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31.07.2018·Sofortimplantation „Socket Shield“: Können Wurzelreste den Verlust des Bündelknochens aufhalten?

·Sofortimplantation

„Socket Shield“: Können Wurzelreste den Verlust des Bündelknochens aufhalten?

von Wolfgang Schmid, Schriftleiter ZR ZahnmedizinReport, Berlin

| Der größte Nachteil von Sofortimplantationen ist das Risiko für postoperative Weichgeweberezessionen, vor allem im ersten Jahr nach der Implantation. Mitverantwortlich für Umbauprozesse am Kieferkamm ist der Verlust des Bündelknochens. Um diesem entgegenzuwirken, wurde die „Socket-Shield“-Technik entwickelt, bei der ein Teil der Zahnwurzel im mid-bukkalen Bereich erhalten wird. Dieser Ansatz zeigt in ersten Fallserien Erfolge ‒ die allerdings noch zurückhaltend zu betrachten sind. |

Postoperative Weichgeweberezessionen als größtes Risiko

Sofortimplantationen gelten heutzutage als „State-of-the-Art-Behandlung“ und erfreuen sich aufgrund der verkürzten Behandlungsdauer, der reduzierten Patientenmorbidität und der besseren Oberflächenqualität der Weichgewebe zunehmender Beliebtheit. Größter Nachteil ist nach wie vor das Risiko für postoperative Weichgeweberezessionen ‒ und zwar vor allem im ersten Jahr nach der Implantation. Selbst unterstützende Maßnahmen ‒ wie regenerative Techniken, das Auffüllen mit Knochenersatzmaterial, Weichgewebsaugmentationen und Sofortprovisorien zur Ausformung ‒ können postoperative Resorptionsvorgänge nicht komplett kompensieren. [1]

 

Die Zahnentfernung ist der häufigste Eingriff in der zahnärztlichen Chirurgie und zugleich Ursache für erhebliche Defektbildungen am Kieferkamm. In diesem Zusammenhang kommt dem alveolären Rahmen ‒ bestehend aus marginaler Gingiva, marginalem Alveolarknochen, parodontalem Ligament und Wurzeloberfläche ‒ besondere Bedeutung zu. Tierexperimentelle und klinische Studien haben gezeigt, dass Resorptionen nach einer konventionellen Extraktion nicht vollständig verhindert werden können und zu eingeschränkten ästhetischen Ergebnissen bei der Rekonstruktion führen.

 

Das Konzept des Alveolarrahmenerhalts hat also die Aufgabe, marginale Gingiva, Alveolarknochen, Parodontalgewebe und die angrenzende Wurzeloberfläche bei der Zahnentfernung zu erhalten. Dies ist bei einer einfachen Extraktion unmöglich, da der parodontale Faserapparat rupturiert und die Wurzeloberfläche mit dem Zahn entfernt wird.

 

Um ein abgestuftes, die Wurzeloberfläche ggf. miteinschließendes Konzept zum Erhalt des Alveolarkamms zu realisieren, muss von intern selektiv Zahnhartgewebe abgetragen werden, wie es z. B. bei der Socket-Shield-Technik von Hürzeler et al. (2010) beschrieben wurde. Diese Technik mit dem Erhalt eines bukkalen Wurzelanteils wurde aufgrund des Problems entwickelt, das durch die allfällige bukkale Resorption nach der Extraktion entsteht. Der Heilungsprozess nach Zahnentfernung zeigt offenbar eine stärkere Resorption an der bukkalen als auf der lingualen bzw. palatinalen Seite des Kieferkamms. [2]

„Socket Shield“ nach Hürzeler: So geht es!

Um den Bündelknochen auf der bukkalen Seite eines Implantats zu erhalten, wird die Implantatbohrung durch die Wurzel hindurch ausgeführt und die entstehenden Dentinfragmente ‒ vor allem die gesamte Wurzelspitze ‒ werden in einzelnen Teilen entfernt. Lediglich ein kleiner Teil im krestalen Bereich auf der bukkalen Seite wird absichtlich belassen.

 

Dr. Cristian Mihai Dinu (Universität Cluj-Napoca, Rumänien) und Kollegen beschrieben auf dem ITI World Symposium 2017 ihr Vorgehen: Unter einer Lokalanästhesie wird der koronale Teil des Zahns schonend extrahiert. Der restliche Teil der Wurzel wird in 2 Teile geteilt ‒ einer an der bukkalen Knochenwand und einer am Gaumenknochen. Der palatinale Teil der Wurzel wird extrahiert, ohne den bukkalen Teil zu berühren. Der bukkale Teil der Wurzel wird mit runden Diamantfräsern ohne Druck ‒ der zur Mobilisierung der Wurzel führen kann ‒ verdünnt. Das Implantatbett wird dann präpariert, ohne die bukkale Wurzel zu berühren. [3]

 

Durch das teilweise Belassen der Zahnwurzel im mid-bukkalen Bereich erhält das darüberliegende Gewebe ‒ und vor allem der Bündelknochen ‒ quasi die biologische Information, dass das parodontale Attachment intakt bleibt, als sei der Zahn noch an Ort und Stelle. Klinische Erfahrungen haben gezeigt, dass dadurch bisher unerreichte ästhetische Resultate im Rahmen von Implantatbehandlungen erzielt werden können. Das ist vermutlich der Grund für die zunehmende Popularität bei vielen Klinikern. Besonders zu beachtende Vorteile sind neben dem ästhetischen Potenzial die reduzierte Invasivität, die geringeren Kosten und die niedrigere Patientenmorbidität, weil auf Augmentationen und Ersatzmaterial komplett verzichtet werden kann. [4]

