikationsbeschreibungen sind Empfehlungen zur Mindestanzahl von Implantaten abgegeben. Die definitive Anzahl der Implantate richtet sich jedoch stets nach der jeweiligen individuellen Situation – wie zum Beispiel:

 

  • der (strategischen) Positionierungsmöglichkeiten der Implantate
  • dem eventuellen Restzahnbestand
  • der Anzahl der Restzähne und prothetische Versorgung
  • dem PAR-Befund
  • der Krafteinleitung in den Kiefer
  • den funktionellen Aspekten (Bruxismus, Kiefergelenksproblematik etc.)
  • der Belastbarkeit der knöchernen Verhältnisse
  • den anatomischen Gründen (Atrophiegrad, Knochendichte etc.)
  • der Art der zu verwendenden Implantate
  • der Abhängigkeit von Länge, Durchmesser, Form und Oberfläche sowie
  • der prothetisch sinnvollen Zielsetzung

 

Die Entscheidung einer medizinisch begründeten und nachvollziehbaren Anzahl an Implantaten kann nur von dem behandelnden Zahnarzt nach ausführlicher Anamnese und Befundung im jeweiligen Einzelfall in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Patienten vorgenommen werden.

 

Die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist ausschließlich approbierten Personen vorbehalten. Aussagen von Sachbearbeitern zur medizinischen Notwendigkeit stellen eine unerlaubte Ausübung der Zahnheilkunde dar. Die private Krankenversicherung ist verpflichtet, im vereinbarten Umfang Aufwendungen für krankheitsbedingte medizinisch notwendige Heilbehandlungen zu erstatten. Dies geht aus § 192 Abs. 1 Versicherungs-Vertrags-Gesetz (VVG) hervor.

 

Der Versicherungsnehmer hat das Recht, den Namen des beratenden Zahnarztes oder Gutachters zu erfahren (siehe dazu das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Juni 2003, Az: IV ZR 418/02; Abruf-Nr. 031610 in pi.iww.de) sowie seine Stellungnahme in Ablichtung zur Verfügung gestellt zu bekommen (§ 202 VVG), die auch nach Abtretung der Rechte an den behandelnden Zahnarzt übermittelt werden kann.

 

Weiterführender Hinweis

  • Beachten Sie zu dieser Thematik auch die Beiträge „Indikationsklassen zur Implantattherapie: Wie viele Implantate im Regelfall zulässig sind“ in PI Nr. 3/August 2010, S. 7, „Inwieweit ist der Zahnarzt haftungsrechtlich an Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungengebunden?“ in derselben Ausgabe, S. 11, sowie „Behandlungsvertrag mit Privatpatienten: Rechtliche Struktur und Konsequenzen“ in PI Nr. 3/März 2011, S. 7.