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03.05.2011 |Kostenerstattung Wie viele Zähne bzw. Implantate braucht der Mensch?

03.05.2011 |Kostenerstattung

Wie viele Zähne bzw. Implantate braucht der Mensch?

In den vergangenen Jahren wurden Indikationsklassen für Regelfallversorgungen in der Implantologie beschrieben. Sie dienen als Richtschnur bei der Beurteilung von Therapieplänen, Rechnungen und Begutachtungen. Es handelt sich dabei um Empfehlungen, nicht um gesetzliche Vorschriften (siehe „Praxis Implantologie“ Nr. 8/2010, S. 7 f.). Eine Kostenerstattung erfolgt jedoch nicht nur nach diesen Empfehlungen. Insbesondere Zahnzusatzversicherungen lehnen eine Kostenbeteiligung bei Implantaten im Seitenzahnbereich unter Verweis auf wissenschaftliche Untersuchungen ab.  

Studie „Bedarfsentwicklung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020“

Die Fachgesellschaft Deutsche Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien e.V. (DGPro – damals DGZPW) hat im November 2000 ein Gutachten bei der I+G Gesundheitsforschung in München in Auftrag gegeben, das die „Bedarfsentwicklung für prothetische Leistungen in der Zahnheilkunde bis zum Jahr 2020“ analysieren sollte. Im September 2002 wurde eine universitäre Untersuchung publiziert, die sich mit der Frage „Wie viele Zähne braucht der Mensch?“ auseinandersetzte. Abgesehen von den Weisheitszähnen hat der Mensch 28 Zähne – aber muss jeder ersetzt werden, wenn er eines Tages verloren geht? Im Auftrag der DGPro wurden die Ergebnisse in der genannten Studie veröffentlicht. 

Die „Top 20“erfüllen die wichtigsten Aufgaben

Mehrere Untersuchungen führten zum Schluss: Es geht zur Not auch ohne hintere Backenzähne. Die wichtigsten Aufgaben erfüllen die „Top 20“, die zentralen zehn Zähne (Frontzähne sowie erster und zweiter kleiner Prämolar) im Ober- und Unterkiefer – allerdings nur, wenn sie gesund bzw. funktionstüchtig restauriert sind. Mit dieser Konstellation waren die meisten Aufgaben der Zähne gut abzudecken. Die Frontzähne stellen vor allem das Abbeißen, das Sprechen und die Ästhetik sicher, die Okklusion bleibt stabil, die Funktion des Kiefergelenks wird nicht beeinträchtigt. Um auch noch das Kauen zu ermöglichen, reichten den meisten Untersuchten ihre Prämolaren.  

 

„Wir bezeichnen dies als sogenannte ´verkürzte Zahnreihe´“, sagt dazu Prof. Dr. Thomas Kerschbaum. Zitat: „Es war wichtig, diese Frage zu klären, um im Falle enger finanzieller Grenzen des Patienten bei Zahnersatzbehandlung die richtigen Prioritäten setzen zu können.“ Man dürfe allerdings nicht denken, generell seien mehr als 20 Zähne und entsprechender Zahnersatz schlicht überflüssig oder Luxus: „Die verkürzte Zahnreihe ist das existenziell Notwendige wie ein Dach über dem Kopf, Brot und Wasser.“ 

 

In der Stellungnahme von Prof. Kerschbaum heißt es weiter: „In Zeiten finanzieller Not sind zuerst die ´Top 20´ zu versorgen und in bestem Funktionszustand zu erhalten. Man kann ohne Schaden zu befürchten mit der Versorgung der Molaren so lange warten, bis erkennbar ist, dass sie wirklich notwendig ist. Die Angebote der modernen Zahnheilkunde von Prävention bis Zahnersatz sind so vielfältig, dass für alle Lebenssituationen angepasste Lösungen möglich sind – eben auch dann, wenn es einem wirtschaftlich einmal nicht so gut geht.“ 

Versorgung bis zum Zahn 5 reicht für das Notwendige aus

Die Studie hat somit nicht die Aussage getroffen, dass die Versorgung von Freiendsituationen nur bis Zahn 5 erfolgen sollte oder gar zu erfolgen hat, sondern dass bei knappen finanziellen Mitteln eine Versorgung bis zum Zahn 5 eines jeden Quadranten für das existenziell Notwendige ausreicht und bei finanziell besserer Lage die fehlenden Backenzähne mit Implantaten und Prothetik versorgt werden können. Die medizinische Notwendigkeit endet somit nicht bei Zahn 5 – dafür liegen keine Entscheidungen oder wissenschaftliche Ergebnisse vor.  

BGH: Kostengesichtspunkte sind nicht zu berücksichtigen

Wenn Zahnzusatzversicherungen eine Kostenübernahme ablehnen, dann handelt es sich ganz klar um eine Ausgabenbegrenzung. Auch private Zahnzusatzversicherungen haben laut ihren Versicherungsbedingungen – soweit keine ausdrücklichen Leistungseinschränkungen enthalten sind – Kostenerstattung für medizinisch notwendige Leistungen zu erbringen. Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 12. März 2003 (Az: IV ZR 278/01, Abruf-Nr. 030589) klargestellt, dass der Begriff der medizinischen Notwendigkeit allein unter medizinischen Aspekten zu beurteilen ist und Kostengesichtspunkte nicht zu berücksichtigen sind (siehe dazu auch „Praxis Implantologie“ Nr. 5/2010, S. 4). 

 

Der Bundesgerichtshof hat in diesem Urteil die Rechte der Patienten gestärkt. Er erteilt der zuvor in der Rechtsprechung vorherrschenden Auffassung, dass eine Heilbehandlung nicht nur nach den objektiven medizinischen Befunden und wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern zusätzlich unter Kostenaspekten vertretbar sein müsse, eine klare Absage. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist die Notwendigkeit der Heilbehandlung allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen.  

 

Für die Implantat-Versorgung bedeutet dies: Eine zahnmedizinisch notwendige Implantat-Versorgung muss auch bezahlt werden.