 

Wie bei jeder neuen Technik muss auch das Prinzip der Socket-Shield-Technik im Sinne der Patienten kritisch hinterfragt werden: Das Belassen von Wurzelteilen erscheint auf den ersten Blick fraglich. Daten aus Tierversuchen zeigten aber gute Ergebnisse und auch klinische, wissenschaftlich dokumentierte Daten sind zunehmend verfügbar.

Zunehmend Daten aus klinischen Studien erhältlich

So untersuchten Hinze et al. in einer prospektiven Kohortenstudie, ob die Sofortimplantation und sofortige provisorische Versorgung in Verbindung mit der Socket-Shield-Technik zu einem stabilen Weichgewebsvolumen am eingesetzten Implantat führen. Patienten mit Indikation für ein Einzelzahnimplantat erhielten ‒ nachdem das Socket-Shield-Verfahren durchgeführt war ‒ ein Sofortimplantat und eine provisorische Versorgung. In die Studie wurden 15 Patienten aufgenommen (Durchschnittsalter von 49,2 ± 11,9 Jahren).

 

Alle Implantate heilten unauffällig ein. In keinem Fall wurde eine Exposition des Wurzelschilds beobachtet. Die Veränderung des Weichgewebsvolumens ‒ bewertet mit der mittleren Abstandsveränderung ‒ war in allen Fällen < 0,5 mm (-0,07 ± 0,16; Bereich -0,37 bis +0,32). Beobachtet wurde ein leichter, aber statistisch signifikanter Einfluss der vestibulären Knochenwanddicke auf die Veränderung des Weichgewebsvolumens (β = 0,25; p = 0,037). Kein Einfluss konnte für die apikale Knochenhöhe, die Breite des gingivalen Gewebes, die vestibuläre Rezession oder die Sondierungstiefen nachgewiesen werden. Die Patienten waren mit der Behandlung und dem funktionellen Ergebnis hoch zufrieden und hatten keine außergewöhnlichen Schmerzen. [5]

 

Auf der Grundlage der vorläufigen Daten ergibt sich, dass der Erhalt eines vestibulären Wurzelsegments in Verbindung mit Sofortimplantation und -provisorium die Veränderung des vestibulären Kammprofils nach der Extraktion über einen kurzen Beobachtungszeitraum minimieren kann.

Die bisherigen Studien sind verhalten positiv

Obwohl vorläufige Ergebnisse einer anderen, jetzt veröffentlichten Studie von italienischen Implantologen noch unbestätigt sind, scheint die Socket-Shield-Technik eine sichere Operationstechnik zu sein, die eine Implantat-Rehabilitation mit besseren ästhetischen Ergebnissen ermöglicht. [6]

 

Doch auffallend ist bei allen Publikationen, dass Erfolge nur recht zurückhaltend gemeldet werden. Eine Übersichtsarbeit über 23 Studien zeigte bei einigen klinischen Berichten stabile Ergebnisse nach 12 Monaten. Die Studie kam denn auch zu dem Schluss, dass es schwierig sei, den langfristigen Erfolg dieser Technik vorherzusagen, bis qualitativ hochwertige Beweise vorliegen. [7]

Noch nicht reif für den klinischen Alltag

Nach Ansicht von Dr. Daniel Bäumer (München) kann die Anwendung der „Socket Shield“-Technik deshalb momentan für den klinischen Alltag noch nicht empfohlen werden. Basierend auf positiven ästhetischen Resultaten und der gegenwärtig verfügbaren Evidenz sei jedoch ein großes Potenzial erkennbar, was weitere Nachforschungen lohnend erscheinen lässt. [4]

 

Quellen

  • [1] Bäumer D et al. Innovationen für die Sofortimplantation in der ästhetischen Zone. Implantologie 2015; 23: 453-461.
  • [3] Dinu C M et al. Immediate implant placement in a high demanding esthetic case using the „Socket Shield” technique. ITI World Symposium 2017, Basel, 04.-06.05.2017.
  • [4] Bäumer D et al. „Socket Shield“: Neue Technik zur Sofortimplantation in der ästhetischen Zone. zm 2018; Heft 12 (18.06.2018).
  • [5] Hinze M et al. Volumenveränderungen um Einzelzahnimplantate nach Socket-shield-Technik: Vorläufige Ergebnisse einer prospektiven Fallserie .International Journal of Esthetic Dentistry 2018; (2): 154-179.
  • [6] Bramanti E et al. Postextraction Dental Implant in the Aesthetic Zone, Socket Shield Technique Versus Conventional Protocol. J Craniofac Surg 2018; 29 (4): 1037-1041.
  • [7] Gharpure AS eta l. Current Evidence on the Socket-Shield Technique: A Systematic Review. J Oral Implantol. 2017 Oct; 43 (5): 395-403. doi: 10.1563/aaid-joi-D-17-00118. Epub 2017 Jun 12.