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30.03.2017·Oralchirurgischer Eingriff Implantation mit einer totalen Vestibulumplastik: Honorar und Reaktion der PKV

·Oralchirurgischer Eingriff

Implantation mit einer totalen Vestibulumplastik: Honorar und Reaktion der PKV

| Der Fall: Im UK wurde ein umfangreicher oralchirurgischer Eingriff vorgenommen. Neben einem Kieferkammaufbau wurde eine totale Vestibulumplastik durchgeführt. Welche Leistungen und Materialien sind bei der Rechnung zu beachten und wie kann man auf ein Schreiben der PKV reagieren? |

 

  • Die oralchirurgische Rechnung

Für die erbrachten Leistungen in der Zeit vom 12.08.2016 bis 14.11.2016 gestatte ich mir, nach GOÄ unter Anwendung des § 6 Abs. 1 GOÄ und Rückgriff auf die GOZ in der gültigen Form gemäß untenstehender Aufstellung 4.148,10 Euro zu berechnen. Diagnose: Zahnloser Unterkiefer, Implantate regio 44, 42, 32, 34. Spezifikation nach GOÄ/GOZ.

Datum
Regio
Anz.
Geb.-Nr.
Bezeichnung
Faktor
Hon.
Mat.

12.08.2016

1

Z0030

Heil- und Kostenplan

2,3

25,87

14.10.2016

1

Ä60

Konsiliarische Erörterung mehrerer Ärzte

2,3

16,08

02.11.2016

1

Ä3

Eingehende Beratung

2,3

20,10

05.11.2016

1

Ä1

Beratung

2,3

10,72

1

Ä6

Vollst. Untersuchung spezielles Organsystem

2,3

13,41

1

ÄD

Zuschlag zu 1-8 für am Sa, So, Feiertag

1,0

12,82

34-44

2

Z0080

Oberflächenanästhesie

2,3

7,76

36, 46

2

Z0100

Leitungsanästhesie

2,3

18,10

36, 46

2

§ 4 (3) GOZ

Anästhetikum

2,14

UK

1

9000

Implantatbezogene Analyse

3,51)

174,01

34, 32,42, 44

4

9010

Implantatinsertion, je Implantat

Zuschlag 0530

3,51)

1.216,52

34-44

2

9100

Aufbau des Alveolarfortsatzes

2,0

606,06

35-45

1

Ä2676

Totale Mundboden-/Vestibulumplastik

3,51),2)

448,81

1

Ä445

OP-Zuschlag IV

1,0

128,23

1

Ä530

Kältepackung

2,3

3,67

1

§ 10 GOÄ

Atraumatisches Nahtmaterial

1,93

34-44

1

Labor

Laborbeleg: Einzelaufstellung für Implantate

1.033,07

1

Memb2

Biogide Membran 16 x 22

268,94

2

Ä5004

Panoramaschichtaufnahme der Kiefer

1,8

83,92

07.11.2016

1

Ä75

Ausführlicher Befundbericht

2,3

17,43

1

Porto

Versandkosten

1,45

36, 46

2

Z0100

Leitungsanästhesie

2,3

18,10

36, 46

2

§ 4 (3) GOZ

Anästhetikum

2,14

14.11.2016

36, 46

2

Z3300

Nachbehandlung

2,3

16,82

Honorar: Euro

2.838,43

Material- und Laborkosten: Euro

1.309,67

Rechnungsbetrag: Euro

4.148,10

 

Kurzbegründung beim Überschreiten des Regelsatzes: 1) Abweichende Vereinbarung nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ vorhanden; 2) Sehr schwierige Kieferkammverhältnisse, fortgeschrittene Atrophie, Bezug zur anatomischen Gestaltung des Gegenkiefers

 

Die Leistungen sind umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 14 Umsatzsteuergesetz.

Ist die Rechnung stimmig?

