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01.03.2013·Recht Patientenrechtegesetz: Wie können Sie sich in der Praxis auf die neuen Regelungen einstellen?

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Patientenrechtegesetz: Wie können Sie sich in der Praxis auf die neuen Regelungen einstellen?

von ZMV Birgit Sayn, Leverkusen, und Norman Langhoff, RA und Fachanwalt für Medizinrecht, RBS RoeverBroennerSusat, Berlin, www.rbs-partner.de

| Der Bundesrat hat am 1. Februar 2013 dem Patientenrechtegesetz zugestimmt, so dass es am Tag nach seiner Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt. Der Gesetzgeber will haftungsrechtliche Transparenz und Rechtssicherheit für die am Behandlungsverhältnis Beteiligten schaffen, Verfahrensrechte von Patienten stärken und eine Fehlervermeidungskultur fördern. Dabei werden vor allem die bislang allein richterrechtlich konturierten Grundsätze des Arzthaftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zusammengefasst. Wirkliche inhaltliche Neuerungen sind damit nur in vergleichsweise geringem Umfang verbunden. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, was sich geändert hat und wie Sie sich darauf einstellen können. |

Die wichtigsten Regelungen des Patientenrechtegesetzes

Nachfolgend werden die Regelungen im Überblick zusammengefasst (Fließtext: Kodifizierung geltenden Rechts; kursive Hervorhebung: inhaltliche Neuerung) und wesentliche Inhalte kommentiert.

 

Behandlungsvertrag (§ 630a und b BGB)

  • Der Behandler ist zur vereinbarten Behandlung, der Patient zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet, soweit nicht ein Dritter zur Zahlung verpflichtet ist.
  • Die Behandlung hat nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nichts anderes vereinbart ist.

Informationspflichten (§ 630c BGB)

  • Es hat eine umfassende und verständliche Aufklärung über alle wesentlichen Umstände der Behandlung und deren Verlauf (insbesondere Diagnose, voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, beabsichtigte Therapien und die im Anschluss zu erbringenden Leistungen) zu erfolgen.
  • Es hat eine therapeutische Aufklärung zu erfolgen.
  • Der Patient ist auf Nachfrage oder bei bestehenden gesundheitlichen Gefahren über Umstände, die auf einen Behandlungsfehler hindeuten, zu informieren.
  • Der Patient ist in Textform über die voraussichtlichen Kosten vor Behandlungsbeginn zu informieren, wenn die Kostenübernahme durch einen Dritten bekanntermaßen oder erkennbarer Weise nicht gesichert ist.
  • Ausnahmsweise keine Informationspflicht besteht bei besonderen Umständen, insbesondere bei unaufschiebbarer Behandlung oder ausdrücklichem Verzicht auf Information.

Einwilligung und Aufklärungspflicht (§§ 630d, 630e BGB)

  • Vor dem Eingriff ist die Einwilligung des Patienten, bei Einwilligungsunfähigkeit die eines Berechtigten einzuholen.
  • Die Aufklärung muss rechtzeitig, umfassend und verständlich sein. Die Aufklärung muss die konkrete Maßnahme und mögliche Risiken, zu erwartende Folgen sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder Therapie umfassen.
  • Ebenfalls aufzuklären ist über Alternativtherapien, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
  • Die Aufklärung muss 1. mündlich durch den Behandler oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Befähigung verfügt; ergänzende Bezugnahme auf Unterlagen in Textform ist zulässig;2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann;3. für den Patienten verständlich sein.
  • Dem Patienten sind Kopien der Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung und Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

Dokumentation (§ 630f BGB)

  • Die Dokumentation muss in zeitlichem Zusammenhang mit der Maßnahme erfolgen; sie kann in Papierform oder elektronisch geführt werden und muss mindestens zehn Jahre aufbewahrt werden.
  • Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte müssen den ursprünglichen Inhalt erkennen lassen.
  • Die Dokumentation umfasst die aus fachlicher Sicht wesentlichen Maßnahmen und Ergebnisse derzeitiger und künftiger Behandlungen, insbesondere Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen, Aufklärungen, Arztbriefe.

Einsichtnahme in die Patientenakte (§ 630g BGB)

  • Es besteht ein unverzüglich zu gewährendes Einsichtsrecht in die Patientenakte, soweit nicht erhebliche therapeutische oder sonstige erhebliche Gründe entgegenstehen.
  • Es besteht ein Anspruch auf Fertigung von Abschriften der Dokumentation gegen Kostenerstattung.

