Praxisführung

Kritisieren ohne zu demotivieren?

Fast jeder hört gerne Lob und Bestätigung, aber niemand von uns wird gerne kritisiert. Dabei braucht jeder von uns Kritik genauso wie die wohltuende Bestätigung. Wir brauchen Feedback!

von Bernd Geropp, Aachen – www.berndgeropp.de

Wenn wir uns verbessern wollen, wenn wir uns weiter entwickeln wollen, dann brauchen wir die Rückmeldung unserer Umgebung – Lob wie Kritik. Kritik, kann aber manchmal ganz schön hart sein. Es kann weh tun, es kann peinlich sein oder auch eine starke innere Abwehr in uns auslösen, wenn uns der Spiegel vorgehalten wird und wir nicht mögen, was wir da sehen.

Deshalb: Wenn Sie einen anderen Menschen kritisieren – ob im privaten oder im beruflichen – sollten Sie sich gut überlegen, wann, warum und wie Sie kritisieren und wie das, was Sie sagen bei dem Anderen ankommt.

Was ist wichtig?

Worauf sollten Sie unbedingt achten, wenn Sie kritisieren?

  • Sie sollten möglichst nicht in der Öffentlichkeit sondern nur unter 4 Augen kritisieren.
  • Kritik sollte möglichst zeitnah sein und es sollte konkret sein.
  • Sie sollten nicht zu viel auf einmal kritisieren.

Wenn Sie diese grundsätzlichen Regeln nicht beherzigen, dann ist die Gefahr sehr hoch, dass Sie mit Ihrem eigentlich gut gemeinten Feedback nicht helfen, sondern demotivieren.

Wenn Sie als Chef die grundsätzlichen Regeln des Feedbackgebens nicht beherzigen, dann ist die Gefahr sehr hoch, dass Sie mit Ihrem gutgemeinten Feedback Ihrem Mitarbeiter nicht helfen, sondern ihn demotivieren. Sie werden sein Verhalten so nicht ins Positive verändern.

Aber selbst, wenn Sie nun sagen, dass Sie diese Regeln alle beachten, kann es trotzdem sein, dass Ihr Feedback nicht ankommt. Denn es ist auch entscheidend, sich in den Kritisierten hinein zu versetzen. Auch ist wichtig, sich klar zu machen, mit welcher Intension man andere kritisiert.

Angriff auf das Selbstwertgefühl

Ganz wichtig ist es, dass man das Selbstwertgefühl des anderen respektiert. Kritik kann leider sehr schnell das Selbstwertgefühl des Kritisierten angreifen. Was meine ich damit?

Wenn zwei Menschen kommunizieren, gibt es immer zwei Ebenen: die Kopf und die Bauchebene oder anders ausgedrückt: der Verstand und das Gefühl.

Scheinbar eindeutige Aussagen oder Situationen können deshalb von verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich gedeutet werden. Die Bewertung und Interpretation des Gesagten basiert nämlich nicht nur darauf, was und wie es gesagt wird, sondern immer auch in welchem Kontext, in welcher Situation, von wem es gesagt wird und wie der andere drauf ist.

Richtig kritisieren! Wie geht es?

Nun, wenn ich jemanden kritisiere, weil ich ihm helfen will, dann muss ich mir sehr gut überlegen, wie das, was ich sage, bei ihm ankommt. Welche Assoziationen können bei dem, was ich sage bei ihm hochkommen? Besteht die Möglichkeit, dass das, was ich sage, falsch aufgenommen wird? Wenn ja, wie kann ich es vielleicht besser oder anders formulieren?

Ist der andere überhaupt in der Lage, also in der Verfassung, sich mit meiner Kritik konstruktiv auseinanderzusetzen? Vielleicht ist jetzt der falsche Zeitpunkt dafür. Wenn er gerade emotional sehr unter Druck ist oder übermüdet, dann ist es meist nicht sinnvoll zu kritisieren.

Kritik bedeutet Druck

Wenn ich jemanden kritisiere, dann setze ich ihn nämlich unter Druck – automatisch. Der Stärke des Drucks ist nicht nur von mir abhängig – von dem, was ich sage – sondern vor allem auch davon, wie der andere die Kritik aufnimmt und in welcher Verfassung er ist.

Denn er hört die Kritik und erkennt in dem Moment, dass sein Selbstbild und sein Fremdbild nicht übereinstimmt. Wenn das zum falschen Zeitpunkt kommt und derjenige nicht aufnahmebereit ist, dann merkt er, dass sein Ego angegriffen wird. Sein Selbstbewusstsein leidet. Er empfindet, dass sein Ansehen in Gefahr ist. Vielleicht hat er gerade jetzt nicht die Energie, damit richtig umzugehen.