Nein. Der Zuschlag nach GOÄ-Nr. D am 05.11.2016 ist bei regulärer Sprechstunde an diesem Tag lediglich mit dem halben Gebührensatz berechenbar. Die PKV hat dies jedoch nicht bemerkt. Der Hinweis im Leistungstext der GOZ-Nr. 9010 auf den OP-Zuschlag Nr. 0530 ist verwirrend, da in dem Moment nicht deutlich ist, ob dieser im ausgewiesenen Betrag von 1.033,07 Euro enthalten ist. Das Anästhetikum, die Membran und die Naht sind in der Rechnung erfasst. Die Implantate, das OP-Set und das Zubehör befinden sich auf einem Laborbeleg, obwohl diese mit dem Labor nichts gemein haben. Verbrauchsmaterialien der Praxis gehören entweder auf die Rechnung oder auf einen eigenen Beleg für Praxismaterialien. Hier bietet die chirurgisch orientierte Software die Möglichkeit, alle berechenbaren Praxismaterialien auf der Rechnung – zugeordnet den jeweiligen Ziffern – im GOZ-Katalog abzubilden.

 

Die Rechnung ist ansonsten korrekt. Die nötigen Regionsangaben sind abgebildet. Begründungen für das Überschreiten des 2,3-fachen Gebührensatzes sind enthalten, wenngleich bei der Begründung „sehr schwierige Kieferverhältnisse“ keine Erläuterung genannt wurde, was konkret schwierig ist.

Die Antwort der privaten Krankenversicherung

Die Versicherung moniert folgende Gebührenziffern (Kurzform abgebildet):

  • Ä60 nicht berechenbar, da kein Konsil stattgefunden habe
  • Ä2676 nicht berechenbar neben einer Implantatinsertion
  • OP-Zuschlag Ä445 nicht ansatzfähig, da Ä2676 nicht berechenbar
  • OP-Set nicht berechenbar, da Ä2676 entfällt

 

Nach schriftlicher Entbindung von der Schweigepflicht wird der Schriftwechsel direkt mit der PKV geführt.

 

  • Antwort des Oralchirurgen an die PKV

GOÄ-Nr. 60: Da ich im Auftrag des Hauszahnarztes agiere, wird dieser in einem ausführlichen telefonischen Konsil über die Behandlungsabläufe informiert. Vorliegend fand das Konsil zwischen mir und Dr. … statt.

 

GOÄ-Nr. 2676 und GOÄ-Nr. 445: Nach umfangreichen operativen Maßnahmen, u. a. der Lagerbildung der Alveolarfortsätze, wird durch die totale Vestibulumplastik die neu geschaffene knöcherne Situation zusätzlich durch weichteilchirurgische Maßnahmen gesichert. Diese Maßnahme ist medizinisch notwendig und daher im Gebührenwerk abgebildet. Sie ist nicht Leistungsinhalt der Implantation nach GOZ-Nr. 9010. Eine Sulcusplastik hat zum Ziel, eine rückgebildete oder gar verloren gegangene Umschlagfalte bei zahnlosem Kiefer zwischen Alveolarknochen und umgebendem Weichgewebe (Mundboden, Mundvorhof) wiederherzustellen, um ausreichend befestigte Gingiva im Bereich der Implantate zu schaffen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Lebensdauer von Implantaten erwiesenermaßen wesentlich von einer „ruhigen Zone“ um die Implantate abhängig. Eine totale Vestibulumplastik ist daher ein Standardeingriff und vermag eine sogenannte „Gingiva propia“ (fest mit den Knochen verwachsenen Gewebe) zu schaffen, um die Implantate nicht durch Muskel- und Schleimhautbewegungen zu irritieren. Die Berechenbarkeit wird von der Gutachterkommission des BDIZ und zahlreichen zahnärztlichen Kommentaren ausdrücklich befürwortet und ist nach der GOZ-Nr. 9010 auch nicht ausgeschlossen.

 

 

  • Antwortschreiben der PKV (sechs Wochen später)

GOÄ-Nr. 60 – 16,08 Euro: Die Kosten wurden tariflich nacherstattet.

 

GOÄ-Nr. 2676 – 448,81 Euro: Die Berechnung der Nr. Ä2676 ist nicht sachgerecht. Da die Berechnung der zuschlagsberechtigten Leistungen aus gebührenrechtlichen Gründen entfällt, kann der Zuschlag nicht berücksichtigt werden. Sie erhalten die tariflichen Leistungen für den Zuschlag nach GOZ-Nr. 0530 (123,70 Euro) im Zusammenhang mit der GOZ-Nr. 9100. Die Differenzkosten sind nicht erstattungsfähig.

