MIH: Kreidezähne – Sind Antibiotika die Ursache?
Mindestens 450.000 Kinder in Deutschland haben Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) die behandelt werden muss. Das entspricht rund acht Prozent aller Sechs- bis Zwölfjährigen, die unter gelblich oder bräunlich verfärbten, porösen und beim Putzen schmerzenden Zähnen leiden. Das geht aus dem aktuellen BARMER-Zahnreport hervor. Den Ergebnissen zufolge gibt es einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Medikamenten und der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation, umgangssprachlich Kreidezähne genannt.
- Mit einer bundesweiten Prävalenz von etwa acht Prozent bei deutlichen regionalen Unterschieden von zwischen 3 und 15 Prozent auf Kreisebene ist MIH neben Karies die wichtigste Zahnerkrankung bei Kindern.
- Größere Verordnungsmengen mehrerer Medikamentengruppen in den ersten vier Lebensjahren stehen in einem erkennbaren Zusammenhang mit MIH. Dies betrifft die Medikamentengruppen „Respirationstrakt“, „Sinnesorgane“ und „Antiinfektiva für systemische Gabe“.
- Die Verordnung von Antibiotika in den ersten vier Lebensjahren steht in einem relevanten Zusammenhang mit MIH. Ein Dosis-Wirkungs-Zusammenhang ist vermutlich allenfalls schwach.
- Mechanismen, die dem Zusammenhang zwischen Antibiotika und MIH zugrunde liegen, können mit Routinedaten nicht aufgedeckt werden. Unklar bleibt, ob hinter den Zusammenhängen Wirkungen der Arzneistoffe oder noch unbekannte andere Faktoren stehen.
- Zusammenhänge zwischen MIH und einer erhöhten Infektanfälligkeit oder auch Einflüssen im Umfeld der Geburt konnten nicht gefunden werden.
Fazit: Die Ursachen der MIH bleiben weiter unklar. Vor dem Hintergrund des Zusammenhangs zwischen Antibiotika und MIH muss allerdings erneut auf den zu fordernden verantwortungsvollen und indikationsgerechten Einsatz von Antibiotika hingewiesen werden.
„Kinder haben häufiger Kreidezähne, wenn sie in den ersten vier Lebensjahren bestimmte Antibiotika erhalten haben. Vor diesem Hintergrund muss erneut auf deren verantwortungsvollen und indikationsgerechten Einsatz hingewiesen werden. Antibiotika sind ohne jeden Zweifel segensreich. Doch die Prämisse lautet auch hier, so viel wie nötig und so wenig wie möglich“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Prof. Dr. Christoph Straub. Bisher sei über die Entstehung der Kreidezähne nur wenig bekannt. Das mache sie besonders tückisch. Die Ernährung habe auf deren Entstehung wahrscheinlich keinen Einfluss. Regelmäßiges Zähneputzen könne Kreidezähne nicht verhindern, da die Zähne bereits geschädigt durchbrechen. Somit sei Prävention nahezu unmöglich. Für die Eltern betroffener Kinder sei das eine wichtige Botschaft. Sie haben nichts falsch gemacht!
Zusammenhang von Antibiotika und Kreidezähnen
Über mögliche Ursachen der Kreidezähne werde viel diskutiert, und es bestünden verschiedene Hypothesen dazu, so Straub weiter. Hier werde auch das mögliche Zusammenwirken von Arzneimitteln und Kreidezähnen diskutiert. Der Zahnreport habe vor diesem Hintergrund unterschiedliche Gruppen von Medikamentenverordnungen bei Kindern mit und ohne Kreidezähnen untersucht. Dabei seien auch unterschiedliche Antibiotika geprüft worden, die etwa bei Atem- oder Harnwegsinfekten zum Einsatz kämen. Hier zeige sich, dass Kinder mit Kreidezähnen in den ersten vier Lebensjahren häufig angewendete Antibiotika bis zu etwa zehn Prozent mehr verschrieben bekämen als Gleichaltrige ohne Kreidezähne. „Die Verordnung von Antibiotika steht in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Auftreten von Kreidezähnen. Allerdings ist noch unklar, wie dieses Zusammenwirken genau funktioniert. Hier sind weitere Untersuchungen erforderlich“, sagte Straub. Bei der Antibiotikavergabe sei man bereits auf einem guten Weg. So habe sich die verordnete Antibiotikagabe bei Kindern bis fünf Jahren zwischen den Jahren 2005 und 2019 mehr als halbiert. Im vergangenen Jahr sei die Menge noch einmal deutlich gesunken, wohl auch deswegen, weil die Abstands- und Hygieneregeln während der Corona-Pandemie zu weniger sonstigen Infektionen geführt hätten.
Mädchen haben häufiger Kreidezähne als Jungen
Neben der Ursachenforschung hat der Barmer-Zahnreport eine Bestandsaufnahme zum Phänomen der Kreidezähne gemacht. Betroffen sind demnach häufiger Mädchen als Jungen. Zwischen den Jahren 2012 bis 2019 hatten 9,1 Prozent der Mädchen und 7,6 Prozent der Jungen eine so schwere Form der Kreidezähne, dass sie in zahnärztlicher Behandlung waren. Darüber hinaus bekommen Kinder vergleichsweise selten Kreidezähne, wenn die Mutter zum Zeitpunkt der Geburt noch sehr jung oder schon älter als 40 Jahre alt war. Barmer-versicherte Mütter haben dagegen gut doppelt so häufig Kinder mit Kreidezähnen, wenn sie zum Zeitpunkt der Geburt zwischen 30 und 40 Jahre alt waren. „Obwohl Kreidezähne neben Karies die häufigste Zahnerkrankung bei Kindern sind, steht die Forschung dazu noch am Anfang.
Wir haben in unseren Analysen verschiedene Zusammenhänge gefunden. Die zugrundeliegenden Mechanismen und Kausalitäten können mit Abrechnungsdaten allein allerdings nicht aufgeklärt werden. Dazu bedarf es weiterer Forschung. In Kenntnis der Ursachen könnten zukünftig dann auch endlich präventive Maßnahmen möglich werden“, sagte Prof. Dr. Michael Walter, Autor des Barmer-Zahnreports und Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden.
Massive regionale Unterschiede beim Auftreten von Kreidezähnen
Den Ergebnissen des Reports zufolge gibt es beim Auftreten von Kreidezähnen nicht nur soziodemographische, sondern auch große regionale Unterschiede. Bundesweit schwanken die Betroffenenraten bei Kindern auf Stadt- und Kreisebene demnach zwischen drei und 15 Prozent. Auch auf Bundeslandebene sind die Unterschiede noch beträchtlich. Sie reichen von 5,5 Prozent in Hamburg bis hin zu 10,2 Prozent in Nordrhein-Westfalen. „Die deutlichen regionalen Unterschiede beim Auftreten von Kreidezähnen können wir noch nicht plausibel erklären. Hier sollte man nicht überinterpretieren“, sagte Walter.