Also verteidigt er sich. Er will sich in dem Moment nicht damit beschäftigen und sich verändern oder lernen. Er hört vielleicht gar nicht mehr richtig hin und versucht in dieser Situation nur den Angriff abzuwehren. Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Das Selbstwertgefühl verteidigen

Wenn jemand beispielsweise besonders stolz darauf ist, in seiner Arbeit keine Fehler zu machen, dann greife ich sein Selbstwertgefühl an, wenn ich ihm einen Fehler nachweise. Wenn ich ihn auf den Fehler anspreche, wird er voraussichtlich erst mal in eine Verteidigungsposition gehen. Vielleicht wird er den Fehler sogar rundweg abstreiten, selbst wenn er offensichtlich ist, denn – wie gesagt – Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

In solchen Fällen ist es wichtig, sich vor dem Kritisieren damit zu beschäftigen, was meine Kritik beim anderen auslösen wird. Wird er sich so fühlen als ob er mit dem Rücken gegen die Wand steht? Gibt es nicht vielleicht eine Möglichkeit, ihn so zu kritisieren, dass er die Kritik annehmen kann ohne sein Gesicht zu verlieren?

Zwei Arten zu kritisieren…

Nehmen wir ein banales Beispiel zur Verdeutlichung:

Mein Mitarbeiter – Herr Müller – ist sehr stolz drauf, keine Rechtschreibfehler zu machen. Er ist stolz darauf, alle Regeln der Rechtschreibung zu kennen. Heute hat er mir nun ein Schreiben an einen wichtigen Kunden zur Unterschrift vorgelegt – und ich finde einen Komma-Fehler. Der Fehler sollte möglichst vor dem Versenden an den Kunden noch korrigiert werden. Wie sage ich ihm das?

Die erste Möglichkeit wäre: „Herr Müller, danke für das Anschreiben. Allerdings hier an dieser Stelle ist Ihnen ein Fehler unterlaufen. Da fehlt das Komma. Bitte korrigieren Sie das.“

Oder ich sage: „Herr Müller, danke für das Anschreiben. Ich meine an dieser Stelle hier hat sich ein Fehler eingeschlichen. Müsste da nicht eigentlich ein Komma hin? Seit der neuen Rechtschreibreform bin ich mir da nie sicher. Könnten Sie das bitte nochmal checken?“

Der Unterschied ist für Außenstehende nicht groß und kann trotzdem eine deutlich unterschiedliche Wirkung bei Herrn Müller haben. Im ersten Fall behaupte ich klar, dass Herr Müller einen Fehler gemacht hat. Wenn er schlecht drauf ist, frustriert ihn nicht nur, dass ihm dieser Fehler unterlaufen ist, sondern dass ich ihn auch noch erkannt habe und ihm nun – aus seiner Sicht – süffisant unter die Nase halte. Selbst wenn ich das gar nicht bezwecke. Das ärgert ihn und demotiviert ihn. Das muss ich ja nicht unbedingt herausfordern.

Im zweiten Fall, sage ich, dass ich glaube, dass da ein Fehler vorliegt. Ich sage aber nicht, dass er den Fehler gemacht hat. Es kann ja sein, dass jemand anderes das Schreiben erstellt hat. Es kann auch sein, dass ich mich vertue. Ich bin nicht der Rechtschreibprofi. Er ist es. Ich lasse ihm seine Expertenrolle.

Vielleicht kommt er sogar später und sagt: „Sie hatten Recht. Da ist mir ein Fehler unterlaufen.“ Ich gebe ihm also so auch die Möglichkeit, dass er über seinen eigenen Schatten springt.

[!] Manchmal sind es Kleinigkeiten in der Wortwahl, die eine Kritik so umwandeln, dass der andere sich nicht verteidigt sondern sie annimmt ohne dass sein Selbstbewusstsein leidet. Das heißt nicht, dass das immer funktioniert. Aber ich sollte es zumindest versuchen.

Ich erhöhe mich durch Kritik an einem Anderen!

Bei jeder Kritik schwingt immer etwas von Erleuchtung mit. Ich beurteile Dich und automatisch erhöhe ich mich. Deswegen kommt Kritik häufig nicht sympathisch rüber, selbst wenn Sie noch so gut gemeint ist.

Durch meine Kritik führe ich dem anderen seine Unzulänglichkeiten vor Augen. Das kann zu Abwehrreaktionen und Minderwertigkeitsgefühlen bis hin zu Rachegelüsten führen.

