29.11.2012·Augmentation Vermindertes Knochenangebot: Was kann man tun?
·Augmentation
Vermindertes Knochenangebot: Was kann man tun?
von Wolfgang Schmid, Schriftleiter „Zahnnmedizin Report, Berlin
| Eine erfolgreiche Implantatversorgung erfordert ein stabiles Fundament. Nur eine ausreichend dimensionierte und vitale Knochenbasis sichert eine ungestörte Osseointegration der Implantate sowie den funktionalen und ästhetischen Langzeiterfolg. Oft muss der Aufbau fehlenden Knochens die Implantation begleiten. Es folgt ein Überblick über aktuelle Entwicklungen. |
Knochentraining statt langer Einheilzeit
Aus der Orthopädie liegen viele Untersuchungen vor, die belegen, dass sich eine Verbesserung von strukturgeschwächten Knochenstrukturen nur über Belastungseinflüsse erreichen lässt. Wissenschaftler der Universität Frankfurt testeten den Erfolg eines Knochentrainings des Alveolarknochens in Form einer unterschwelligen Belastung durch deutliche okklusale Reduktion für sechs Wochen. Broseta Callado et al. konnten zeigen, dass eine vorsichtige frühzeitige Dynamisierung eines strukturschwachen alveolären Knochens stets zu einer Verbesserung der knöchernen Stabilität führt. Eine Beschränkung der statischen Einheilungszeit auf sechs Wochen mit anschließendem sechswöchigem Knochentraining stellt demnach eine sinnvolle Alternative gegenüber einer längeren statischen Einheilungszeit von Implantaten dar.
Knochenblockaugmentation aus der Kalotte
Patienten mit extremer Atrophie des Ober- oder Unterkiefers müssen für eine kaufunktionelle Rehabilitation mittels Implantaten meist mit autologem Knochen von extraoralen Entnahmestellen augmentiert werden. Freie Knochentransplantate vom Beckenkamm zeigen jedoch häufig hohe Resorptionsraten. Knochentransplantate aus der Kalotte stellen eine mögliche Alternative mit geringeren Resorptionsraten dar, berichten Wissenschaftler der Universität Heidelberg. Freie Knochenblocktransplantate vom Beckenkamm zeigten nach sechs Monaten einen signifikant höheren Knochenverlust von 24,16 Prozent (SD 8,47 Prozent) als Kalottentransplantate mit einer Resorption von 8,44 Prozent (SD 3,64 Prozent). Das Implantatüberleben war im Beobachtungszeitraum in beiden Patientenkollektiven identisch. Beide Verfahren stellen erfolgreiche und zuverlässige Augmentationsmethoden zur Wiederherstellung hochatropher Kiefer bei gleicher Implantatüberlebensrate dar. Dennoch zeigten Knochenblocktransplantate der Kalotte eine signifikant höhere Knochenstabilität, speziell in der frühen Wundheilungsphase.
Nachteile der autogenen Transplantate sind die Schwierigkeit eines spannungsfreien Weichgewebeverschlusses, Komplikationen und Schmerzen im Entnahmegebiet und ein teilweise schwer vorhersehbares Resorptionsverhalten des Transplantats. Alternative Techniken wie die Distraktionsosteogenese oder der Kieferkammsplit benötigen keine Knochentransplantate, sind aber mit umfangreichen chirurgischen Eingriffen verbunden.