Beweislast bei Haftung für Behandlungs- und Aufklärungsfehler (§ 630h BGB)

  • Der Behandelnde hat die Einwilligung und Aufklärung zu beweisen; die Berufung auf hypothetische Einwilligung ist zulässig (Behandler beweispflichtig).
  • Sind medizinisch gebotene wesentliche Maßnahmen und Ergebnisse nicht dokumentiert oder fehlt die Patientenakte, wird vermutet, dass die Maßnahme nicht durchgeführt worden ist.
  • Es besteht eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten bei groben Behandlungsfehlern für die Ursächlichkeit eines Behandlungsfehlers bezüglich der Behandlungsfolgen.
  • Es besteht eine – widerlegbare – Vermutung eines Behandlungsfehlers bei Verwirklichung voll beherrschbarer Behandlungsrisiken.

 

Es folgen nun Erläuterungen zu einigen wichtigen Punkten:

Behandlungsvertrag und Haftungsmaßstab

Gemäß § 630a Abs. 2 BGB ist die Behandlung „nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards“ geschuldet; damit wird die Rechtsprechung zum dynamischen Facharztstandard umgesetzt, dessen Bestimmung jedoch etwas „verunklart“. In der Gesetzesbegründung wird zur Bestimmung unter Hinweis auf die Rechtsprechung auf „regelmäßig maßgebliche“ Leitlinien von Fachgesellschaften verwiesen.

 

Die Rechtsprechung zur Verbindlichkeit von Richt- und Leitlinien trägt diesen Verweis jedoch mitnichten. Nach wohl mehrheitlich vertretener Auffassung impliziert ein Verstoß gegen Leitlinien in der Regel nicht das Vorliegen eines Behandlungsfehlers; Leitlinien, Empfehlungen und insbesondere Richtlinien können sich jedoch zum Standard entwickeln. Abweichungen von Leitlinien sollten daher in der Dokumentation begründet werden.

Aufklärungs- und Informationspflichten

Die Informationspflicht enthält neben der unverändert bestehenden Aufklärung über therapeutisch erforderliches Verhalten (Sicherungsaufklärung) auch die – ebenfalls schon jetzt bekannte – wirtschaftliche Aufklärung über die Behandlungskosten. Diese hat in Textform – also beispielsweise auch E-Mail oder CD-ROM – immer dann zu erfolgen, wenn der Behandler weiß, „dass eine vollständige Kostenübernahme durch einen Dritten nicht gesichert ist oder sich dem Behandler hierfür hinreichende Anhaltspunkte ergeben“. Im Zweifelsfall empfiehlt sich zur eigenen Absicherung die entsprechende Dokumentation.

Aufklärung über Behandlungsfehler

Nach § 630c Abs. 2 Satz 2 BGB ist der Patient bei entsprechender Erkennbarkeit für den Behandler über einen möglichen Behandlungsfehler zu informieren, wenn erstens der Patient explizit danach fragt oder zweitens die Information zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren notwendig ist. Zum Hinweis auf Aufklärungsversäumnisse oder organisatorische Fehler besteht nach dem Gesetzeswortlaut keine entsprechende Pflicht.

 

Zwar sieht der Gesetzesentwurf einen neugeschaffenen Schutzmechanismus mit Blick auf den strafrechtlichen Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit vor (§ 630c Abs. 3 Satz 3 BGB); Friktionen zum Arbeits- (fehlerbedingte Abmahnung oder Kündigung?) und Versicherungsrecht (Verlust des Versicherungsschutzes?) scheinen dennoch möglich und begründen möglicherweise Gestaltungsbedarf.

Dokumentation, Einsichtsrecht

Die §§ 630f und 630g BGB kodifizieren bereits geltendes Recht. Bedeutsam ist jedoch, dass bei – weiterhin zulässigen – Berichtigungen und Änderungen der Dokumentation deren ursprünglicher Inhalt erkennbar bleiben muss, was gerade bei der Führung elektronischer Patientenakten äußerst relevant ist. Verstöße gegen die Dokumentationspflicht wirken sich nämlich gemäß § 630h Abs. 3 BGB – wie bislang auch – beweisrechtlich zulasten des Behandlers aus.

 

FAZIT | Das Patientenrechtegesetz kodifiziert viel Altbekanntes, enthält aber teilweise auch Verschärfungen für die Behandlerseite. Behandler sind unter bestimmten Voraussetzungen zum Hinweis auf – auch eigene – Behandlungsfehler verpflichtet. Die Anforderungen an die wirtschaftliche Aufklärung könnten steigen. Bei Führung elektronischer Patientenakten ist sicherzustellen, dass nach nachträglich vorgenommenen Änderungen vorangehende Einträge sichtbar bleiben, anderenfalls drohen prozessuale Nachteile. Formulierungsbedingt bleiben in manchen Details Unsicherheiten, die erst im weiteren Verlauf durch die Rechtsprechung oder gesetzgeberische Nachbesserungen bereinigt bzw. ergänzt werden können.