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30.09.2019·Zahnarzthaftung Praxisfall: Mit fundierten medizinischen Argumenten Patientenklage ausgeräumt

·Zahnarzthaftung

Praxisfall: Mit fundierten medizinischen Argumenten Patientenklage ausgeräumt

von RAin, FAin für MedR, Wirtschaftsmediatorin Benigna Lehner, Kanzlei Benigna Lehner, München, www.benignalehner.com

| Um Patientenklagen wegen vermeintlicher Fehlbehandlung erfolgreich abzuwehren, kommt es vor allem darauf an, fachlich fundiert zu argumentieren. Dabei kann es auch erforderlich sein, Expertise aus anderen Fachgebieten einzubringen. Dies zeigt ein aktueller Fall, bei dem ein mit zehn neuen Implantaten versorgter Patient wegen vermeintlicher Behandlungsfehler Klage erhob und erhebliche Schadenersatzforderungen stellte. Nachdem der beklagte Implantologe mithilfe seines juristischen Beistands überzeugend gegen die einzelnen Klagepunkte argumentierte, zog der Patient nunmehr die Klage wegen Aussichtslosigkeit zurück. |

Der Fall

Ein 76-jähriger Patient mit teils reparaturbedürftiger Prothesenversorgung stellte sich in der Praxis des Implantologen vor. Nach Diagnostik und wiederholter Aufklärung durch A über eine festsitzende Versorgung oder Prothese entschied er sich für eine implantologisch-prothetische Versorgung. Sein Gesundheitszustand wurde überprüft und ein HKP für sechs Implantate im OK und vier Implantate im UK erstellt. Intraoperativ erfolgte beidseits ein Sinuslift mit Eigenknochenaugmentation. Alle zehn Implantate waren primärstabil. Die Testung auf eine Verletzung der Schneider‘schen Membran war negativ.

 

Zunächst war der Patient sehr zufrieden mit der Versorgung. Später stellten sich bei ihm jedoch Schmerzen im OK, in den Ohren und beim Kauen ein. Zweieinhalb Jahre nach der Behandlung machte er gegen den Implantologen Regressansprüche wegen behandlungsfehlerhafter Leistung geltend.

 

Einige Statements stützten die Patientenargumente

Streitauslösend war die Beurteilung eines anderen Zahnarztes, der zu dem Ergebnis kam, dass Behandlungsfehler vorliegen: Es bestehe eine Nonokklusion im OK und UK, die zehn Implantate seien falsch gesetzt und ein Implantat in regio 27 reiche bis in die Kieferhöhle ‒ das verursache die Ohrenschmerzen. Ein Privatgutachter C des Patienten der Universität Ulm bescheinigte eine notwendige Neuversorgung mit Kosten über 37.247,05 Euro. Ein Gutachter der DGPro bestätigt eine Nonokklusion, fehlerhafte Implantatsetzung und Kosten der Neuversorgung über 15.000 Euro.

 

Die Gutachterkommission der KZV erstellte ein Gutachten, das die Vorwürfe bestätigte. Sie erkannte den beidseitigen Sinuslift mit Eigenknochenaugmentation nicht an, da man dies auf den Röntgenbildern nicht erkennen könne. Eine 3D-Diagnostik (CT oder DVT) erschien der Gutachterkommission zur Sicherung der Diagnose nicht sinnvoll. Zudem beurteilte sie den „kompletten Zahnersatz als nicht dem allgemeinen Standard entsprechend“.

 

MKG-Chirurg bestätigte die Patientenvorwürfe nicht

Ein ebenfalls eingeschalteter MKG-Chirurg bestätigte die Patientenvorwürfe hingegen nicht. Schließlich erhob der Patient Strafanzeige nach § 203 StGB gegen den MKG-Chirurgen und verklagte den Zahnarzt.

Medizinisch exakte Aufbereitung führte zu Sinneswandel

Zwei Jahre später ‒ d. h. vor Kurzem ‒ nahm der Patient seine Klage gegen den Implantologen und die Strafanzeige gegen den MKG-Chirurgen zurück, weil er inzwischen keine Aussicht auf Erfolg mehr sieht. Entscheidend war die medizinisch exakte Aufbereitung des Falls durch die Anwältin des Zahnarztes, die die zunächst erfolgten gutachterlichen Statements als falsch entlarvte. Im Einzelnen:

 

Gutachterkommission verkannte die wahre Schmerzursache

Die Gutachterkommission hatte aufgrund eines Röntgenbilds angenommen, dass die Schneider‘sche Membran verletzt sein musste, wenn das Implantat in regio 27 in die Kieferhöhle ragt und Schmerzen am Ohr verursacht. Das Implantat im OK in regio 27 ragte zwar in die Kieferhöhle, hatte indes eine ausgezeichnete Pfeilerfunktion und war entzündungsfrei sowie osseointegriert. Es hatte die Schneider‘sche Membran nicht durchstoßen. Dennoch wurde festgestellt, dass wegen des „zu langen Implantats“ und der Nonokklusion eine „Neuanfertigung der gesamten Suprakonstruktion sinnvoll sei“. De facto war die Okklusion aber mit Einschleifmaßnahmen im OK und UK wiederherstellbar.

 

Zudem wurde die tatsächliche Schmerzursache ‒ ein Cholesteatom am Ohr i‒ nicht beachtet. Dies hatte die Korrespondenz mit den HNO-Ärzten ergeben. Demnach hatte der Patient, nachdem das Cholesteatom entfernt wurde, keine Ohrenschmerzen mehr. Die HNO-Ärzte hatten eine Kausalität der Ohrenschmerzen zur Implantatversorgung ausgeschlossen.

 

3D-Diagnostik war sinnvoll

Der beidseitige Sinuslift mit Eigenknochenaufbau war nachweisbar durch die Dokumentation eines OP-Protokolls, der beteiligten Operateure und des Kontroll-DVTs. Die 3D-Diagnostik war also sinnvoll.

 

Patient trug Implantatversorgung weiter

Trotz aller seiner Kritikpunkte trug der Patient seine Implantatversorgung während des gesamten Verfahrens weiter.

 

FAZIT | In jedem Haftungsfall ist es wichtig, die gesamten medizinischen Zusammenhänge zu würdigen ‒ und zwar ggf. interdisziplinär wie in dem geschilderten Fall durch die Hinzuziehung von HNO-Ärzten. Auch sollten Sie gutachterliche Feststellungen zu medizinischen Fragen nicht einfach hinnehmen, sondern kritisch prüfen bzw. prüfen lassen. Bei Fehlern sind diese richtigzustellen (LG Ravensburg, Az. 3 O 80/16). Sehr hilfreich kann es sein, sich in solchen Fällen juristischen Beistand zu suchen, der im Aufrollen fachmedizinischer Sachverhalte Erfahrung hat.