Bone Spreading und Splitting
Bei sehr schmalen Kieferkämmen kommt das Bonesplitting (Knochenspalten) zum Einsatz. Der Kieferknochen wird aufgespalten und aufgespreizt, der Spalt mit Knochenersatzmaterial verfüllt, das Implantat wie in eine Knopflochöffnung eingeführt. Ist auch die Technik des Bone Spreading und Splitting beim schmalen Kieferkamm indiziert, sollte der Kiefer trotzdem eine Mindestbreite von zwei bis drei Millimeter aufweisen, damit vestibulär als auch oral eine genügend periimplantäre Knochenstärke erhalten bleibt. Eine Restknochenhöhe von 12 mm ist obligat, da höchstens 70 Prozent der Knochenhöhe für den Splittingvorgang genutzt werden dürfen. Bei geeigneter Indikation bietet die Präparation des Implantatbetts durch die Kombination von Splitting und Spreading des Knochens die Möglichkeit, auch schmale Kiefer minimalinvasiv und sicher mit Implantaten zu versorgen. Dieses in den 1980-er Jahren entwickelte Verfahren hat sich mit reproduzierbaren Ergebnissen bewährt. Kritisch bleiben beim einseitigen Vorgehen die Blutversorgung und die Remodellierung der luxierten vestibulären Knochenwand, schreiben Baysal et al.
Nut- und Feder-Technik
Ist die Knochenbreite geringer als drei Millimeter, kommen Alveolarextensionsplastik bzw. Bone Splitting an ihre Grenzen. Eine Verbreiterung der schmalen Kieferkämme mit Knochenblöcken, die seitlich mithilfe von Osteosyntheseschrauben fixiert werden, hat Nachteile: Diese sehr kompakten und kortikalen Knochenblöcke osseointegrieren zwar, platzen aber gelegentlich beim Implantieren ab. Dr. Dr. Rainer Fangmann, Implantologe in Wilhelmshaven, zeigt, wie man mit der Nut-Feder-Technik Volumen schafft: Ein ausgedünnter kortikaler Knochenblock dient als autologe biologische Membran zur Stabilisierung des partikulären Knochenmaterials nach vestibulär. In den abfallenden Hang des atrophen Unterkiefers wird mit dem Piezotom eine Nut geschnitten. Die Kortikalislamelle wird in diese Nut eingebracht und am koronaren Rand mittels einer Osteosyntheseschraube fixiert. Im koronaren Bereich besteht ein Abstand von fünf bis sieben Millimeter zum Grat des Kieferkamms. Der Spaltraum wird mit in Eigenblut getränkten Kortikalisspänen gefüllt.
Distraktionsosteogenese
Mit der Distraktionsosteogenese (Kallusdistraktion) wird das Knochenniveau angehoben und somit eine bessere Voraussetzung für eine spätere Implantatinsertion geschaffen. Mit dem neuen Zepf-Distraktor ist eine Osteodistraktion nun auch in Fällen möglich, wo bisher marktgängige Distraktoren aufgrund mangelnder Knochenstrukturen nicht zum Einsatz kommen konnten, beschreibt einer der Erfinder, Dr. Frank Kehrer aus Backnang. In vielen Fällen könne die Osteodistraktion mit dem gentle.distract System® alternativ zur Knochentransplantation eingesetzt werden.
Osteogenese durch kieferorthopädische Extrusion
Alternativ zur Kallusdistraktion kann Knochenwachstum durch eine kieferorthopädische Extrusion angeregt und somit die nachfolgende Implantation erleichtert werden. Mit einer skelettalen Verankerung erreicht man eine vorhersagbare Einzelzahnextrusion. Durch Extrusion des Wurzelrestes wird eine Knochenneubildung im Bereich des Zahnfachs induziert. Dadurch können augmentative Verfahren – insbesondere im crestalen Bereich des Processus alveolaris – vermieden oder vermindert werden. Wissenschaftler der Universität Halle-Wittenberg urteilen, dass die skelettal verankerte orthodontische Extrusion eines Zahnes ein zeitlich überschaubares präimplantologisches Behandlungskonzept darstellt. Um Alveolarkammatrophien und crestale Knochendefekte konservativ zu verbessern, sollten die supracrestalen Faserzüge möglichst spät getrennt werden. Eine Überkompensation in der vertikalen Dimension erscheint sinnvoll, empfehlen A. Hellberg et al.
