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30.07.2010 |Haftungsrecht Inwieweit ist der Zahnarzt an Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen gebunden?

30.07.2010 |Haftungsrecht

Inwieweit ist der Zahnarzt an Leitlinien, Richtlinien und Empfehlungen gebunden?

von RA, FA für Medizinrecht Norman Langhoff, RöverBrönner, Berlin

Veröffentlichungen medizinischer Berufsorganisationen und Fachgesellschaften, die bestimmte Inhalte für das (zahn-)ärztliche Handeln zum Gegenstand haben, gibt es viele, wie der vorherige Beitrag zeigt. Doch inwieweit ist der (Zahn-)arzt daran gebunden? Was geschieht, wenn er davon abweicht? Damit befasst sich unser Beitrag. 

 

Gemeinsamer Ausgangspunkt ist die Umschreibung eines bestimmten fachlichen Standards. Anknüpfend hieran können die Verlautbarungen im haftungs- oder im versicherungsrechtlichen Kontext interessant sein. Während dieser Beitrag schwerpunktmäßig die haftungsrechtlichen Implikationen abhandelt, wird der zweite Teil auf die versicherungsrechtliche Relevanz – insbesondere im Hinblick auf die Indikationsklassen zur Implantattherapie – eingehen. 

Haftungsrechtlicher Grundsatz: Der Facharztstandard

Der Arzt schuldet dem Patienten als seinem Vertragspartner die Behandlung gemäß dem für sein Fachgebiet zum Behandlungszeitpunkt geltenden Facharztstandard. Das impliziert vor allem: 

 

  • Der Behandlungsvertrag ist Dienst- und kein Werkvertrag. Ein Behandlungserfolg ist also nicht geschuldet.
  • Der Behandlungsstandard gilt für alle fachgebietszugehörigen Ärzte objektiv – der subjektive Kenntnisstand des Behandlers ist unerheblich. Wer allerdings Spezialkenntnisse besitzt, darf sich nicht auf den „geringeren“ Standard berufen.
  • Der Facharztstandard ist dynamisch. Maßgeblich ist immer der zum Behandlungszeitpunkt geltende Standard auf der Grundlage der wissenschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnisse. Nachträgliche Erkenntnisse können sich immer nur zum Vorteil des Behandlers auswirken.
  • Der Behandlungsstandard erfordert nicht automatisch die Verwendung der aktuellsten Therapiekonzepte und apparativen Ausstattung. Eine Behandlungsmethode ist dann nicht mehr Standard, wenn sich ihre Anwendung angesichts des Wissensstandes in Praxis, Forschung und Lehre als nicht mehr vertretbar darstellt.

Leitlinien, Richtlinien, Empfehlungen: Was steht dahinter?

Medizinische Handlungsregeln können unterschiedlich kategorisiert werden. Mit Blick auf Bezeichnung und Verbindlichkeit kann wie folgt differenziert werden: 

  • Richtlinien sind Regelungen des Handelns oder Unterlassens, die von einer gesetzlich, berufsrechtlich, standesrechtlich oder satzungsrechtlich legitimierten Institution konsentiert, schriftlich fixiert und veröffentlicht werden, für den Rechtsraum dieser Institution verbindlich sind und deren Nichtbeachtung definierte Sanktionen nach sich ziehen kann.

 

  • Leitlinien sind von ärztlichen Fachgremien für typische medizinische Sachverhalte aufgestellte Regeln, die auf die qualitative Sicherung oder auf die Verbesserung des maßgeblichen Standards diagnostischen oder therapeutischen Vorgehens abzielen.

 

Leitlinien werden jeweils nach definierten Kriterien erstellt und können hinsichtlich ihrer methodischen Qualität (steigend) zwischen S1-, S2- und S3-Leitlinien unterteilt werden. Sie sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärzte zur Entscheidungsfindung in spezifischen Situationen und beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie bewährten Verfahren. Die S1-Leitlinien sind Empfehlungen einer repräsentativ zusammengestellten Expertengruppe. Die S2-Leitlinien gliedern sich in S2K- und S2E-Leitlinien; S2K-Leitlinien werden durch eine formale Konsensusfindung erstellt und S2E-Leitlinien durch eine systematische Evidenzrecherche. In den S3-Leitlinien sind all diese Elemente miteinander verknüpft. 

 

Empfehlungen und Stellungnahmen sind wie Leitlinien Beschreibungen der Möglichkeit ärztlichen Handelns oder Unterlassens, stehen aber hinsichtlich ihrer methodischen Qualität hinter Leitlinien zurück. Verkürzt ist folgende Umschreibung möglich: Richtlinien müssen, Leitlinien sollen und Empfehlungen können befolgt werden. 

Leitlinien, Richtlinien, Empfehlungen: Was folgt daraus?

Hinsichtlich der Rechtswirkungen ist eine grundsätzliche Zweiteilung vorzunehmen. Richtlinien, die auf vertrags(zahn)ärztlichen Normen beruhen, sind deshalb für den Vertrags(zahn)arzt bindend – mit der Folge, dass Verstöße, also ein Abweichen nach unten, einen Behandlungsfehler begründen. Der Standard kann aber mehr verlangen als die Richtlinien festlegen.  

 

Veröffentlichungen wissenschaftlicher Gremien – Leitlinien, Stellungnahmen oder Empfehlungen – sind aus rechtlicher Sicht nicht mit dem geltenden Facharztstandard gleichzusetzen. Sie können im prozessualen Einzelfall nicht unbesehen übernommen werden und ersetzen kein gerichtlich einzuholendes Sachverständigengutachten. Gerade S3-Leitlinien können jedoch Hinweise auf einen bestehenden Standard liefern, sodass sich ein gerichtlicher Sachverständiger mit ihnen im Rahmen seiner Begutachtung wird auseinandersetzen müssen. Der Behandler kann daher bei einem Abweichen von Leitlinien gehalten sein, dieses fachlich zu begründen, um einen Behandlungsfehlervorwurf zu entkräften.  

 

Veröffentlichungen medizinischer Berufsorganisationen und Fachgesellschaften, die bestimmte Inhalte für das (zahn-)ärztliche Handeln zum Gegenstand haben, gibt es viele, wie der vorherige Beitrag zeigt. Doch inwieweit ist der (Zahn-)arzt daran gebunden? Was geschieht, wenn er davon abweicht? Damit befasst sich unser Autor Norman Langhoff aus Belrin in seinem Beitrag.