Deshalb ist es so wichtig zu versuchen, Kritik wertschätzend rüberzubringen und dazu gehört, dass ich auf Befindlichkeiten des anderen bis zu einem gewissen Grad eingehe.

Das muss ich nicht aus Menschenliebe tun sondern ganz einfach aus eigenem Egoismus. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass meine Kritik angenommen wird, dass sich etwas in meinem Sinne verändert, ist einfach größer, wenn ich empathisch auf den anderen eingehe und das Selbstwertgefühl des anderen berücksichtige. Das ist gute Führung!

Verkleistern Sie die Kritik nicht!

Sie sagen jetzt vielleicht, das ist manchmal gar nicht einfach. Stimmt. Das sehe ich auch so. Denn Sie dürfen die Kritik nicht so verkleistern, dass sie gar nicht mehr wahrgenommen wird. Das ist dann der entgegengesetzte Fall: Die Kritik wird verschlüsselt und mehrdeutig formuliert. Dabei bleibt der Kritisierte im Unklaren.

Vielleicht merkt der Mitarbeiter am Verhalten des Vorgesetzten, dass etwas nicht stimmt, aber es wird nicht ausgesprochen. Der Mitarbeiter kann nur raten, was es sein könnte – und dabei kann er völlig falsch liegen. Wer klares Feedback vermeidet, braucht sich nicht zu wundern, wenn es zu Missverständnissen kommt und Konflikte gären und irgendwann eskalieren.

Warum verhalten sich Chefs so?

Warum verhalten sich Chefs manchmal trotzdem so indifferent? Warum formulieren Sie die Kritik nicht eindeutig? Sie tun es oft nicht, weil Mitarbeitergespräche und insbesondere Kritikgespräche Mühe und Energie kosten. Kritik muss ja nachvollziehbar sein und sie soll einfühlsam kommuniziert werden, wenn sich die Situation verbessern soll. Das kostet aber Zeit. Die glaubt man nicht zu haben. Da glaubt man, Wichtigeres tun zu müssen.

Viele Chefs kommen auch höflichkeitshalber nicht zum Punkt. Sie wollen nicht offen kritisieren, um den Mitarbeiter nicht zu verletzen. Man weiß ja nie, wie der Mitarbeiter auf die Kritik reagiert, selbst wenn die Kritik noch so sorgfältig und wertschätzend vorgetragen wird.

Da will der Chef doch lieber die Ruhe und Harmonie in der Abteilung nicht durch einen Konflikt stören. – Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Konflikte zu vermeiden bedeutet nicht Harmonie. Im Gegenteil: Konflikte zu vermeiden stört die Harmonie. Konflikte können Wendepunkte für ein besseres Miteinander sein!

Farbe bekennen?

Ein weiteres Problem ist: Wer Feedback gibt muss Farbe bekennen. Er muss sich festlegen. Manchen Chefs scheint es manchmal angenehmer zu sein, unverbindlich zu bleiben und zu hoffen, dass sich auch ohne, dass Sie sich kritisch äußern etwas ändert. Damit macht man dann ja selber ja auch nichts falsch. Nur, meist ändert sich halt nix. Deshalb: Tun Sie das nicht. Bekennen Sie Farbe und geben Sie wertschätzendes Feedback. Drücken Sie sich nicht davor.

Feedback braucht Vertrauen

Feedback und vor allem Kritik ist immer eine Sache des Vertrauens! Ich bin dafür verantwortlich, dass meine Kritik an anderen, als gut gemeinter Rat aufgefasst wird, als Information über das Fremdbild. Das schenke ich dem Kritisierten, um ihm dabei zu helfen, zu erkennen wie ich ihn und sein Verhalten sehe. Damit gebe ich ihm eine Chance zur Korrektur in der Zukunft.

Hier noch zwei aus meiner Sicht sehr wichtige Tipps, wenn Sie kritisieren:

  • Kritisieren Sie nie mit Wut im Bauch! Denn eine Veränderung erreichen Sie so fast nie.
  • Wenn Sie kritisieren: Stellen Sie das zukünftig wünschenswerte Verhalten in den Vordergrund und nicht den gemachten Fehler.
[!] Als Führungskraft ist es Ihre Aufgabe, Ihren Mitarbeitern zu helfen, sich weiter zu entwickeln und sich zu verbessern. Dazu müssen Sie ihnen aber konstruktives Feedback geben – und das ist gar nicht so einfach, wie wir ja eben besprochen haben.