KFO-Extrusion statt Sofortimplantation nach Frontzahntrauma
Die Sofortimplantation bzw. verzögerte Sofortimplantation nach Zahntrauma stellt eine Möglichkeit dar, das aktuelle Knochen und Weichgewebeangebot zu nutzen und den Patienten unmittelbar zu versorgen. Für Heranwachsende bis 17 Jahre stellt die kieferorthopädische Extrusion eine sehr gute therapeutische Möglichkeit dar, schreiben Zahnmediziner der Universität Frankfurt am Main. Die kieferorthopädische Extrusion führt zu einer Verbesserung der Weich und Hartgewebearchitektur. Das liegt zum einen daran, dass der Alveolarknochen der Richtung der angelegten Kraft folgt. Zum anderen wirkt sich die Extrusion auch auf den mukogingivalen Komplex aus und führt zu einer Breitenzunahme der keratinisierten Gingiva. Die Nachteile einer kieferorthopädischen Extrusion sind die lange Behandlungsdauer und die ästhetische Beeinträchtigung während dieser Behandlung.
Alternativen zur Operation: Subperiostale Augmentation
Wenn der Patient keine aufwendige Operation unter Vollnarkose zum Einsatz von Augmentaten wünscht, bietet sich die subperiostale Augmentation zum minimalinvasiven Aufbau des Alveolarkamms an. Hierbei wird über eine einzige kleine Inzision ein Tunnel zwischen Periost und Knochen gebildet und ein in situ aushärtendes Knochenaufbaumaterial eingebracht. Postoperative Beschwerden sind gering, die Heilung komplikationsarm. Konnert et al. stellten bei der Implantation nach 13 bis 16 Wochen eine fortgeschrittene Knochenbildung fest. Die effiziente Osteogenese könne auf die geschützte Umgebung im Tunnel (erhaltene Mikrovaskularisation, geringes operatives Trauma, Einbluten aus der Spongiosa) zurückgeführt werden, mutmaßen die Autoren. Die subperiostale Augmentation habe das Potential, invasive Vorgehensweisen in vielen Situationen zu ersetzen. Die Patientenbelastung sei im Vergleich gering. Die Literatur zeigt, dass die subperiostale Auflagerung grundsätzlich zur horizontalen Alveolarkammaugmentation geeignet ist. Direkte Vergleiche mit Knochenblockaugmentationen, Studien mit großen Fallzahlen und fundierte Daten zum Resorptionsverhalten werden aber nötig sein, um minimalinvasive Tunnelverfahren zu etablieren.
Literatur und volltexte
- M. L. Broseta Collado,Einfluss des Knochentrainings auf das Implantatknochen Interface im kompromittierten Knochenlager. 62. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie. Bad Homburg, 17.-18. Mai 2012
- C Mertens et al.: Frühe Knochenresorption nach vertikaler Knochenblockaugmentation – eine vergleichende Studie nach Verwendung von Beckenkamm und Kalottentransplantaten. 62. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft für Kieferchirurgie. Bad Homburg, 17.-18. Mai 2012
- U Baysal et al.: Bone Splitting und Spreading als minimalinvasives Verfahren. Implantologie Journal (2012) 08: 16-19
- R Fangmann: Nut-Feder-Technik – Knochenaugmentation im Unterkieferseitenzahnbereich. ZWP Spezial (2012) 10: 10-15
- Klinische Anwendung des gentle.distract Systems nach Dr. Frank Kehrer & Dr. Ulrich Jeggle. Information der Fa, Zepf, Seitingen-Oberflacht, 2012
- A Hellberg: Präimplantologische forcierte Extrusion von Zahnwurzeln.
- E. Zantiotou at al.: Sofortimplantation und Sofortversorgung vs. kieferorthopädische Extrusion nach Wurzelquerfraktur. 85. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGKFO, Stuttgart, 26.-29. September 2012
- A Konnert: Subperiostale Augmentation zum minimalinvasiven Aufbau des Alveolarkamm
- Österreichischer Zahnärztekongress 2012, Salzburg, 20.-22. September 2012