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02.10.2012·Arzthaftung Die Bedeutung von Spezialkenntnissen und Fortbildungen für Behandlungsfehler und -standards

·Arzthaftung

Die Bedeutung von Spezialkenntnissen und Fortbildungen für Behandlungsfehler und -standards

von Norman Langhoff, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, RBS RoeverBroenner Susat, Berlin, www.rbs-legal.de

| Ansprüche von Patienten aus ärztlicher Behandlung können sich entweder aus – hier nicht weiter thematisierten – Aufklärungsversäumnissen oder aber aus Behandlungsfehlern ergeben. Aber wann liegt ein Fehler vor? Schützt der regelmäßige Besuch von Fortbildungsveranstaltungen vor Fehlervorwürfen? Wie wirken sich – unter Umständen zertifizierte – Sonderkenntnisse haftungstechnisch aus? Der folgende Beitrag klärt auf. |

Grundsätze zum Facharztstandard

Zwischen Arzt und Patient besteht ein – dienstrechtliches – Vertragsverhältnis. Der ärztliche Heileingriff stellt einen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten dar (dieser muss daher nach entsprechender Aufklärung der Behandlung auch zustimmen). Deshalb kommt auch eine Haftung aus unerlaubter Handlung – sogenanntes Delikt – in Betracht. Für beide Haftungstatbestände gilt: Vertraglicher und deliktischer Sorgfaltsmaßstab sind identisch.

 

Wer haftbar gemacht werden soll, muss rechtlich „Schuld haben“, ihm muss also ein persönlicher Schuldvorwurf gemacht werden können. Hierbei findet im Arzthaftungsrecht jedoch ein verobjektivierter Standard Anwendung: der Facharztstandard. Der behandelnde Arzt hat für ein diesem Standard zuwiderlaufendes Vorgehen auch dann einzustehen, wenn dies aus seiner persönlichen Lage heraus subjektiv entschuldbar scheint. Auf die subjektiven Fähigkeiten des Arztes kommt es nicht an (ständige Rechtsprechung, so zum Beispiel Bundesgerichtshof am 6. Mai 2003, Az: VI ZR 259/02; Abruf-Nr. 031471).

 

Der Behandlungsstandard ist grundsätzlich auf das jeweilige Fachgebiet des behandelnden Arztes begrenzt. Wer allerdings fachfremd tätig wird, muss sich – unabhängig von anderweitigen berufs- und abrechnungstechnischen Restriktionen (zum Beispiel Begrenzung auf das Fachgebiet) – auch an dem für dieses Gebiet geltenden Standard messen lassen.

 

Ein Behandlungsfehler liegt immer dann vor, wenn dasjenige versäumt wird, was nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis im Zeitpunkt der Behandlung geboten war. Hierbei gilt, dass auch ältere Behandlungsmethoden durchaus (noch) ein standardgemäßes Vorgehen darstellen können. Eine Behandlung lege artis stellt sich in der Regel – auch wegen der ärztlichen Therapiefreiheit – als Korridor mehrerer Möglichkeiten dar, der im Einzelfall durch die konkreten Umstände auch eingeschränkt sein kann. Der Aspekt der Berücksichtigung von Richt- und Leitlinien auf die Bestimmung des Facharztstandards soll an dieser Stelle erwähnt, aber nicht weiter vertieft werden. Von Fachgesellschaften publizierte Leitlinien konstituieren jedenfalls nicht automatisch den geltenden Facharztstandard.

 

Bedeutsam ist vor allen Dingen eines: Der Behandlungsstandard ist dynamisch. In einem Arzthaftungsprozess ist immer der zum Behandlungszeitpunkt maßgebliche Behandlungsstandard entscheidend. Zum Zeitpunkt eines Gerichtsverfahrens kann also – ohne Bedeutung für das Verfahren – (schon) etwas anderes als zum Behandlungszeitpunkt gelten. Wird bereits nach bestimmten Standards vor deren Etablierung verfahren, so wirkt sich dies aber jedenfalls zugunsten des Arztes aus.

 

Schon aus dem Umstand, dass der geforderte Facharztstandard dynamisch ist, folgt, dass der Nachweis des Besuchs von Fortbildungsveranstaltungen zum Pflichtprogramm zählt. Jeder Arzt ist daher verpflichtet, sich über die aktuellen fachspezifischen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. Hierzu zählt die Rechtsprechung beispielsweise das regelmäßige Studium einschlägiger Fachzeitschriften (so das OLG Koblenz im Urteil vom 20. Juni 2012, Az: 5 U 1450/11, Abruf-Nr. 122296: „Ein Arzt ist verpflichtet, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden. In führenden Fachzeitschriften publizierte neue Erkenntnisse muss er zeitnah im Berufsalltag umsetzen, wenn sie wissenschaftlich gesichert sind.“). Von einem niedergelassenen Arzt wird die Kenntnis von Spezialveröffentlichungen oder ausländischer Fachliteratur jedoch nicht gefordert (OLG München am 1. April 1999, Az: 1 U 2676/95).

 

Die regelmäßige Fortbildung ist jedoch nicht nur im Eigeninteresse geboten, sondern auch berufs- und vertragsarztrechtliche Verpflichtung. So ist der Zahnarzt gemäß den Berufsordnungen der Landeszahnärztekammern „verpflichtet, sich in dem Umfange beruflich fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Entwicklung der zur Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist“ (§ 5 Musterberufsordnung Bundeszahnärztekammer). Unter dem Gesichtspunkt der Qualitätssicherung ist auch vertragsarztrechtlich eine nahezu wortgleiche Fortbildungsverpflichtung etabliert worden (§ 95d SGB V).

 

Der Fortbildungsnachweis ist jeweils durch Fortbildungszertifikate zu belegen. Durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen kann aber der Nachweis einer im konkreten Streitfall lege artis durchgeführten Behandlung nicht geführt werden. Im Arzthaftungsprozess ist immer das Ergebnis eines medizinischen Sachverständigengutachtens ausschlaggebend.

Spezialkenntnisse und Zusatzqualifikationen

Während – zum Beispiel durch Fortbildungsveranstaltungen erworbene – zertifizierte Zusatzkenntnisse im Rahmen der Außendarstellung zunehmend Bedeutung haben können, haben sie in haftungsrechtlichem Kontext eher eine Erhöhung des Standards zur Folge. Wer nämlich aufgrund erworbener Zusatzqualifikationen über Spezialkenntnisse verfügt, hat diese auch einzusetzen. Dabei macht es laut Bundesgerichtshof „keinen Unterschied, ob diese besonderen, für die Behandlung des Patienten bedeutsamen Erkenntnisse, über die der Arzt verfügt, aus der konkreten Behandlung gerade dieses Patienten herrühren oder auf abstrakter Kenntniserlangung – etwa durch ärztliche Fortbildung – beruhen“ (Urteil vom 24. Juni 1997, Az: VI ZR 94/96). Somit wird derjenige, der besondere Kompetenz für sich nach außen in Anspruch nimmt, auch höhere Anforderungen an sein Tun akzeptieren müssen.