 

OP-Set – 30,22 Euro: Die Sachkosten sind nur im Zusammenhang mit Gebührenpositionen nach der GOÄ berechnungsfähig. Da die Berechnung nach der GOÄ aus gebührenrechtlichen Gründen entfällt, können die Sachkosten nicht berücksichtigt werden. Die Kosten sind nicht erstattungsfähig.

 

Der Oralchirurg ist ratlos – was jetzt?

Die Gestaltung des ersten Schreibens hat mit der Recherche bereits 40 Minuten für den Chirurgen und seine Sekretärin gedauert. Was kann man noch schreiben, um dem Patienten eine Erstattung der Differenzkosten zu ermöglichen? Alternativ kann dem Patienten erklärt werden, dass nur er eine Vertragsbeziehung zu seiner PKV unterhält und die Erstattung ggf. mit rechtlicher Hilfe durchsetzen muss. Meist bittet der Patient jedoch um erneute Unterstützung. Der Oralchirurg hat mit dem Patienten rechtskonform eine Vereinbarung der Gebührenhöhe nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ über die Nrn. 9010 und Ä2675 getroffen, sodass er rechtlich auch ohne weiteren Brief abgesichert ist.

 

  • Ergänzende Hinweise an die PKV für einen weiteren Schriftwechsel

Die sogenannte Vestibulumplastik oder Mundvorhofplastik ist eine Methode der indirekten Alveolarkammerhöhung. Das bedeutet, dass die Methode nur angewendet werden kann, wenn im Alter noch genug Kieferknochen vorhanden ist. Bei der Operationsmethode werden die am Kieferknochen ansetzenden Weichteile (Muskeln und Bänder) abgelöst und zur Kieferbasis verlagert. Der Schwund des Knochens hat eine Verminderung der keratinisierten Gingiva propria des Alveolarfortsatzes zur Folge, die ein wesentlich stärker ausgeprägtes subepitheliales Bindegewebe als die Alveolarmukosa besitzt und durch straffe Fasern fest mit dem Periost verbunden ist. Darüber hinaus hat der vertikale Knochenabbau zur Folge, dass die Muskelansätze näher an die Gingiva propria des Alveolarkamms heranrücken. Die Schrumpfung der keratinsierten Gingiva und das Übergewicht der beweglichen Alveolarmukosa sowie der unmittelbar darunterliegenden mimischen Muskulatur bildet sowohl für die herkömmliche Totalprothetik als auch für die Versorgung in Kombination mit enossalen Implantaten ungünstige Voraussetzungen.

 

Zahnärzten ist das Erbringen einer totalen Mundboden- oder Vestibulumplastik berufsrechtlich gestattet. Der Gebührentext der GOÄ-Nr. 2676 lautet: „Totale Mundboden- oder Vestibulumplastik zur Formung des Prothesenlagers mit partieller Ablösung der Mundbodenmuskulatur, je Kiefer.“ In Ihrem Schreiben vom … findet sich keine detaillierte Begründung, warum die Nr. Ä2676 nicht berechenbar sein soll. Hier steht lediglich: „Die Berechnung der Nr. Ä2676 ist nicht sachgerecht.“ Das lässt keinerlei Prüfung auf Stimmigkeit zu. Die GOÄ-Nr. 2676 kann sowohl als präprothetische als auch im Zusammenhang mit anderen chirurgischen, parodontalchirurgischen oder implantologischen Maßnahmen erbracht werden. Weder die GOZ-Nr. 9010 noch die GOÄ-Nr. 2676 enthält ein Ausschlussverbot der Kombination. Der Eingriff war einzeitig durchführbar. Eine zweite chirurgische Sitzung mit all ihren Facetten konnte dem Patienten erspart werden, was auch Einfluss auf die Rechnungslegung hatte.

 

Die durchgeführte Maßnahme war medizinisch notwendig und mit dem zugehörigen OP-Zuschlag nach GOÄ-Nr. 445 und den Einmalmaterialkosten für das OP-Set in Höhe von 30,22 Euro korrekt berechnet. Ich habe meinem Patienten empfohlen, rechtliche Schritte einzuleiten, wenn die Differenzkosten nicht erstattet werden. Meine Rechnung ist rechtskräftig und nach der einschlägigen Kommentierung korrekt.